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Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395.

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Die Gegenwart. Nr. 25.
glaubt ihr, daß ein weibliches Wesen, welches jenen abnormen
Kraftverbrauch, den die jahrelange Arbeit in den Secirsälen mit
sich bringt, ohne Schädigung überstanden, später nach erhaltenem
Diplome zu schwach sein wird, die gewöhnliche ärztliche Praxis
auszuüben? Dazu gehört ja keine Riesenkraft, wie ja auch der
männliche Arzt nicht immer ein Riese ist.

Was aber jene "Unterbrechungen" betrifft, so haben natür-
lich die Gegner Recht. Und zwar kommt hierbei noch viel weniger
die einmalige oder mehrmalige Pause von neun bis zehn Monaten
in Rechnung, als die fortwährende Collision der Pflichten in und
außer dem Hause. Gattin, Mutter und Arzt zugleich - das
führt gewiß nur zu der Alternative: "Entweder eine pflichtver-
gessene Gattin und Mutter oder ein pflichtvergessener Arzt!"
Wenn aber die Gegner nun gewöhnlich fortfahren: "Es müßte
also für das Fräulein Arzt die Ehelosigkeit statuirt werden, wie
für den katholischen Geistlichen," so schießen sie über das Ziel
hinaus. Was sich gleichsam von selbst statuirt, braucht nicht erst
durch das Gesetz vorbestimmt zu werden. Das Mädchen, welches
auf die Hochschule geht, hat eben dadurch auf die Erfüllung ihrer
natürlichen Mission verzichtet. Wird sie später, nachdem sie ihr
Ziel erreicht, von Reue darüber erfaßt, so wird diese Reue wahr-
scheinlich zu spät kommen. Gelingt es ihr aber dennoch, einen
Gatten zu finden, der das Kinderpäppeln übernimmt und sich
darüber hinwegsetzt, daß die Gattin naturgemäß die häuslichen
Pflichten nicht erfüllen kann, dann - werden sich eben die
Patienten die Sache überlegen!

"Zweien Herren kann man nicht dienen!" Vor einiger Zeit
ging die sonderbarliche Nachricht durch die Blätter, die russische
Regierung trage sich mit dem Gedanken, nur verheiratheten
Frauen die Ausübung der Heilkunde zu gestatten! Das wäre
die zweck- und naturwidrigste Verfügung, die je irgendwo ge-
troffen worden....

Eine zweite Gruppe von Argumenten für und gegen die
Frau als Aerztin basirt auf dem weiblichen Charakter. "Die
Frau," meinen die Ankläger "ist launenhaft, von geringer Aus-
dauer, ohne Ernst und Tiefe; selbst ihre Begeisterung ist eigent-
lich nur Schwärmerei, ein flackerndes Strohfeuer. Mögen diese
Schwächen auch anderweitig durch noch so viele Tugenden über-
strahlt sein, für den ärztlichen Beruf bleiben sie Todsünden!"

"Lüge und Verleumdung!" erwiedern die Vertheidiger. "Es
gibt natürlich auch launenhafte und oberflächliche Frauen, aber
sind denn alle Männer ernst und ausdauernd? Aus den
Schwächen der Einzelnen darf keine Waffe gegen das ganze Ge-
schlecht geschmiedet werden. Wohl aber ist andererseits die milde
Geduld, die Barmherzigkeit eine so unbestrittene Tugend des
Weibes, und die Zahl der Frauen, die ihrer entrathen, ist so
gering, daß wir sie wohl als Argumente in unserem Sinne
verwerthen dürfen, denn diese Tugenden prädestiniren die
Frau, wie bisher zur Krankenpflege, so künftig zum ärztlichen
Berufe."

Hier steht die Wahrheit von vornherein bei den Verthei-
digern. Denn wenngleich Launenhaftigkeit und "Strohfeuer"
Schwächen sind, denen wir bei Frauen ungemein oft begegnen,
so darf man ja nicht vergessen, daß nicht jede beliebige Mode-
dame von heute auf morgen Arzt werden kann. Dazu gehört
ein Diplom, und dieses will verdient sein, durch eine, die Vor-
bildung eingerechnet, nahezu vierzehnjährige unausgesetzte, ange-
strengte Thätigkeit verdient! Man wird zugeben, daß Weiber-
launen selten vierzehn Jahre währen, und wenn ein Weib solche
Ausdauer bewährt, dann brennt ihm im Herzen kein Stroh-
feuer, sondern die Flamme echter Begeisterung! ... Die
Barmherzigkeit und Geduld aber sind in der That echt weib-
liche Tugenden und daher ein Argument für das "Fräulein
Doctor".

