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Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

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Neun Uhr dreißig? Also in dreiviertel Stunden? Nein, da geh' ich lieber zu Fuß." Der Frager trat vom Bahnhofschalter zurück, das Fenster klappte herunter, die kleine Lampe ward weggenommen. In ihrem verschwindenden Schein bemühte sich der Draußenstehende, die lange gehäkelte Geldbörse wieder in die Tasche zu versenken. Eine unglaubliche Einrichtung, diese dünnen Schläuche; unbequem genug, um sie nur an hohen Sonn- und Feiertagen zu gebrauchen wie der heutige! Er streichelte die knisternde seidene Schlange in seiner Tasche, - Toni's verwöhnte weiße Fingerchen hatten sie für ihn gearbeitet, und mit verliebten Blicken war er damals den Verschlingungen der dunkelrothen Fäden gefolgt. Zwei Jahre waren's nun, seit er das Abschiedsgeschenk von ihr empfangen und treulich im Koffer überall mit sich herumgetragen hatte: nach Jena, nach Wien, nach München, wie es einem sehnsüchtigen Bräutigam und zukünftigen braven Ehemann ziemte.

Neun Uhr dreißig? Also in dreiviertel Stunden? Nein, da geh’ ich lieber zu Fuß.“ Der Frager trat vom Bahnhofschalter zurück, das Fenster klappte herunter, die kleine Lampe ward weggenommen. In ihrem verschwindenden Schein bemühte sich der Draußenstehende, die lange gehäkelte Geldbörse wieder in die Tasche zu versenken. Eine unglaubliche Einrichtung, diese dünnen Schläuche; unbequem genug, um sie nur an hohen Sonn- und Feiertagen zu gebrauchen wie der heutige! Er streichelte die knisternde seidene Schlange in seiner Tasche, – Toni’s verwöhnte weiße Fingerchen hatten sie für ihn gearbeitet, und mit verliebten Blicken war er damals den Verschlingungen der dunkelrothen Fäden gefolgt. Zwei Jahre waren’s nun, seit er das Abschiedsgeschenk von ihr empfangen und treulich im Koffer überall mit sich herumgetragen hatte: nach Jena, nach Wien, nach München, wie es einem sehnsüchtigen Bräutigam und zukünftigen braven Ehemann ziemte.

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[79/0087] Neun Uhr dreißig? Also in dreiviertel Stunden? Nein, da geh’ ich lieber zu Fuß.“ Der Frager trat vom Bahnhofschalter zurück, das Fenster klappte herunter, die kleine Lampe ward weggenommen. In ihrem verschwindenden Schein bemühte sich der Draußenstehende, die lange gehäkelte Geldbörse wieder in die Tasche zu versenken. Eine unglaubliche Einrichtung, diese dünnen Schläuche; unbequem genug, um sie nur an hohen Sonn- und Feiertagen zu gebrauchen wie der heutige! Er streichelte die knisternde seidene Schlange in seiner Tasche, – Toni’s verwöhnte weiße Fingerchen hatten sie für ihn gearbeitet, und mit verliebten Blicken war er damals den Verschlingungen der dunkelrothen Fäden gefolgt. Zwei Jahre waren’s nun, seit er das Abschiedsgeschenk von ihr empfangen und treulich im Koffer überall mit sich herumgetragen hatte: nach Jena, nach Wien, nach München, wie es einem sehnsüchtigen Bräutigam und zukünftigen braven Ehemann ziemte.

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/87>, abgerufen am 24.11.2024.