Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Entzweiung. Sie hatte ihn ja nicht zu Hause getroffen, als sie in dem gewagten Costüm zu ihm ging, und sie hatte sich übrigens nur verkleidet, um nicht als Mädchen erkannt zu werden. Sie hatte gewissermaßen nur ihren eigenen Laufburschen vorstellen wollen, wie jener Geizhals Nachts sein Haus umstrich und bellte, als ob er sein eigener Hund wäre. Die häßliche, die zweideutige Beleuchtung hatte eben er, Iversen, auf die harmlose Dummheit fallen lassen - ja wir Männer sind eben unsaubere Thiere und können uns in ein unschuldiges Irren gar nicht mehr hineindenken. Nun, und als Anneli seine empörenden Insinuationen gehört, wie sollte sie da nicht wild geworden sein? Und es ist nicht wahr, daß bei einem Streit sich immer der inwendige, sonst verborgene Mensch herauskehrt! Ganz im Gegentheil; man sagt Dinge, an die man nie gedacht hat, von denen man später selbst nicht begreift, wie sie einem auf die Zunge kommen. Der Jähzorn, der Rachsinn greift blind nach der ersten schlechtesten Waffe; die Wunde, die sie verursacht, ist gewollt, und doch nicht immer so gewollt; Nothwehr entschuldigt selbst den Todtschläger.

Über so hin- und hergaukelnden Gedanken, die sein Spiel nicht störten, sondern sich vielmehr mit den Tönen in ein beziehungsreiches Frage- und Antwortspiel eingelassen zu haben schienen, beachtete er nicht, daß unter ihm geklopft ward, erst dumpfer, dann lauter,

Entzweiung. Sie hatte ihn ja nicht zu Hause getroffen, als sie in dem gewagten Costüm zu ihm ging, und sie hatte sich übrigens nur verkleidet, um nicht als Mädchen erkannt zu werden. Sie hatte gewissermaßen nur ihren eigenen Laufburschen vorstellen wollen, wie jener Geizhals Nachts sein Haus umstrich und bellte, als ob er sein eigener Hund wäre. Die häßliche, die zweideutige Beleuchtung hatte eben er, Iversen, auf die harmlose Dummheit fallen lassen – ja wir Männer sind eben unsaubere Thiere und können uns in ein unschuldiges Irren gar nicht mehr hineindenken. Nun, und als Anneli seine empörenden Insinuationen gehört, wie sollte sie da nicht wild geworden sein? Und es ist nicht wahr, daß bei einem Streit sich immer der inwendige, sonst verborgene Mensch herauskehrt! Ganz im Gegentheil; man sagt Dinge, an die man nie gedacht hat, von denen man später selbst nicht begreift, wie sie einem auf die Zunge kommen. Der Jähzorn, der Rachsinn greift blind nach der ersten schlechtesten Waffe; die Wunde, die sie verursacht, ist gewollt, und doch nicht immer so gewollt; Nothwehr entschuldigt selbst den Todtschläger.

Über so hin- und hergaukelnden Gedanken, die sein Spiel nicht störten, sondern sich vielmehr mit den Tönen in ein beziehungsreiches Frage- und Antwortspiel eingelassen zu haben schienen, beachtete er nicht, daß unter ihm geklopft ward, erst dumpfer, dann lauter,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="11"/>
Entzweiung. Sie hatte ihn ja nicht zu Hause getroffen, als sie in dem gewagten Costüm zu ihm ging, und sie hatte sich übrigens nur verkleidet, um nicht als Mädchen erkannt zu werden. Sie hatte gewissermaßen nur ihren eigenen Laufburschen vorstellen wollen, wie jener Geizhals Nachts sein Haus umstrich und bellte, als ob er sein eigener Hund wäre. Die häßliche, die zweideutige Beleuchtung hatte eben er, Iversen, auf die harmlose Dummheit fallen lassen &#x2013; ja wir Männer sind eben unsaubere Thiere und können uns in ein unschuldiges Irren gar nicht mehr hineindenken. Nun, und als Anneli seine empörenden Insinuationen gehört, wie sollte sie da nicht wild geworden sein? Und es ist nicht wahr, daß bei einem Streit sich immer der inwendige, sonst verborgene Mensch herauskehrt! Ganz im Gegentheil; man sagt Dinge, an die man nie gedacht hat, von denen man später selbst nicht begreift, wie sie einem auf die Zunge kommen. Der Jähzorn, der Rachsinn greift blind nach der ersten schlechtesten Waffe; die Wunde, die sie verursacht, ist gewollt, und doch nicht immer so gewollt; Nothwehr entschuldigt selbst den Todtschläger.</p>
        <p>Über so hin- und hergaukelnden Gedanken, die sein Spiel nicht störten, sondern sich vielmehr mit den Tönen in ein beziehungsreiches Frage- und Antwortspiel eingelassen zu haben schienen, beachtete er nicht, daß unter ihm geklopft ward, erst dumpfer, dann lauter,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0019] Entzweiung. Sie hatte ihn ja nicht zu Hause getroffen, als sie in dem gewagten Costüm zu ihm ging, und sie hatte sich übrigens nur verkleidet, um nicht als Mädchen erkannt zu werden. Sie hatte gewissermaßen nur ihren eigenen Laufburschen vorstellen wollen, wie jener Geizhals Nachts sein Haus umstrich und bellte, als ob er sein eigener Hund wäre. Die häßliche, die zweideutige Beleuchtung hatte eben er, Iversen, auf die harmlose Dummheit fallen lassen – ja wir Männer sind eben unsaubere Thiere und können uns in ein unschuldiges Irren gar nicht mehr hineindenken. Nun, und als Anneli seine empörenden Insinuationen gehört, wie sollte sie da nicht wild geworden sein? Und es ist nicht wahr, daß bei einem Streit sich immer der inwendige, sonst verborgene Mensch herauskehrt! Ganz im Gegentheil; man sagt Dinge, an die man nie gedacht hat, von denen man später selbst nicht begreift, wie sie einem auf die Zunge kommen. Der Jähzorn, der Rachsinn greift blind nach der ersten schlechtesten Waffe; die Wunde, die sie verursacht, ist gewollt, und doch nicht immer so gewollt; Nothwehr entschuldigt selbst den Todtschläger. Über so hin- und hergaukelnden Gedanken, die sein Spiel nicht störten, sondern sich vielmehr mit den Tönen in ein beziehungsreiches Frage- und Antwortspiel eingelassen zu haben schienen, beachtete er nicht, daß unter ihm geklopft ward, erst dumpfer, dann lauter,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/19
Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/19>, abgerufen am 21.11.2024.