Eine dritte Gruppe von Argumenten betrifft die Frage:
"Sprechen Gründe der öffentlichen Sittlichkeit für oder gegen
die Zulassung der Frauen als Aerzte?" Aber diese Frage ist
für uns dadurch bereits in ihrer wichtigsten Beziehung erledigt,
indem wir die Beschränkung der Aerztin auf Frauen- und Kin-
derpraxis als unbedingt nothwendig ausgesprochen haben. Selbst[Spaltenumbruch] die begeisterten Freunde des "Fräulein Doctor" dürften gegen
eine Verfügung des Staates, welche den Frauen die Praxis an
erwachsenen Männern kurzweg verbietet, nichts einzuwenden
haben. Läßt man diese Einschränkung gelten, dann wird die
Sittlichkeit von der Aerztin nicht gefährdet, sondern wohl sogar
gefördert. Denn es ist zweifellos, daß jede Dame, sofern sie
die Wahl zwischen einem tüchtigen Arzte und einer gleich tüch-
tigen Aerztin hat, sich in unzähligen Fällen lieber der Letzteren
anvertrauen wird.

Noch leichter wird man mit einem andern Einwand fer-
tig, der aus Gründen der Sittlichkeit gegen die "Studiosa me-
dicinae
"erhoben wird.

"Es ist notorisch," sagen die Gegner, "daß sich da, wo die
Studentin grassirt, zum Beispiel in Rußland, auch Viele dar-
unter finden, die nicht blos mit den "Vorurtheilen der Gesell-
schaft", sondern auch mit den Grundsätzen der Sittlichkeit ge-
brochen haben. Den Anlaß hierzu hat sicherlich das medicinische
Studium geboten, welches dem Weibe das Schamgefühl, das
keusche Empfinden zu nehmen geeignet ist. Die Gesellschaft
hat nun freilich nicht die Verpflichtung, das einzelne Jn-
dividuum vor dem Verderben zu schützen, aber sie würde pflicht-
vergessen handeln, wollte sie einen Weg offen halten, der sicher-
lich zum Verderben führt."

Die Erwiderung ist gleichsam von selbst gegeben. Nicht
das medicinische Studium hat unter den russischen Studentinnen
so viele Unsittlichkeit hervorgerufen, sondern der Nihilismus.
Diese Frauenzimmer wären geworden was sie sind, auch wenn
sie nie einen Hörsaal betreten hätten. Aus Amerika hört man
keine Klage dieser Art, und die wenigen, auf deutschem Boden
prakticirenden Aerztinnen erfreuen sich des denkbar besten Rufes,
der höchsten Achtung. Auf den Duft keuscher Naivetät, wie er
das sechszehnjährige Pensionsmägdlein umweht, müssen diese
Jüngerinnen der Wissenschaft verzichten, nicht aber auf ernste
Sittlichkeit. Die Wissenschaft hat noch nie ein Herz verderbt
und bösen Lüsten geöffnet.

Aber nicht blos die Sittlichkeit der Studentinnen selbst
soll, wenn man gewissen Stimmen trauen darf, durch die medi-
cinischen Studien der Frauen bedroht sein, sondern weit Wich-
tigeres: die Würde der Wissenschaft, die Wirksamkeit des Unter-
richtes. Die Anwesenheit junger Leute beiderlei Geschlechts bei
gewissen Vorträgen und Demonstrationen gebe den Letzteren den
Beigeschmack des Pikanten, der den wissenschaftlichen Zweck illu-
sorisch mache und die Stätte der Wissenschaft entweihe.

