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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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Tischchen daneben; sie nahm Fingerhut und Faden
und ließ hastig die Nadel durch die Falten gleiten.
Sie hatte ein leises Gespräch mit dem Arzt, der bald
darauf erschien und den Kranken nicht geweckt wissen
wollte, sondern nur Anordnungen für die Nacht traf.
Die kam und brachte das Wundfieber, Irrreden, hef¬
tiges Auffahren, Umherwerfen in den Kissen. Er
riß sich die nasse Binde von den Augen und wollte
sich nicht halten lassen.

Doch schien auch noch in dieser Betäubung sein
Ohr empfänglich für die sanfte Stimme, die ihn be¬
schwichtigte wie ein krankes Kind, denn er flüsterte
mehrmals: Musik! Musik! und saß wie horchend im
Bette aufrecht. Mit einem Blick der Dankbarkeit,
der Erleichterung begrüßte die treue Pflegerin den
ersten Morgenstrahl, es war eine saure Nacht ge¬
wesen. Nun lag der Patient in tiefer Ermattung,
und der Besuch des Arztes ging für ihn fast un¬
gemerkt vorüber. Für Marianne war es eine Be¬
ruhigung, ihn auf Stunden der angstvollen Sorge
um sein Augenlicht enthoben zu wissen. Im Uebrigen
hatte die flüchtige Untersuchung wenig Trost gebracht.
Der Arzt hatte die verschwollenen Lider des Kranken
geöffnet und der beklommen Zusehenden einen rothen
Fleck im Weißen beider Augen gezeigt. Draußen vor
der Thür gab er dann eine Aufklärung. "Es sind
zwei Möglichkeiten," bemerkte er belehrend, "eine

Tiſchchen daneben; ſie nahm Fingerhut und Faden
und ließ haſtig die Nadel durch die Falten gleiten.
Sie hatte ein leiſes Geſpräch mit dem Arzt, der bald
darauf erſchien und den Kranken nicht geweckt wiſſen
wollte, ſondern nur Anordnungen für die Nacht traf.
Die kam und brachte das Wundfieber, Irrreden, hef¬
tiges Auffahren, Umherwerfen in den Kiſſen. Er
riß ſich die naſſe Binde von den Augen und wollte
ſich nicht halten laſſen.

Doch ſchien auch noch in dieſer Betäubung ſein
Ohr empfänglich für die ſanfte Stimme, die ihn be¬
ſchwichtigte wie ein krankes Kind, denn er flüſterte
mehrmals: Muſik! Muſik! und ſaß wie horchend im
Bette aufrecht. Mit einem Blick der Dankbarkeit,
der Erleichterung begrüßte die treue Pflegerin den
erſten Morgenſtrahl, es war eine ſaure Nacht ge¬
weſen. Nun lag der Patient in tiefer Ermattung,
und der Beſuch des Arztes ging für ihn faſt un¬
gemerkt vorüber. Für Marianne war es eine Be¬
ruhigung, ihn auf Stunden der angſtvollen Sorge
um ſein Augenlicht enthoben zu wiſſen. Im Uebrigen
hatte die flüchtige Unterſuchung wenig Troſt gebracht.
Der Arzt hatte die verſchwollenen Lider des Kranken
geöffnet und der beklommen Zuſehenden einen rothen
Fleck im Weißen beider Augen gezeigt. Draußen vor
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[86/0102] Tiſchchen daneben; ſie nahm Fingerhut und Faden und ließ haſtig die Nadel durch die Falten gleiten. Sie hatte ein leiſes Geſpräch mit dem Arzt, der bald darauf erſchien und den Kranken nicht geweckt wiſſen wollte, ſondern nur Anordnungen für die Nacht traf. Die kam und brachte das Wundfieber, Irrreden, hef¬ tiges Auffahren, Umherwerfen in den Kiſſen. Er riß ſich die naſſe Binde von den Augen und wollte ſich nicht halten laſſen. Doch ſchien auch noch in dieſer Betäubung ſein Ohr empfänglich für die ſanfte Stimme, die ihn be¬ ſchwichtigte wie ein krankes Kind, denn er flüſterte mehrmals: Muſik! Muſik! und ſaß wie horchend im Bette aufrecht. Mit einem Blick der Dankbarkeit, der Erleichterung begrüßte die treue Pflegerin den erſten Morgenſtrahl, es war eine ſaure Nacht ge¬ weſen. Nun lag der Patient in tiefer Ermattung, und der Beſuch des Arztes ging für ihn faſt un¬ gemerkt vorüber. Für Marianne war es eine Be¬ ruhigung, ihn auf Stunden der angſtvollen Sorge um ſein Augenlicht enthoben zu wiſſen. Im Uebrigen hatte die flüchtige Unterſuchung wenig Troſt gebracht. Der Arzt hatte die verſchwollenen Lider des Kranken geöffnet und der beklommen Zuſehenden einen rothen Fleck im Weißen beider Augen gezeigt. Draußen vor der Thür gab er dann eine Aufklärung. „Es ſind zwei Möglichkeiten,“ bemerkte er belehrend, „eine

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/102>, abgerufen am 22.11.2024.