Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.dünkte es Alfred, als könne er allen Zorn auf den Der andere Morgen fand ihn matt und mit dünkte es Alfred, als könne er allen Zorn auf den Der andere Morgen fand ihn matt und mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086" n="70"/> dünkte es Alfred, als könne er allen Zorn auf den<lb/> Freund wälzen. Nicht wie ein Freund, wie ein Ver¬<lb/> ſucher hat er an mir gehandelt! — aber das unklare<lb/> Wehgefühl, das nicht weichen wollte, belehrte ihn eines<lb/> Beſſeren. Ach, er war unglücklich, er war tief be¬<lb/> dauernswerth, er liebte die Geliebte ſeines Freundes<lb/> und hatte es ihr nicht geſagt, aber doch deutlich ge¬<lb/> zeigt. Ihm wurden die Augen naß vor Mitleid mit<lb/> ſich ſelbſt, mit ihr, die er ohne Zweifel durch ſein<lb/> plötzliches Davoneilen gekränkt, und mit ihm, der ſich<lb/> in trüber Leidenszeit durch den Gedanken an ſie<lb/> Beide aufrecht hielt und ſo ſchmählich betrogen war.<lb/> Wie ein Irrgarten lag die Zukunft vor ihm. Wel¬<lb/> chen Weg einſchlagen? Und der Lockvogel, der ihm<lb/> unaufhörlich ins Ohr ſang: Sie liebt dich, und du<lb/> liebſt ſie auch; wer liebt, hat Recht, geh wieder hin!<lb/> Du haſt nur ihre Locken geküßt, küß ihre Lippen: ſie<lb/> warten auf dich, ſie rufen dich. Er nahm die rothen<lb/> Blüthen aus dem Knopfloch und küßte ſie, bis nicht<lb/> ein Blättchen daran blieb, aber ſie waren kühl und<lb/> küßten nicht wieder!</p><lb/> <p>Der andere Morgen fand ihn matt und mit<lb/> ſchmerzendem Kopf auf ſeinem Lager. Doch ſtand er<lb/> haſtig auf, ſowie er munter geworden, er ſcheute ſich<lb/> vor dem Grübeln und Beſinnen. Werd' ich ſie heute<lb/> ſehen? <hi rendition="#g">Darf</hi> ich ſie ſehen? war Alles, was er dachte.<lb/> Erſt auf dem Wege zu ſeinem Atelier fiel ihm ein,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [70/0086]
dünkte es Alfred, als könne er allen Zorn auf den
Freund wälzen. Nicht wie ein Freund, wie ein Ver¬
ſucher hat er an mir gehandelt! — aber das unklare
Wehgefühl, das nicht weichen wollte, belehrte ihn eines
Beſſeren. Ach, er war unglücklich, er war tief be¬
dauernswerth, er liebte die Geliebte ſeines Freundes
und hatte es ihr nicht geſagt, aber doch deutlich ge¬
zeigt. Ihm wurden die Augen naß vor Mitleid mit
ſich ſelbſt, mit ihr, die er ohne Zweifel durch ſein
plötzliches Davoneilen gekränkt, und mit ihm, der ſich
in trüber Leidenszeit durch den Gedanken an ſie
Beide aufrecht hielt und ſo ſchmählich betrogen war.
Wie ein Irrgarten lag die Zukunft vor ihm. Wel¬
chen Weg einſchlagen? Und der Lockvogel, der ihm
unaufhörlich ins Ohr ſang: Sie liebt dich, und du
liebſt ſie auch; wer liebt, hat Recht, geh wieder hin!
Du haſt nur ihre Locken geküßt, küß ihre Lippen: ſie
warten auf dich, ſie rufen dich. Er nahm die rothen
Blüthen aus dem Knopfloch und küßte ſie, bis nicht
ein Blättchen daran blieb, aber ſie waren kühl und
küßten nicht wieder!
Der andere Morgen fand ihn matt und mit
ſchmerzendem Kopf auf ſeinem Lager. Doch ſtand er
haſtig auf, ſowie er munter geworden, er ſcheute ſich
vor dem Grübeln und Beſinnen. Werd' ich ſie heute
ſehen? Darf ich ſie ſehen? war Alles, was er dachte.
Erſt auf dem Wege zu ſeinem Atelier fiel ihm ein,
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