Auch dies klingt plausibel und ist doch zum größten Theil
unbegründet. Man muß zunächst feststellen, daß es sich hier
einzig um einige klinische und anatomische Vorträge handelt.
Nun ist aber dem Reinen Alles rein, mit anderen Worten: der-
jenige Hörer, der die Vorlesung seiner wissenschaftlichen Aus-
bildung wegen besucht, muß ein leichtfertiges, unwürdiges Subject
sein, um gewisse Präparate mit frivolem Blicke anzuschauen,
gewisse Erörterungen mit unsauberen Randglossen zu begleiten.
Unwürdig und leichtfertig aber ist unsere akademische Jugend
nicht, und wer dies im Vorhinein von ihr annimmt, thut ihr
schweres Unrecht. Außerdem kann man sich diesbezüglich auf
eine praktische Erfahrung berufen. Die Wiener Mediciner haben
in solchen gemeinsamen Collegien ihr Anstandsgefühl glänzend
documentirt, und nie haben die Professoren Veranlassung ge-
habt, auch nur über die leiseste Störung zu klagen.

Es wird hier überhaupt des Ortes sein, der Erfahrungen
zu gedenken, welche man bisher bezüglich des Verhältnisses der
Studentinnen zu ihren männlichen Collegen und zur Alma mater,
die ihnen ihre Pforten geöffnet, gemacht hat. Es ist nicht zu
leugnen: man hat leider die Gelegenheit gehabt, zu erproben,
daß die unbedingte, unbeschränkte Zulassung der Frauen mit
mancherlei Gefahren verbunden wäre, ja sogar - wenigstens,
wie die Dinge jetzt liegen - zu krassen Unzukömmlichkeiten
führen würde. Es sei mir gestattet, dies aus den Verhältnissen
der Hochschule meines Wohnorts Wien zu deduciren.

Auf die Kunde, daß man in Oestreich nicht abgewiesen
werde, machten die meisten Studentinnen aus Rußland in Wien[Spaltenumbruch]

Die Gegenwart. Nr. 25.
glaubt ihr, daß ein weibliches Wesen, welches jenen abnormen
Kraftverbrauch, den die jahrelange Arbeit in den Secirsälen mit
sich bringt, ohne Schädigung überstanden, später nach erhaltenem
Diplome zu schwach sein wird, die gewöhnliche ärztliche Praxis
auszuüben? Dazu gehört ja keine Riesenkraft, wie ja auch der
männliche Arzt nicht immer ein Riese ist.

Was aber jene „Unterbrechungen“ betrifft, so haben natür-
lich die Gegner Recht. Und zwar kommt hierbei noch viel weniger
die einmalige oder mehrmalige Pause von neun bis zehn Monaten
in Rechnung, als die fortwährende Collision der Pflichten in und
außer dem Hause. Gattin, Mutter und Arzt zugleich – das
führt gewiß nur zu der Alternative: „Entweder eine pflichtver-
gessene Gattin und Mutter oder ein pflichtvergessener Arzt!“
Wenn aber die Gegner nun gewöhnlich fortfahren: „Es müßte
also für das Fräulein Arzt die Ehelosigkeit statuirt werden, wie
für den katholischen Geistlichen,“ so schießen sie über das Ziel
hinaus. Was sich gleichsam von selbst statuirt, braucht nicht erst
durch das Gesetz vorbestimmt zu werden. Das Mädchen, welches
auf die Hochschule geht, hat eben dadurch auf die Erfüllung ihrer
natürlichen Mission verzichtet. Wird sie später, nachdem sie ihr
Ziel erreicht, von Reue darüber erfaßt, so wird diese Reue wahr-
scheinlich zu spät kommen. Gelingt es ihr aber dennoch, einen
Gatten zu finden, der das Kinderpäppeln übernimmt und sich
darüber hinwegsetzt, daß die Gattin naturgemäß die häuslichen
Pflichten nicht erfüllen kann, dann – werden sich eben die
Patienten die Sache überlegen!

„Zweien Herren kann man nicht dienen!“ Vor einiger Zeit
ging die sonderbarliche Nachricht durch die Blätter, die russische
Regierung trage sich mit dem Gedanken, nur verheiratheten
Frauen die Ausübung der Heilkunde zu gestatten! Das wäre
die zweck- und naturwidrigste Verfügung, die je irgendwo ge-
troffen worden.…

Eine zweite Gruppe von Argumenten für und gegen die
Frau als Aerztin basirt auf dem weiblichen Charakter. „Die
Frau,“ meinen die Ankläger „ist launenhaft, von geringer Aus-
dauer, ohne Ernst und Tiefe; selbst ihre Begeisterung ist eigent-
lich nur Schwärmerei, ein flackerndes Strohfeuer. Mögen diese
Schwächen auch anderweitig durch noch so viele Tugenden über-
strahlt sein, für den ärztlichen Beruf bleiben sie Todsünden!“

