Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.sagte: "Du kriegst ja doch nichts dafür", da sagte ich ein paar ärgerliche Worte. Plötzlich bemerkte Mama mit trauriger Stimme: "O, laß nur, Lisbeth will lieber, daß ihre Mama die Nacht durch arbeitet, als daß sie ihre überspannten Ideen aufgibt." Ich war ganz verzweifelt. "Kann das Kleid denn nicht morgen weiter genäht werden? es kommt doch nicht auf einen Tag an," sagte ich. "Ja, wo kämen wir da wohl hin!" rief Mama; "nächste ganze Woche wird eingemacht, das weißt Du doch." "Ich habe nicht abgesagt, ich muß gehen, und wenn heute Nacht genäht werden muß, so will ich es thun," bat ich. "Ja, das kennen wir! Geh Du nur! Lauf nur aus dem Hause, so oft Du kannst. Ist das nun, als wenn man eine große Tochter hat?" so rief es hinter mir her, als ich wirklich wegging. Der Weg ist weit, dreiviertel Stunden. Erst, muß ich sagen, freute ich mich schrecklich, als ich draußen war. So schönes Wetter, windig und warm, und eine Menge Blumen auf den Stoppelfeldern. Aber als ich dann hinkam und sie kaum noch ein Wort von der vorigen Stunde behalten hatten und die lateinischen Namen so verdrehten und ein paarmal von ganz anderen Dingen anfingen, dachte ich bei mir: na, hättest auch ebensogut wegbleiben können; und ich hatte schreckliche Gewissensbisse, daß ich mich deshalb mit Mama erzürnt hatte. Sie guckte mich auch den ganzen Abend nicht an, und doch war das sagte: „Du kriegst ja doch nichts dafür“, da sagte ich ein paar ärgerliche Worte. Plötzlich bemerkte Mama mit trauriger Stimme: „O, laß nur, Lisbeth will lieber, daß ihre Mama die Nacht durch arbeitet, als daß sie ihre überspannten Ideen aufgibt.“ Ich war ganz verzweifelt. „Kann das Kleid denn nicht morgen weiter genäht werden? es kommt doch nicht auf einen Tag an,“ sagte ich. „Ja, wo kämen wir da wohl hin!“ rief Mama; „nächste ganze Woche wird eingemacht, das weißt Du doch.“ „Ich habe nicht abgesagt, ich muß gehen, und wenn heute Nacht genäht werden muß, so will ich es thun,“ bat ich. „Ja, das kennen wir! Geh Du nur! Lauf nur aus dem Hause, so oft Du kannst. Ist das nun, als wenn man eine große Tochter hat?“ so rief es hinter mir her, als ich wirklich wegging. Der Weg ist weit, dreiviertel Stunden. Erst, muß ich sagen, freute ich mich schrecklich, als ich draußen war. So schönes Wetter, windig und warm, und eine Menge Blumen auf den Stoppelfeldern. Aber als ich dann hinkam und sie kaum noch ein Wort von der vorigen Stunde behalten hatten und die lateinischen Namen so verdrehten und ein paarmal von ganz anderen Dingen anfingen, dachte ich bei mir: na, hättest auch ebensogut wegbleiben können; und ich hatte schreckliche Gewissensbisse, daß ich mich deshalb mit Mama erzürnt hatte. Sie guckte mich auch den ganzen Abend nicht an, und doch war das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0321" n="313"/> sagte: „Du kriegst ja doch nichts dafür“, da sagte ich ein paar ärgerliche Worte. Plötzlich bemerkte Mama mit trauriger Stimme: „O, laß nur, Lisbeth will lieber, daß ihre Mama die Nacht durch arbeitet, als daß sie ihre überspannten Ideen aufgibt.“ Ich war ganz verzweifelt. „Kann das Kleid denn nicht morgen weiter genäht werden? es kommt doch nicht auf einen Tag an,“ sagte ich. „Ja, wo kämen wir da wohl hin!“ rief Mama; „nächste ganze Woche wird eingemacht, das weißt Du doch.“ „Ich habe nicht abgesagt, ich muß gehen, und wenn heute Nacht genäht werden muß, so will ich es thun,“ bat ich. „Ja, das kennen wir! Geh Du nur! Lauf nur aus dem Hause, so oft Du kannst. Ist das nun, als wenn man eine große Tochter hat?“ so rief es hinter mir her, als ich wirklich wegging. Der Weg ist weit, dreiviertel Stunden. Erst, muß ich sagen, freute ich mich schrecklich, als ich draußen war. So schönes Wetter, windig und warm, und eine Menge Blumen auf den Stoppelfeldern. Aber als ich dann hinkam und sie kaum noch ein Wort von der vorigen Stunde behalten hatten und die lateinischen Namen so verdrehten und ein paarmal von ganz anderen Dingen anfingen, dachte ich bei mir: na, hättest auch ebensogut wegbleiben können; und ich hatte schreckliche Gewissensbisse, daß ich mich deshalb mit Mama erzürnt hatte. Sie guckte mich auch den ganzen Abend nicht an, und doch war das </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [313/0321]
sagte: „Du kriegst ja doch nichts dafür“, da sagte ich ein paar ärgerliche Worte. Plötzlich bemerkte Mama mit trauriger Stimme: „O, laß nur, Lisbeth will lieber, daß ihre Mama die Nacht durch arbeitet, als daß sie ihre überspannten Ideen aufgibt.“ Ich war ganz verzweifelt. „Kann das Kleid denn nicht morgen weiter genäht werden? es kommt doch nicht auf einen Tag an,“ sagte ich. „Ja, wo kämen wir da wohl hin!“ rief Mama; „nächste ganze Woche wird eingemacht, das weißt Du doch.“ „Ich habe nicht abgesagt, ich muß gehen, und wenn heute Nacht genäht werden muß, so will ich es thun,“ bat ich. „Ja, das kennen wir! Geh Du nur! Lauf nur aus dem Hause, so oft Du kannst. Ist das nun, als wenn man eine große Tochter hat?“ so rief es hinter mir her, als ich wirklich wegging. Der Weg ist weit, dreiviertel Stunden. Erst, muß ich sagen, freute ich mich schrecklich, als ich draußen war. So schönes Wetter, windig und warm, und eine Menge Blumen auf den Stoppelfeldern. Aber als ich dann hinkam und sie kaum noch ein Wort von der vorigen Stunde behalten hatten und die lateinischen Namen so verdrehten und ein paarmal von ganz anderen Dingen anfingen, dachte ich bei mir: na, hättest auch ebensogut wegbleiben können; und ich hatte schreckliche Gewissensbisse, daß ich mich deshalb mit Mama erzürnt hatte. Sie guckte mich auch den ganzen Abend nicht an, und doch war das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |