Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.Roth Fingerhut! Und nicht ein Stäubchen mehr will ich begehren, Als: Sei mir gut! Blühende Ranken! Und weil du nicht mich selber hast geladen, So send ich dir die zärtlichsten Gedanken. Duftende Beeren! Nicht immer bin ich sanft und zahm wie heute, Doch immer weiß ich zarten Sinn zu ehren. Syringenstrauß! Sitzt nicht am End' der Welt ein feines Weiblein Und lacht mich aus? Darauf wird sie doch auch ein bißchen an zu kichern fangen, und dann hab ich sie. Und viel werther und süßer fand er sie wieder, als er sie damals verlassen. Die Beschäftigung mit ihr wärmte ihm das Herz; er hatte Mühe, den gewissen blasirten dekadenten Zug, der zum Zeitkostüm gehörte und den er sonst sehr gut herausbrachte, im Kreise der Bekannten festzuhalten. Schon fielen Bemerkungen; seine Photographie, die in den Tagen von einem Amateur gemacht ward, sah "gar nicht aus wie die eines modernen Menschen," viel zu wach und lebensfroh! "Zu wenig Nachtcafestimmung im Gesicht," hieß es. Iversen zuckte die Achseln. Und wenn es ihm morgen einfiel, sich als dionysisch heiterer Übermensch frei nach Nietzsche zu proklamieren, so mußten die guten Leute auch zufrieden sein! Roth Fingerhut! Und nicht ein Stäubchen mehr will ich begehren, Als: Sei mir gut! Blühende Ranken! Und weil du nicht mich selber hast geladen, So send ich dir die zärtlichsten Gedanken. Duftende Beeren! Nicht immer bin ich sanft und zahm wie heute, Doch immer weiß ich zarten Sinn zu ehren. Syringenstrauß! Sitzt nicht am End’ der Welt ein feines Weiblein Und lacht mich aus? Darauf wird sie doch auch ein bißchen an zu kichern fangen, und dann hab ich sie. Und viel werther und süßer fand er sie wieder, als er sie damals verlassen. Die Beschäftigung mit ihr wärmte ihm das Herz; er hatte Mühe, den gewissen blasirten dekadenten Zug, der zum Zeitkostüm gehörte und den er sonst sehr gut herausbrachte, im Kreise der Bekannten festzuhalten. Schon fielen Bemerkungen; seine Photographie, die in den Tagen von einem Amateur gemacht ward, sah „gar nicht aus wie die eines modernen Menschen,“ viel zu wach und lebensfroh! „Zu wenig Nachtcaféstimmung im Gesicht,“ hieß es. Iversen zuckte die Achseln. Und wenn es ihm morgen einfiel, sich als dionysisch heiterer Übermensch frei nach Nietzsche zu proklamieren, so mußten die guten Leute auch zufrieden sein! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0052" n="44"/> <lg> <l>Roth Fingerhut!</l><lb/> <l>Und nicht ein Stäubchen mehr will ich begehren,</l><lb/> <l>Als: Sei mir gut!</l><lb/> </lg> <lg> <l>Blühende Ranken!</l><lb/> <l>Und weil du nicht mich selber hast geladen,</l><lb/> <l>So send ich dir die zärtlichsten Gedanken.</l><lb/> </lg> <lg> <l>Duftende Beeren!</l><lb/> <l>Nicht immer bin ich sanft und zahm wie heute,</l><lb/> <l>Doch immer weiß ich zarten Sinn zu ehren.</l><lb/> </lg> <lg> <l>Syringenstrauß!</l><lb/> <l>Sitzt nicht am End’ der Welt ein feines Weiblein</l><lb/> <l>Und lacht mich aus?</l><lb/> </lg> </lg> <p>Darauf wird sie doch auch ein bißchen an zu kichern fangen, und dann hab ich sie. Und viel werther und süßer fand er sie wieder, als er sie damals verlassen. Die Beschäftigung mit ihr wärmte ihm das Herz; er hatte Mühe, den gewissen blasirten dekadenten Zug, der zum Zeitkostüm gehörte und den er sonst sehr gut herausbrachte, im Kreise der Bekannten festzuhalten.</p> <p>Schon fielen Bemerkungen; seine Photographie, die in den Tagen von einem Amateur gemacht ward, sah „gar nicht aus wie die eines modernen Menschen,“ viel zu wach und lebensfroh! „Zu wenig Nachtcaféstimmung im Gesicht,“ hieß es. Iversen zuckte die Achseln. Und wenn es ihm morgen einfiel, sich als dionysisch heiterer Übermensch frei nach Nietzsche zu proklamieren, so mußten die guten Leute auch zufrieden sein!</p> </div> </body> </text> </TEI> [44/0052]
Roth Fingerhut!
Und nicht ein Stäubchen mehr will ich begehren,
Als: Sei mir gut!
Blühende Ranken!
Und weil du nicht mich selber hast geladen,
So send ich dir die zärtlichsten Gedanken.
Duftende Beeren!
Nicht immer bin ich sanft und zahm wie heute,
Doch immer weiß ich zarten Sinn zu ehren.
Syringenstrauß!
Sitzt nicht am End’ der Welt ein feines Weiblein
Und lacht mich aus?
Darauf wird sie doch auch ein bißchen an zu kichern fangen, und dann hab ich sie. Und viel werther und süßer fand er sie wieder, als er sie damals verlassen. Die Beschäftigung mit ihr wärmte ihm das Herz; er hatte Mühe, den gewissen blasirten dekadenten Zug, der zum Zeitkostüm gehörte und den er sonst sehr gut herausbrachte, im Kreise der Bekannten festzuhalten.
Schon fielen Bemerkungen; seine Photographie, die in den Tagen von einem Amateur gemacht ward, sah „gar nicht aus wie die eines modernen Menschen,“ viel zu wach und lebensfroh! „Zu wenig Nachtcaféstimmung im Gesicht,“ hieß es. Iversen zuckte die Achseln. Und wenn es ihm morgen einfiel, sich als dionysisch heiterer Übermensch frei nach Nietzsche zu proklamieren, so mußten die guten Leute auch zufrieden sein!
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