„Lüge und Verleumdung!“ erwiedern die Vertheidiger. „Es
gibt natürlich auch launenhafte und oberflächliche Frauen, aber
sind denn alle Männer ernst und ausdauernd? Aus den
Schwächen der Einzelnen darf keine Waffe gegen das ganze Ge-
schlecht geschmiedet werden. Wohl aber ist andererseits die milde
Geduld, die Barmherzigkeit eine so unbestrittene Tugend des
Weibes, und die Zahl der Frauen, die ihrer entrathen, ist so
gering, daß wir sie wohl als Argumente in unserem Sinne
verwerthen dürfen, denn diese Tugenden prädestiniren die
Frau, wie bisher zur Krankenpflege, so künftig zum ärztlichen
Berufe.“

Hier steht die Wahrheit von vornherein bei den Verthei-
digern. Denn wenngleich Launenhaftigkeit und „Strohfeuer“
Schwächen sind, denen wir bei Frauen ungemein oft begegnen,
so darf man ja nicht vergessen, daß nicht jede beliebige Mode-
dame von heute auf morgen Arzt werden kann. Dazu gehört
ein Diplom, und dieses will verdient sein, durch eine, die Vor-
bildung eingerechnet, nahezu vierzehnjährige unausgesetzte, ange-
strengte Thätigkeit verdient! Man wird zugeben, daß Weiber-
launen selten vierzehn Jahre währen, und wenn ein Weib solche
Ausdauer bewährt, dann brennt ihm im Herzen kein Stroh-
feuer, sondern die Flamme echter Begeisterung! … Die
Barmherzigkeit und Geduld aber sind in der That echt weib-
liche Tugenden und daher ein Argument für das „Fräulein
Doctor“.

Eine dritte Gruppe von Argumenten betrifft die Frage:
„Sprechen Gründe der öffentlichen Sittlichkeit für oder gegen
die Zulassung der Frauen als Aerzte?“ Aber diese Frage ist
für uns dadurch bereits in ihrer wichtigsten Beziehung erledigt,
indem wir die Beschränkung der Aerztin auf Frauen- und Kin-
derpraxis als unbedingt nothwendig ausgesprochen haben. Selbst[Spaltenumbruch] die begeisterten Freunde des „Fräulein Doctor“ dürften gegen
eine Verfügung des Staates, welche den Frauen die Praxis an
erwachsenen Männern kurzweg verbietet, nichts einzuwenden
haben. Läßt man diese Einschränkung gelten, dann wird die
Sittlichkeit von der Aerztin nicht gefährdet, sondern wohl sogar
gefördert. Denn es ist zweifellos, daß jede Dame, sofern sie
die Wahl zwischen einem tüchtigen Arzte und einer gleich tüch-
tigen Aerztin hat, sich in unzähligen Fällen lieber der Letzteren
anvertrauen wird.

Noch leichter wird man mit einem andern Einwand fer-
tig, der aus Gründen der Sittlichkeit gegen die „Studiosa me-
dicinae
“erhoben wird.

„Es ist notorisch,“ sagen die Gegner, „daß sich da, wo die
Studentin grassirt, zum Beispiel in Rußland, auch Viele dar-
unter finden, die nicht blos mit den „Vorurtheilen der Gesell-
schaft“, sondern auch mit den Grundsätzen der Sittlichkeit ge-
brochen haben. Den Anlaß hierzu hat sicherlich das medicinische
Studium geboten, welches dem Weibe das Schamgefühl, das
keusche Empfinden zu nehmen geeignet ist. Die Gesellschaft
hat nun freilich nicht die Verpflichtung, das einzelne Jn-
dividuum vor dem Verderben zu schützen, aber sie würde pflicht-
vergessen handeln, wollte sie einen Weg offen halten, der sicher-
lich zum Verderben führt.“

Die Erwiderung ist gleichsam von selbst gegeben. Nicht
das medicinische Studium hat unter den russischen Studentinnen
so viele Unsittlichkeit hervorgerufen, sondern der Nihilismus.
Diese Frauenzimmer wären geworden was sie sind, auch wenn
sie nie einen Hörsaal betreten hätten. Aus Amerika hört man
keine Klage dieser Art, und die wenigen, auf deutschem Boden
prakticirenden Aerztinnen erfreuen sich des denkbar besten Rufes,
der höchsten Achtung. Auf den Duft keuscher Naivetät, wie er
das sechszehnjährige Pensionsmägdlein umweht, müssen diese
Jüngerinnen der Wissenschaft verzichten, nicht aber auf ernste
Sittlichkeit. Die Wissenschaft hat noch nie ein Herz verderbt
und bösen Lüsten geöffnet.

