konntest Du nur das Herz dazu haben? Du mußt doch fühlen, daß es mir ernst ist.
In dem Buch von Schopenhauer komme ich sehr langsam weiter; ich glaube, das ist eine eiskalte Gegend, wo die Philosophen hausen, mich friert ordentlich, während es mir zugleich vorkommt, als ob der Nebel um mich herum etwas durchsichtiger würde. Und dann hat es für mich so etwas Unheimliches, daß gar keine wirklichen Dinge, sondern nur unsere Vorstellungen von den Dingen da sein sollen. Wie eine grausige Schatten- und Gespensterwelt kommt mir das vor, und ich mitten drin so allein und verloren; kannst Du Dir denken, daß es mich fast freudig durchzuckte, als plötzlich in meine kalte Gedankenwüste hinein das Zwitschern der kleinen Zeisige erscholl, die sich jeden Abend auf unserer großen Linde Rendezvous geben? Es klang so vertraut und so wirklich, es schien mir ganz unmöglich, daß diese lieben Thierchen, die ich so oft beobachtet, nur in meiner Vorstellung existiren sollen. Es muß wohl sein, daß ich keine philosophische Ader in mir habe, nicht wahr? Mit Darwin geht es mir viel besser, der verlangt keine solche Sonderbarkeiten, nur daß man aufpaßt.
Lieber Axel, ich möchte gerade Dir so schrecklich gern mein Geheimniß anvertrauen, aber Dein letzter Brief hat mich so gekränkt! Und doch hilfst Du mir und kannst mir helfen wie Niemand sonst, und so hast
konntest Du nur das Herz dazu haben? Du mußt doch fühlen, daß es mir ernst ist.
In dem Buch von Schopenhauer komme ich sehr langsam weiter; ich glaube, das ist eine eiskalte Gegend, wo die Philosophen hausen, mich friert ordentlich, während es mir zugleich vorkommt, als ob der Nebel um mich herum etwas durchsichtiger würde. Und dann hat es für mich so etwas Unheimliches, daß gar keine wirklichen Dinge, sondern nur unsere Vorstellungen von den Dingen da sein sollen. Wie eine grausige Schatten- und Gespensterwelt kommt mir das vor, und ich mitten drin so allein und verloren; kannst Du Dir denken, daß es mich fast freudig durchzuckte, als plötzlich in meine kalte Gedankenwüste hinein das Zwitschern der kleinen Zeisige erscholl, die sich jeden Abend auf unserer großen Linde Rendezvous geben? Es klang so vertraut und so wirklich, es schien mir ganz unmöglich, daß diese lieben Thierchen, die ich so oft beobachtet, nur in meiner Vorstellung existiren sollen. Es muß wohl sein, daß ich keine philosophische Ader in mir habe, nicht wahr? Mit Darwin geht es mir viel besser, der verlangt keine solche Sonderbarkeiten, nur daß man aufpaßt.
Lieber Axel, ich möchte gerade Dir so schrecklich gern mein Geheimniß anvertrauen, aber Dein letzter Brief hat mich so gekränkt! Und doch hilfst Du mir und kannst mir helfen wie Niemand sonst, und so hast
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="letter"n="2"><p><pbfacs="#f0328"n="320"/>
konntest Du nur das Herz dazu haben? Du <hirendition="#g">mußt</hi> doch fühlen, daß es mir ernst ist.</p><p>In dem Buch von Schopenhauer komme ich sehr langsam weiter; ich glaube, das ist eine eiskalte Gegend, wo die Philosophen hausen, mich friert ordentlich, während es mir zugleich vorkommt, als ob der Nebel um mich herum etwas durchsichtiger würde. Und dann hat es für mich so etwas Unheimliches, daß gar keine wirklichen Dinge, sondern nur unsere Vorstellungen von den Dingen da sein sollen. Wie eine grausige Schatten- und Gespensterwelt kommt mir das vor, und ich mitten drin so allein und verloren; kannst Du Dir denken, daß es mich fast freudig durchzuckte, als plötzlich in meine kalte Gedankenwüste hinein das Zwitschern der kleinen Zeisige erscholl, die sich jeden Abend auf unserer großen Linde Rendezvous geben? Es klang so vertraut und so wirklich, es schien mir ganz unmöglich, daß diese lieben Thierchen, die ich so oft beobachtet, nur in meiner Vorstellung existiren sollen. Es muß wohl sein, daß ich keine philosophische Ader in mir habe, nicht wahr? Mit Darwin geht es mir viel besser, der verlangt keine solche Sonderbarkeiten, nur daß man aufpaßt.</p><p>Lieber Axel, ich möchte gerade Dir so schrecklich gern mein Geheimniß anvertrauen, aber Dein letzter Brief hat mich so gekränkt! Und doch hilfst Du mir und kannst mir helfen wie Niemand sonst, und so hast
</p></div></div></body></text></TEI>
[320/0328]
konntest Du nur das Herz dazu haben? Du mußt doch fühlen, daß es mir ernst ist.
In dem Buch von Schopenhauer komme ich sehr langsam weiter; ich glaube, das ist eine eiskalte Gegend, wo die Philosophen hausen, mich friert ordentlich, während es mir zugleich vorkommt, als ob der Nebel um mich herum etwas durchsichtiger würde. Und dann hat es für mich so etwas Unheimliches, daß gar keine wirklichen Dinge, sondern nur unsere Vorstellungen von den Dingen da sein sollen. Wie eine grausige Schatten- und Gespensterwelt kommt mir das vor, und ich mitten drin so allein und verloren; kannst Du Dir denken, daß es mich fast freudig durchzuckte, als plötzlich in meine kalte Gedankenwüste hinein das Zwitschern der kleinen Zeisige erscholl, die sich jeden Abend auf unserer großen Linde Rendezvous geben? Es klang so vertraut und so wirklich, es schien mir ganz unmöglich, daß diese lieben Thierchen, die ich so oft beobachtet, nur in meiner Vorstellung existiren sollen. Es muß wohl sein, daß ich keine philosophische Ader in mir habe, nicht wahr? Mit Darwin geht es mir viel besser, der verlangt keine solche Sonderbarkeiten, nur daß man aufpaßt.
Lieber Axel, ich möchte gerade Dir so schrecklich gern mein Geheimniß anvertrauen, aber Dein letzter Brief hat mich so gekränkt! Und doch hilfst Du mir und kannst mir helfen wie Niemand sonst, und so hast
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/328>, abgerufen am 19.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.