Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre Hand zitterte, als sie sich ohne Abschied von seinem Arm losmachte und umkehrte. Sie war schon einige Schritte fort, als Hausdörffer ihr nacheilte -, er war zuerst mechanisch gradeaus gegangen. Stumm schritten sie nebeneinander durch das Dorf zur Bahn. Es hielt gerade ein Zug, bereit abzufahren.

"Daß Sie so in bitterem Groll von mir gehen -" begann Richard.

Die Frau blickte ihn nicht mehr an, hörte nicht mehr zu. "Adieu!" machte sie heftig über die Schulter weg, stieg ein und war verschwunden. Der Zug hielt noch ein paar Minuten, und Hausdörffer, unschlüssig und mit bleicher Armsündermiene, stand sogar noch da, als er abgefahren war und den kleinen Bahnhof in Qualm und widrigem Steinkohlenrauch zurückgelassen hatte. Darauf ging er in seine Mansarde und legte sich für vierundzwanzig Stunden ins Bett, nach seiner Meinung das einzige Mittel, um über widersprechende Empfindungen Herr zu werden und Bitternisse zu vergessen. Aber so bitter wie heute war ihm noch nie zu Sinn gewesen. Er wollte die Glieder recken und rufen: "Frei! Frei! wieder mein eigen!" aber das Wort erstarb ihm auf der Zunge, und ein lähmendes Verbrecherbewußtsein trat ein an die Stelle des Freiheitsgefühls. Lauter Leute, die nun so schlimm wie möglich von ihm dachten, ihn verachteten, ihn verfolgen und bedrohen wollten! Dazu die arme kleine hirnlose Puppe in

ihre Hand zitterte, als sie sich ohne Abschied von seinem Arm losmachte und umkehrte. Sie war schon einige Schritte fort, als Hausdörffer ihr nacheilte –, er war zuerst mechanisch gradeaus gegangen. Stumm schritten sie nebeneinander durch das Dorf zur Bahn. Es hielt gerade ein Zug, bereit abzufahren.

„Daß Sie so in bitterem Groll von mir gehen –“ begann Richard.

Die Frau blickte ihn nicht mehr an, hörte nicht mehr zu. „Adieu!“ machte sie heftig über die Schulter weg, stieg ein und war verschwunden. Der Zug hielt noch ein paar Minuten, und Hausdörffer, unschlüssig und mit bleicher Armsündermiene, stand sogar noch da, als er abgefahren war und den kleinen Bahnhof in Qualm und widrigem Steinkohlenrauch zurückgelassen hatte. Darauf ging er in seine Mansarde und legte sich für vierundzwanzig Stunden ins Bett, nach seiner Meinung das einzige Mittel, um über widersprechende Empfindungen Herr zu werden und Bitternisse zu vergessen. Aber so bitter wie heute war ihm noch nie zu Sinn gewesen. Er wollte die Glieder recken und rufen: „Frei! Frei! wieder mein eigen!“ aber das Wort erstarb ihm auf der Zunge, und ein lähmendes Verbrecherbewußtsein trat ein an die Stelle des Freiheitsgefühls. Lauter Leute, die nun so schlimm wie möglich von ihm dachten, ihn verachteten, ihn verfolgen und bedrohen wollten! Dazu die arme kleine hirnlose Puppe in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0176" n="168"/>
ihre Hand zitterte, als sie sich ohne Abschied von seinem Arm losmachte und umkehrte. Sie war schon einige Schritte fort, als Hausdörffer ihr nacheilte &#x2013;, er war zuerst mechanisch gradeaus gegangen. Stumm schritten sie nebeneinander durch das Dorf zur Bahn. Es hielt gerade ein Zug, bereit abzufahren.</p>
        <p>&#x201E;Daß Sie so in bitterem Groll von mir gehen &#x2013;&#x201C; begann Richard.</p>
        <p>Die Frau blickte ihn nicht mehr an, hörte nicht mehr zu. &#x201E;Adieu!&#x201C; machte sie heftig über die Schulter weg, stieg ein und war verschwunden. Der Zug hielt noch ein paar Minuten, und Hausdörffer, unschlüssig und mit bleicher Armsündermiene, stand sogar noch da, als er abgefahren war und den kleinen Bahnhof in Qualm und widrigem Steinkohlenrauch zurückgelassen hatte. Darauf ging er in seine Mansarde und legte sich für vierundzwanzig Stunden ins Bett, nach seiner Meinung das einzige Mittel, um über widersprechende Empfindungen Herr zu werden und Bitternisse zu vergessen. Aber so bitter wie heute war ihm noch nie zu Sinn gewesen. Er wollte die Glieder recken und rufen: &#x201E;Frei! Frei! wieder mein eigen!&#x201C; aber das Wort erstarb ihm auf der Zunge, und ein lähmendes Verbrecherbewußtsein trat ein an die Stelle des Freiheitsgefühls. Lauter Leute, die nun so schlimm wie möglich von ihm dachten, ihn verachteten, ihn verfolgen und bedrohen wollten! Dazu die arme kleine hirnlose Puppe in
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0176] ihre Hand zitterte, als sie sich ohne Abschied von seinem Arm losmachte und umkehrte. Sie war schon einige Schritte fort, als Hausdörffer ihr nacheilte –, er war zuerst mechanisch gradeaus gegangen. Stumm schritten sie nebeneinander durch das Dorf zur Bahn. Es hielt gerade ein Zug, bereit abzufahren. „Daß Sie so in bitterem Groll von mir gehen –“ begann Richard. Die Frau blickte ihn nicht mehr an, hörte nicht mehr zu. „Adieu!“ machte sie heftig über die Schulter weg, stieg ein und war verschwunden. Der Zug hielt noch ein paar Minuten, und Hausdörffer, unschlüssig und mit bleicher Armsündermiene, stand sogar noch da, als er abgefahren war und den kleinen Bahnhof in Qualm und widrigem Steinkohlenrauch zurückgelassen hatte. Darauf ging er in seine Mansarde und legte sich für vierundzwanzig Stunden ins Bett, nach seiner Meinung das einzige Mittel, um über widersprechende Empfindungen Herr zu werden und Bitternisse zu vergessen. Aber so bitter wie heute war ihm noch nie zu Sinn gewesen. Er wollte die Glieder recken und rufen: „Frei! Frei! wieder mein eigen!“ aber das Wort erstarb ihm auf der Zunge, und ein lähmendes Verbrecherbewußtsein trat ein an die Stelle des Freiheitsgefühls. Lauter Leute, die nun so schlimm wie möglich von ihm dachten, ihn verachteten, ihn verfolgen und bedrohen wollten! Dazu die arme kleine hirnlose Puppe in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/176
Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/176>, abgerufen am 24.11.2024.