Aber nicht blos die Sittlichkeit der Studentinnen selbst
soll, wenn man gewissen Stimmen trauen darf, durch die medi-
cinischen Studien der Frauen bedroht sein, sondern weit Wich-
tigeres: die Würde der Wissenschaft, die Wirksamkeit des Unter-
richtes. Die Anwesenheit junger Leute beiderlei Geschlechts bei
gewissen Vorträgen und Demonstrationen gebe den Letzteren den
Beigeschmack des Pikanten, der den wissenschaftlichen Zweck illu-
sorisch mache und die Stätte der Wissenschaft entweihe.

Auch dies klingt plausibel und ist doch zum größten Theil
unbegründet. Man muß zunächst feststellen, daß es sich hier
einzig um einige klinische und anatomische Vorträge handelt.
Nun ist aber dem Reinen Alles rein, mit anderen Worten: der-
jenige Hörer, der die Vorlesung seiner wissenschaftlichen Aus-
bildung wegen besucht, muß ein leichtfertiges, unwürdiges Subject
sein, um gewisse Präparate mit frivolem Blicke anzuschauen,
gewisse Erörterungen mit unsauberen Randglossen zu begleiten.
Unwürdig und leichtfertig aber ist unsere akademische Jugend
nicht, und wer dies im Vorhinein von ihr annimmt, thut ihr
schweres Unrecht. Außerdem kann man sich diesbezüglich auf
eine praktische Erfahrung berufen. Die Wiener Mediciner haben
in solchen gemeinsamen Collegien ihr Anstandsgefühl glänzend
documentirt, und nie haben die Professoren Veranlassung ge-
habt, auch nur über die leiseste Störung zu klagen.

Es wird hier überhaupt des Ortes sein, der Erfahrungen
zu gedenken, welche man bisher bezüglich des Verhältnisses der
Studentinnen zu ihren männlichen Collegen und zur Alma mater,
die ihnen ihre Pforten geöffnet, gemacht hat. Es ist nicht zu
leugnen: man hat leider die Gelegenheit gehabt, zu erproben,
daß die unbedingte, unbeschränkte Zulassung der Frauen mit
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wie die Dinge jetzt liegen – zu krassen Unzukömmlichkeiten
führen würde. Es sei mir gestattet, dies aus den Verhältnissen
der Hochschule meines Wohnorts Wien zu deduciren.

