Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.seinem Ankleidezimmer. Der Arzt schob die Heirath hinaus, der Vater des Unglücklichen nahm ihr das Versprechen ab, zu warten, bis sein Sohn gesund sei. Jede Aufregung - und was hätte ihn mehr aufregen können als die Untreue des geliebten Mädchens - konnte verhängnißvoll werden. Und so hatte sie denn dreißig Jahre gewartet. Als sie getraut wurden, war er überhaupt kein zurechnungsfähiger Mensch mehr, aber er streckte noch immer die Arme nach ihr aus. Ihren Namen hatte er vergessen, aber ihre Gegenwart beruhigte ihn besser als ein Schlafmittel. In den letzten zehn Jahren seines armes Daseins war sie seine Pflegerin gewesen, dann hatte sie noch weitere fünf Jahre mit seinem Vater hausgehalten, der ganz vereinsamt und beraubt mit eigensinniger Liebe an ihr gehangen. Iversen konnte nicht herausbringen, ob sie es empfand, daß man sie aufgeopfert habe; sie erzählte alles wie ein zwar trauriges, aber doch unabänderliches Schicksal. Er wollte ihr sagen: eine neue Zeit ist angebrochen, wir Jungen finden das, was du erzählst, lächerlich, fast empörend, und jedenfalls unnatürlich. Er brachte es nicht über die Zunge; es half ja nicht mehr. Und etwas wehmüthig Hübsches haben sie unleugbar, diese epheuumsponnenen romantischen Ruinen aus einer zahmeren Zeit. Halb neugierig halb bewundernd steht man davor und sucht nach einem Zusammenhang dieser Erscheinungen mit der Gegenwart, seinem Ankleidezimmer. Der Arzt schob die Heirath hinaus, der Vater des Unglücklichen nahm ihr das Versprechen ab, zu warten, bis sein Sohn gesund sei. Jede Aufregung – und was hätte ihn mehr aufregen können als die Untreue des geliebten Mädchens – konnte verhängnißvoll werden. Und so hatte sie denn dreißig Jahre gewartet. Als sie getraut wurden, war er überhaupt kein zurechnungsfähiger Mensch mehr, aber er streckte noch immer die Arme nach ihr aus. Ihren Namen hatte er vergessen, aber ihre Gegenwart beruhigte ihn besser als ein Schlafmittel. In den letzten zehn Jahren seines armes Daseins war sie seine Pflegerin gewesen, dann hatte sie noch weitere fünf Jahre mit seinem Vater hausgehalten, der ganz vereinsamt und beraubt mit eigensinniger Liebe an ihr gehangen. Iversen konnte nicht herausbringen, ob sie es empfand, daß man sie aufgeopfert habe; sie erzählte alles wie ein zwar trauriges, aber doch unabänderliches Schicksal. Er wollte ihr sagen: eine neue Zeit ist angebrochen, wir Jungen finden das, was du erzählst, lächerlich, fast empörend, und jedenfalls unnatürlich. Er brachte es nicht über die Zunge; es half ja nicht mehr. Und etwas wehmüthig Hübsches haben sie unleugbar, diese epheuumsponnenen romantischen Ruinen aus einer zahmeren Zeit. Halb neugierig halb bewundernd steht man davor und sucht nach einem Zusammenhang dieser Erscheinungen mit der Gegenwart, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0058" n="50"/> seinem Ankleidezimmer. Der Arzt schob die Heirath hinaus, der Vater des Unglücklichen nahm ihr das Versprechen ab, zu warten, bis sein Sohn gesund sei. Jede Aufregung – und was hätte ihn mehr aufregen können als die Untreue des geliebten Mädchens – konnte verhängnißvoll werden. Und so hatte sie denn dreißig Jahre gewartet. Als sie getraut wurden, war er überhaupt kein zurechnungsfähiger Mensch mehr, aber er streckte noch immer die Arme nach ihr aus. Ihren Namen hatte er vergessen, aber ihre Gegenwart beruhigte ihn besser als ein Schlafmittel. In den letzten zehn Jahren seines armes Daseins war sie seine Pflegerin gewesen, dann hatte sie noch weitere fünf Jahre mit seinem Vater hausgehalten, der ganz vereinsamt und beraubt mit eigensinniger Liebe an ihr gehangen. Iversen konnte nicht herausbringen, ob sie es empfand, daß man sie aufgeopfert habe; sie erzählte alles wie ein zwar trauriges, aber doch unabänderliches Schicksal. Er wollte ihr sagen: eine neue Zeit ist angebrochen, wir Jungen finden das, was du erzählst, lächerlich, fast empörend, und jedenfalls unnatürlich. Er brachte es nicht über die Zunge; es half ja nicht mehr. Und etwas wehmüthig Hübsches haben sie unleugbar, diese epheuumsponnenen romantischen Ruinen aus einer zahmeren Zeit. Halb neugierig halb bewundernd steht man davor und sucht nach einem Zusammenhang dieser Erscheinungen mit der Gegenwart, </p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0058]
seinem Ankleidezimmer. Der Arzt schob die Heirath hinaus, der Vater des Unglücklichen nahm ihr das Versprechen ab, zu warten, bis sein Sohn gesund sei. Jede Aufregung – und was hätte ihn mehr aufregen können als die Untreue des geliebten Mädchens – konnte verhängnißvoll werden. Und so hatte sie denn dreißig Jahre gewartet. Als sie getraut wurden, war er überhaupt kein zurechnungsfähiger Mensch mehr, aber er streckte noch immer die Arme nach ihr aus. Ihren Namen hatte er vergessen, aber ihre Gegenwart beruhigte ihn besser als ein Schlafmittel. In den letzten zehn Jahren seines armes Daseins war sie seine Pflegerin gewesen, dann hatte sie noch weitere fünf Jahre mit seinem Vater hausgehalten, der ganz vereinsamt und beraubt mit eigensinniger Liebe an ihr gehangen. Iversen konnte nicht herausbringen, ob sie es empfand, daß man sie aufgeopfert habe; sie erzählte alles wie ein zwar trauriges, aber doch unabänderliches Schicksal. Er wollte ihr sagen: eine neue Zeit ist angebrochen, wir Jungen finden das, was du erzählst, lächerlich, fast empörend, und jedenfalls unnatürlich. Er brachte es nicht über die Zunge; es half ja nicht mehr. Und etwas wehmüthig Hübsches haben sie unleugbar, diese epheuumsponnenen romantischen Ruinen aus einer zahmeren Zeit. Halb neugierig halb bewundernd steht man davor und sucht nach einem Zusammenhang dieser Erscheinungen mit der Gegenwart,
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