Die ihren quollen über von Mitleid und Ent¬ setzen.
"Komm!" rief sie, den Arm um ihn schlingend und sein armes Haupt an ihrer Schulter bettend, "komm, mein Geliebter, mein armer Bruder, Deine Schwester ist bei Dir, die Dir hilft, die Dich trägt, die Dich lieb hat, die Dir nur Gutes wünscht, nur Gutes! Sieh, Herz, Du bist nun da in einem wil¬ den tiefen Strom, kannst jetzt nicht kämpfen, mußt still daliegen und Dich treiben lassen; und ich, ich treibe so neben Dir, und Du weißt doch, ich bin da, und Du nicht allein in der großen Wüste. Ist das nicht schon etwas? Und wenn Du nicht siehst, wohin wir treiben, ich geb' schon Acht."
"Ich hab' Dich verleugnet!" schluchzte er.
"Still! still! nicht weinen, denk' an Deine Augen, und gräm' Dich nicht, -- wer wird's denn auch den Fremden sagen? -- das kann ja kein Frem¬ des verstehen! Der Doktor hat Dich ausfragen wollen, gelt? er hat mich auch letzthin gefragt, ob ich nicht Lust hätte, seine Frau Doktorin zu werden -- er wußte wohl, daß ich nicht ja sagen würd' -- aber er hätte mir's gern vom Mund abgepflückt, warum nicht."
"Das war unwürdig! Das hätte er nicht thun sollen," brauste er auf.
Marianne ließ ihn sanft aus den Armen.
Die ihren quollen über von Mitleid und Ent¬ ſetzen.
„Komm!“ rief ſie, den Arm um ihn ſchlingend und ſein armes Haupt an ihrer Schulter bettend, „komm, mein Geliebter, mein armer Bruder, Deine Schweſter iſt bei Dir, die Dir hilft, die Dich trägt, die Dich lieb hat, die Dir nur Gutes wünſcht, nur Gutes! Sieh, Herz, Du biſt nun da in einem wil¬ den tiefen Strom, kannſt jetzt nicht kämpfen, mußt ſtill daliegen und Dich treiben laſſen; und ich, ich treibe ſo neben Dir, und Du weißt doch, ich bin da, und Du nicht allein in der großen Wüſte. Iſt das nicht ſchon etwas? Und wenn Du nicht ſiehſt, wohin wir treiben, ich geb' ſchon Acht.“
„Ich hab' Dich verleugnet!“ ſchluchzte er.
„Still! ſtill! nicht weinen, denk' an Deine Augen, und gräm' Dich nicht, — wer wird's denn auch den Fremden ſagen? — das kann ja kein Frem¬ des verſtehen! Der Doktor hat Dich ausfragen wollen, gelt? er hat mich auch letzthin gefragt, ob ich nicht Luſt hätte, ſeine Frau Doktorin zu werden — er wußte wohl, daß ich nicht ja ſagen würd' — aber er hätte mir's gern vom Mund abgepflückt, warum nicht.“
„Das war unwürdig! Das hätte er nicht thun ſollen,“ brauſte er auf.
Marianne ließ ihn ſanft aus den Armen.
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Die ihren quollen über von Mitleid und Ent¬
ſetzen.
„Komm!“ rief ſie, den Arm um ihn ſchlingend
und ſein armes Haupt an ihrer Schulter bettend,
„komm, mein Geliebter, mein armer Bruder, Deine
Schweſter iſt bei Dir, die Dir hilft, die Dich trägt,
die Dich lieb hat, die Dir nur Gutes wünſcht, nur
Gutes! Sieh, Herz, Du biſt nun da in einem wil¬
den tiefen Strom, kannſt jetzt nicht kämpfen, mußt
ſtill daliegen und Dich treiben laſſen; und ich, ich
treibe ſo neben Dir, und Du weißt doch, ich bin da,
und Du nicht allein in der großen Wüſte. Iſt das
nicht ſchon etwas? Und wenn Du nicht ſiehſt, wohin
wir treiben, ich geb' ſchon Acht.“
„Ich hab' Dich verleugnet!“ ſchluchzte er.
„Still! ſtill! nicht weinen, denk' an Deine
Augen, und gräm' Dich nicht, — wer wird's denn
auch den Fremden ſagen? — das kann ja kein Frem¬
des verſtehen! Der Doktor hat Dich ausfragen wollen,
gelt? er hat mich auch letzthin gefragt, ob ich nicht
Luſt hätte, ſeine Frau Doktorin zu werden — er
wußte wohl, daß ich nicht ja ſagen würd' — aber er
hätte mir's gern vom Mund abgepflückt, warum
nicht.“
„Das war unwürdig! Das hätte er nicht thun
ſollen,“ brauſte er auf.
Marianne ließ ihn ſanft aus den Armen.
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/122>, abgerufen am 16.02.2025.
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