"So ein schönes junges Mädchen kann auch nicht einem Mann nachfragen in der Stadt," meinte sie.
"Wie seltsam, daß Du" -- fing er an.
"Ja, ja," unterbrach sie ihn, "die Häßlichen sind doch für etwas gut, gelt? --"
"Du bist schön," sagte er träumend, "ich sehe Dich immer so wie Deine Stimme ist, so klar und rein und schön, und als ich Dich geküßt" --
"Still! sonst ist's aus," flüsterte sie.
"Ich bin ja gefangen, Du hast nichts zu fürch¬ ten," sagte er und ließ den Kopf sinken.
Da hielt der Wagen. Leo half ihm beim Aus¬ steigen, führte ihn auch bis ans Treppengeländer. Marianne sah mit thränenverdunkelten Augen das mühselige Tasten beim Hinaufsteigen; doch bot sie ihm nicht die Hand, und der Bub geleitete ihn ins Zimmer und auf sein Sopha.
Marianne sprach mit der Wirthin draußen. Sie hatte bis jetzt das Zimmer neben dem des Kranken bewohnt, -- nun war die gefährlichste Zeit vorbei, der Bub sollte von jetzt ab dort einquartiert werden, um immer zur Hand zu sein, doch sollte die Wirthin sich nicht sorgen, sie wolle trotzdem die Pflege behalten und tagsüber wie sonst um den Blinden sein. Dann kam sie herein und beantwortete Alfreds sehn¬ süchtigen Gruß mit freundlicher Ruhe. Sie schickte den Buben fort, das Nachtessen zu holen und erzählte,
„So ein ſchönes junges Mädchen kann auch nicht einem Mann nachfragen in der Stadt,“ meinte ſie.
„Wie ſeltſam, daß Du“ — fing er an.
„Ja, ja,“ unterbrach ſie ihn, „die Häßlichen ſind doch für etwas gut, gelt? —“
„Du biſt ſchön,“ ſagte er träumend, „ich ſehe Dich immer ſo wie Deine Stimme iſt, ſo klar und rein und ſchön, und als ich Dich geküßt“ —
„Still! ſonſt iſt's aus,“ flüſterte ſie.
„Ich bin ja gefangen, Du haſt nichts zu fürch¬ ten,“ ſagte er und ließ den Kopf ſinken.
Da hielt der Wagen. Leo half ihm beim Aus¬ ſteigen, führte ihn auch bis ans Treppengeländer. Marianne ſah mit thränenverdunkelten Augen das mühſelige Taſten beim Hinaufſteigen; doch bot ſie ihm nicht die Hand, und der Bub geleitete ihn ins Zimmer und auf ſein Sopha.
Marianne ſprach mit der Wirthin draußen. Sie hatte bis jetzt das Zimmer neben dem des Kranken bewohnt, — nun war die gefährlichſte Zeit vorbei, der Bub ſollte von jetzt ab dort einquartiert werden, um immer zur Hand zu ſein, doch ſollte die Wirthin ſich nicht ſorgen, ſie wolle trotzdem die Pflege behalten und tagsüber wie ſonſt um den Blinden ſein. Dann kam ſie herein und beantwortete Alfreds ſehn¬ ſüchtigen Gruß mit freundlicher Ruhe. Sie ſchickte den Buben fort, das Nachteſſen zu holen und erzählte,
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„So ein ſchönes junges Mädchen kann auch nicht
einem Mann nachfragen in der Stadt,“ meinte ſie.
„Wie ſeltſam, daß Du“ — fing er an.
„Ja, ja,“ unterbrach ſie ihn, „die Häßlichen
ſind doch für etwas gut, gelt? —“
„Du biſt ſchön,“ ſagte er träumend, „ich ſehe
Dich immer ſo wie Deine Stimme iſt, ſo klar und
rein und ſchön, und als ich Dich geküßt“ —
„Still! ſonſt iſt's aus,“ flüſterte ſie.
„Ich bin ja gefangen, Du haſt nichts zu fürch¬
ten,“ ſagte er und ließ den Kopf ſinken.
Da hielt der Wagen. Leo half ihm beim Aus¬
ſteigen, führte ihn auch bis ans Treppengeländer.
Marianne ſah mit thränenverdunkelten Augen das
mühſelige Taſten beim Hinaufſteigen; doch bot ſie
ihm nicht die Hand, und der Bub geleitete ihn ins
Zimmer und auf ſein Sopha.
Marianne ſprach mit der Wirthin draußen.
Sie hatte bis jetzt das Zimmer neben dem des
Kranken bewohnt, — nun war die gefährlichſte Zeit
vorbei, der Bub ſollte von jetzt ab dort einquartiert
werden, um immer zur Hand zu ſein, doch ſollte die
Wirthin ſich nicht ſorgen, ſie wolle trotzdem die Pflege
behalten und tagsüber wie ſonſt um den Blinden ſein.
Dann kam ſie herein und beantwortete Alfreds ſehn¬
ſüchtigen Gruß mit freundlicher Ruhe. Sie ſchickte
den Buben fort, das Nachteſſen zu holen und erzählte,
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/114>, abgerufen am 16.02.2025.
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