Auf die Kunde, daß man in Oestreich nicht abgewiesen
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[394/0009] Die Gegenwart. Nr. 25. glaubt ihr, daß ein weibliches Wesen, welches jenen abnormen Kraftverbrauch, den die jahrelange Arbeit in den Secirsälen mit sich bringt, ohne Schädigung überstanden, später nach erhaltenem Diplome zu schwach sein wird, die gewöhnliche ärztliche Praxis auszuüben? Dazu gehört ja keine Riesenkraft, wie ja auch der männliche Arzt nicht immer ein Riese ist. Was aber jene „Unterbrechungen“ betrifft, so haben natür- lich die Gegner Recht. Und zwar kommt hierbei noch viel weniger die einmalige oder mehrmalige Pause von neun bis zehn Monaten in Rechnung, als die fortwährende Collision der Pflichten in und außer dem Hause. Gattin, Mutter und Arzt zugleich – das führt gewiß nur zu der Alternative: „Entweder eine pflichtver- gessene Gattin und Mutter oder ein pflichtvergessener Arzt!“ Wenn aber die Gegner nun gewöhnlich fortfahren: „Es müßte also für das Fräulein Arzt die Ehelosigkeit statuirt werden, wie für den katholischen Geistlichen,“ so schießen sie über das Ziel hinaus. Was sich gleichsam von selbst statuirt, braucht nicht erst durch das Gesetz vorbestimmt zu werden. Das Mädchen, welches auf die Hochschule geht, hat eben dadurch auf die Erfüllung ihrer natürlichen Mission verzichtet. Wird sie später, nachdem sie ihr Ziel erreicht, von Reue darüber erfaßt, so wird diese Reue wahr- scheinlich zu spät kommen. Gelingt es ihr aber dennoch, einen Gatten zu finden, der das Kinderpäppeln übernimmt und sich darüber hinwegsetzt, daß die Gattin naturgemäß die häuslichen Pflichten nicht erfüllen kann, dann – werden sich eben die Patienten die Sache überlegen! „Zweien Herren kann man nicht dienen!“ Vor einiger Zeit ging die sonderbarliche Nachricht durch die Blätter, die russische Regierung trage sich mit dem Gedanken, nur verheiratheten Frauen die Ausübung der Heilkunde zu gestatten! Das wäre die zweck- und naturwidrigste Verfügung, die je irgendwo ge- troffen worden.… Eine zweite Gruppe von Argumenten für und gegen die Frau als Aerztin basirt auf dem weiblichen Charakter. „Die Frau,“ meinen die Ankläger „ist launenhaft, von geringer Aus- dauer, ohne Ernst und Tiefe; selbst ihre Begeisterung ist eigent- lich nur Schwärmerei, ein flackerndes Strohfeuer. Mögen diese Schwächen auch anderweitig durch noch so viele Tugenden über- strahlt sein, für den ärztlichen Beruf bleiben sie Todsünden!“ „Lüge und Verleumdung!“ erwiedern die Vertheidiger. „Es gibt natürlich auch launenhafte und oberflächliche Frauen, aber sind denn alle Männer ernst und ausdauernd? Aus den Schwächen der Einzelnen darf keine Waffe gegen das ganze Ge- schlecht geschmiedet werden. Wohl aber ist andererseits die milde Geduld, die Barmherzigkeit eine so unbestrittene Tugend des Weibes, und die Zahl der Frauen, die ihrer entrathen, ist so gering, daß wir sie wohl als Argumente in unserem Sinne verwerthen dürfen, denn diese Tugenden prädestiniren die Frau, wie bisher zur Krankenpflege, so künftig zum ärztlichen Berufe.“ Hier steht die Wahrheit von vornherein bei den Verthei- digern. Denn wenngleich Launenhaftigkeit und „Strohfeuer“ Schwächen sind, denen wir bei Frauen ungemein oft begegnen, so darf man ja nicht vergessen, daß nicht jede beliebige Mode- dame von heute auf morgen Arzt werden kann. Dazu gehört ein Diplom, und dieses will verdient sein, durch eine, die Vor- bildung eingerechnet, nahezu vierzehnjährige unausgesetzte, ange- strengte Thätigkeit verdient! Man wird zugeben, daß Weiber- launen selten vierzehn Jahre währen, und wenn ein Weib solche Ausdauer bewährt, dann brennt ihm im Herzen kein Stroh- feuer, sondern die Flamme echter Begeisterung! … Die Barmherzigkeit und Geduld aber sind in der That echt weib- liche Tugenden und daher ein Argument für das „Fräulein Doctor“. Eine dritte Gruppe von Argumenten betrifft die Frage: „Sprechen Gründe der öffentlichen Sittlichkeit für oder gegen die Zulassung der Frauen als Aerzte?