Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.Iversen erboste sich. "Herrgott, dies öde Gewitzel! Erstens ist die Geschichte sicher nicht war. Und zweitens scheint sie mir nicht gerade zum Lachen. Diese endlosen Verlobungen sind ja eine der vielen verrückten traurigen Erscheinungen unserer socialen Verhältnisse. Wahrscheinlich so ein armer Kandidat der Theologie, vielleicht Freidenker und deshalb mißliebig geworden, auf der anderen Seite ein mittelloses, aber gebildetes Mädchen -" "Aha, Iversen dichtet schon!" unterbrach der Neunzehnjährige. "Also, stimmt nicht! die Röslins sind häbige*) Leute," bemerkte jemand. "Und warum hätten sie dann mit der Trauung gewartet, bis es nur noch eine Farce war, die sie dem Tode vorspielten?" fuhr Iversen auf. "Er war krank, höre ich, epileptisch, der Doktor Röslin, und der Arzt hat ihm's Heirathen verboten." "Endlich einmal ein vernünftiger Arzt," murmelte einer, dann schwiegen alle eine Weile. "Jetzt schaut's doch es bitzli anders aus mit der ewigen Braut," meinte einer der lebhaftesten Lacher von vorhin. Iversen schüttelte nachdenklich den Kopf. "Eine Tollheit bleibt es doch und fast ein Verbrechen. Sich an einen lebendig Todten ketten für lebenslang - wahnsinniger, naturwidriger Altruismus! *) wohlhabende.
Iversen erboste sich. „Herrgott, dies öde Gewitzel! Erstens ist die Geschichte sicher nicht war. Und zweitens scheint sie mir nicht gerade zum Lachen. Diese endlosen Verlobungen sind ja eine der vielen verrückten traurigen Erscheinungen unserer socialen Verhältnisse. Wahrscheinlich so ein armer Kandidat der Theologie, vielleicht Freidenker und deshalb mißliebig geworden, auf der anderen Seite ein mittelloses, aber gebildetes Mädchen –“ „Aha, Iversen dichtet schon!“ unterbrach der Neunzehnjährige. „Also, stimmt nicht! die Röslins sind häbige*) Leute,“ bemerkte jemand. „Und warum hätten sie dann mit der Trauung gewartet, bis es nur noch eine Farce war, die sie dem Tode vorspielten?“ fuhr Iversen auf. „Er war krank, höre ich, epileptisch, der Doktor Röslin, und der Arzt hat ihm’s Heirathen verboten.“ „Endlich einmal ein vernünftiger Arzt,“ murmelte einer, dann schwiegen alle eine Weile. „Jetzt schaut’s doch es bitzli anders aus mit der ewigen Braut,“ meinte einer der lebhaftesten Lacher von vorhin. Iversen schüttelte nachdenklich den Kopf. „Eine Tollheit bleibt es doch und fast ein Verbrechen. Sich an einen lebendig Todten ketten für lebenslang – wahnsinniger, naturwidriger Altruismus! *) wohlhabende.
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Iversen erboste sich. „Herrgott, dies öde Gewitzel! Erstens ist die Geschichte sicher nicht war. Und zweitens scheint sie mir nicht gerade zum Lachen. Diese endlosen Verlobungen sind ja eine der vielen verrückten traurigen Erscheinungen unserer socialen Verhältnisse. Wahrscheinlich so ein armer Kandidat der Theologie, vielleicht Freidenker und deshalb mißliebig geworden, auf der anderen Seite ein mittelloses, aber gebildetes Mädchen –“
„Aha, Iversen dichtet schon!“ unterbrach der Neunzehnjährige.
„Also, stimmt nicht! die Röslins sind häbige *) Leute,“ bemerkte jemand.
„Und warum hätten sie dann mit der Trauung gewartet, bis es nur noch eine Farce war, die sie dem Tode vorspielten?“ fuhr Iversen auf.
„Er war krank, höre ich, epileptisch, der Doktor Röslin, und der Arzt hat ihm’s Heirathen verboten.“
„Endlich einmal ein vernünftiger Arzt,“ murmelte einer, dann schwiegen alle eine Weile.
„Jetzt schaut’s doch es bitzli anders aus mit der ewigen Braut,“ meinte einer der lebhaftesten Lacher von vorhin.
Iversen schüttelte nachdenklich den Kopf.
„Eine Tollheit bleibt es doch und fast ein Verbrechen. Sich an einen lebendig Todten ketten für lebenslang – wahnsinniger, naturwidriger Altruismus!
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Zitationshilfe: | Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/29>, abgerufen am 23.07.2024. |