“ Aber diese Frage ist für uns dadurch bereits in ihrer wichtigsten Beziehung erledigt, indem wir die Beschränkung der Aerztin auf Frauen- und Kin- derpraxis als unbedingt nothwendig ausgesprochen haben. Selbst die begeisterten Freunde des „Fräulein Doctor“ dürften gegen eine Verfügung des Staates, welche den Frauen die Praxis an erwachsenen Männern kurzweg verbietet, nichts einzuwenden haben. Läßt man diese Einschränkung gelten, dann wird die Sittlichkeit von der Aerztin nicht gefährdet, sondern wohl sogar gefördert. Denn es ist zweifellos, daß jede Dame, sofern sie die Wahl zwischen einem tüchtigen Arzte und einer gleich tüch- tigen Aerztin hat, sich in unzähligen Fällen lieber der Letzteren anvertrauen wird. Noch leichter wird man mit einem andern Einwand fer- tig, der aus Gründen der Sittlichkeit gegen die „Studiosa me- dicinae“erhoben wird. „Es ist notorisch,“ sagen die Gegner, „daß sich da, wo die Studentin grassirt, zum Beispiel in Rußland, auch Viele dar- unter finden, die nicht blos mit den „Vorurtheilen der Gesell- schaft“, sondern auch mit den Grundsätzen der Sittlichkeit ge- brochen haben. Den Anlaß hierzu hat sicherlich das medicinische Studium geboten, welches dem Weibe das Schamgefühl, das keusche Empfinden zu nehmen geeignet ist. Die Gesellschaft hat nun freilich nicht die Verpflichtung, das einzelne Jn- dividuum vor dem Verderben zu schützen, aber sie würde pflicht- vergessen handeln, wollte sie einen Weg offen halten, der sicher- lich zum Verderben führt.“ Die Erwiderung ist gleichsam von selbst gegeben. Nicht das medicinische Studium hat unter den russischen Studentinnen so viele Unsittlichkeit hervorgerufen, sondern der Nihilismus. Diese Frauenzimmer wären geworden was sie sind, auch wenn sie nie einen Hörsaal betreten hätten. Aus Amerika hört man keine Klage dieser Art, und die wenigen, auf deutschem Boden prakticirenden Aerztinnen erfreuen sich des denkbar besten Rufes, der höchsten Achtung. Auf den Duft keuscher Naivetät, wie er das sechszehnjährige Pensionsmägdlein umweht, müssen diese Jüngerinnen der Wissenschaft verzichten, nicht aber auf ernste Sittlichkeit. Die Wissenschaft hat noch nie ein Herz verderbt und bösen Lüsten geöffnet. Aber nicht blos die Sittlichkeit der Studentinnen selbst soll, wenn man gewissen Stimmen trauen darf, durch die medi- cinischen Studien der Frauen bedroht sein, sondern weit Wich- tigeres: die Würde der Wissenschaft, die Wirksamkeit des Unter- richtes. Die Anwesenheit junger Leute beiderlei Geschlechts bei gewissen Vorträgen und Demonstrationen gebe den Letzteren den Beigeschmack des Pikanten, der den wissenschaftlichen Zweck illu- sorisch mache und die Stätte der Wissenschaft entweihe. Auch dies klingt plausibel und ist doch zum größten Theil unbegründet. Man muß zunächst feststellen, daß es sich hier einzig um einige klinische und anatomische Vorträge handelt. Nun ist aber dem Reinen Alles rein, mit anderen Worten: der- jenige Hörer, der die Vorlesung seiner wissenschaftlichen Aus- bildung wegen besucht, muß ein leichtfertiges, unwürdiges Subject sein, um gewisse Präparate mit frivolem Blicke anzuschauen, gewisse Erörterungen mit unsauberen Randglossen zu begleiten. Unwürdig und leichtfertig aber ist unsere akademische Jugend nicht, und wer dies im Vorhinein von ihr annimmt, thut ihr schweres Unrecht. Außerdem kann man sich diesbezüglich auf eine praktische Erfahrung berufen. Die Wiener Mediciner haben in solchen gemeinsamen Collegien ihr Anstandsgefühl glänzend documentirt, und nie haben die Professoren Veranlassung ge- habt, auch nur über die leiseste Störung zu klagen. Es wird hier überhaupt des Ortes sein, der Erfahrungen zu gedenken, welche man bisher bezüglich des Verhältnisses der Studentinnen zu ihren männlichen Collegen und zur Alma mater, die ihnen ihre Pforten geöffnet, gemacht hat. Es ist nicht zu leugnen: man hat leider die Gelegenheit gehabt, zu erproben, daß die unbedingte, unbeschränkte Zulassung der Frauen mit mancherlei Gefahren verbunden wäre, ja sogar – wenigstens, wie die Dinge jetzt liegen – zu krassen Unzukömmlichkeiten führen würde. Es sei mir gestattet, dies aus den Verhältnissen der Hochschule meines Wohnorts Wien zu deduciren. Auf die Kunde, daß man in Oestreich nicht abgewiesen werde, machten die meisten Studentinnen aus Rußland in Wien

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Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-09-22T15:58:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-09-22T15:58:55Z)

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Zitationshilfe: Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395, hier S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/franzos_studenten_1881/9>, abgerufen am 24.11.2024.