Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

ter, als ich ihn vorausgefühlt hatte. Die grausigen
Bilder des vorjährigen Rückzugs, deren Einzelnheiten
mir erst in der Heimath deutlich wurden, ließen ein
Nimmerwiedersehen ahnen. Meine arme Mutter er¬
lag fast der Anstrengung, sich als standhafte Solda¬
tenfrau zu behaupten. Sie lächelte über den Trost¬
spruch des ehrlichen Purzel; -- des letzten Purzel im
Reckenburg'schen Dienst; -- "Nur guten Muth, gnä¬
dige Frau. Ich sorge schon. Es passirt ihm nichts;
und passirt ihm doch was, dann komme ich gleich und
melde Post." Sie lächelte und bedachte das kleinste
Bedürfniß, das einem Verwundeten oder Kranken die¬
nen kann. Aber ihre zarte Gesundheit hatte sich von
den Schmerzen und Sorgen der Trennungsjahre nicht
wieder erholt.

Am Vorabend des Abmarsches ging ich zu Do¬
rothee, die sich in ihrem Mädchenstübchen ganz woh¬
lig wieder eingenistet hatte, und hob ohne Umschweif
an: "Ich sehe ein, Dorothee, daß Du zu einem frei¬
willigen Bekenntniß niemals das Herz haben wirst.
Gestatte mir daher, Dein Geheimniß meinem Vater
anzuvertrauen. Die sächsische Armee steht mit der
preußischen vereint in dem Lager vor Mainz. Sieg¬
mund Faber wird dort leicht aufzufinden, der Vater

ter, als ich ihn vorausgefühlt hatte. Die grauſigen
Bilder des vorjährigen Rückzugs, deren Einzelnheiten
mir erſt in der Heimath deutlich wurden, ließen ein
Nimmerwiederſehen ahnen. Meine arme Mutter er¬
lag faſt der Anſtrengung, ſich als ſtandhafte Solda¬
tenfrau zu behaupten. Sie lächelte über den Troſt¬
ſpruch des ehrlichen Purzel; — des letzten Purzel im
Reckenburg’ſchen Dienſt; — „Nur guten Muth, gnä¬
dige Frau. Ich ſorge ſchon. Es paſſirt ihm nichts;
und paſſirt ihm doch was, dann komme ich gleich und
melde Poſt.“ Sie lächelte und bedachte das kleinſte
Bedürfniß, das einem Verwundeten oder Kranken die¬
nen kann. Aber ihre zarte Geſundheit hatte ſich von
den Schmerzen und Sorgen der Trennungsjahre nicht
wieder erholt.

Am Vorabend des Abmarſches ging ich zu Do¬
rothee, die ſich in ihrem Mädchenſtübchen ganz woh¬
lig wieder eingeniſtet hatte, und hob ohne Umſchweif
an: „Ich ſehe ein, Dorothee, daß Du zu einem frei¬
willigen Bekenntniß niemals das Herz haben wirſt.
Geſtatte mir daher, Dein Geheimniß meinem Vater
anzuvertrauen. Die ſächſiſche Armee ſteht mit der
preußiſchen vereint in dem Lager vor Mainz. Sieg¬
mund Faber wird dort leicht aufzufinden, der Vater

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0045" n="41"/>
ter, als ich ihn vorausgefühlt hatte. Die grau&#x017F;igen<lb/>
Bilder des vorjährigen Rückzugs, deren Einzelnheiten<lb/>
mir er&#x017F;t in der Heimath deutlich wurden, ließen ein<lb/>
Nimmerwieder&#x017F;ehen ahnen. Meine arme Mutter er¬<lb/>
lag fa&#x017F;t der An&#x017F;trengung, &#x017F;ich als &#x017F;tandhafte Solda¬<lb/>
tenfrau zu behaupten. Sie lächelte über den Tro&#x017F;<lb/>
&#x017F;pruch des ehrlichen Purzel; &#x2014; des letzten Purzel im<lb/>
Reckenburg&#x2019;&#x017F;chen Dien&#x017F;t; &#x2014; &#x201E;Nur guten Muth, gnä¬<lb/>
dige Frau. Ich &#x017F;orge &#x017F;chon. Es pa&#x017F;&#x017F;irt ihm nichts;<lb/>
und pa&#x017F;&#x017F;irt ihm doch was, dann komme ich gleich und<lb/>
melde Po&#x017F;t.&#x201C; Sie lächelte und bedachte das klein&#x017F;te<lb/>
Bedürfniß, das einem Verwundeten oder Kranken die¬<lb/>
nen kann. Aber ihre zarte Ge&#x017F;undheit hatte &#x017F;ich von<lb/>
den Schmerzen und Sorgen der Trennungsjahre nicht<lb/>
wieder erholt.</p><lb/>
        <p>Am Vorabend des Abmar&#x017F;ches ging ich zu Do¬<lb/>
rothee, die &#x017F;ich in ihrem Mädchen&#x017F;tübchen ganz woh¬<lb/>
lig wieder eingeni&#x017F;tet hatte, und hob ohne Um&#x017F;chweif<lb/>
an: &#x201E;Ich &#x017F;ehe ein, Dorothee, daß Du zu einem frei¬<lb/>
willigen Bekenntniß niemals das Herz haben wir&#x017F;t.<lb/>
Ge&#x017F;tatte mir daher, Dein Geheimniß meinem Vater<lb/>
anzuvertrauen. Die &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;che Armee &#x017F;teht mit der<lb/>
preußi&#x017F;chen vereint in dem Lager vor Mainz. Sieg¬<lb/>
mund Faber wird dort leicht aufzufinden, der Vater<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0045] ter, als ich ihn vorausgefühlt hatte. Die grauſigen Bilder des vorjährigen Rückzugs, deren Einzelnheiten mir erſt in der Heimath deutlich wurden, ließen ein Nimmerwiederſehen ahnen. Meine arme Mutter er¬ lag faſt der Anſtrengung, ſich als ſtandhafte Solda¬ tenfrau zu behaupten. Sie lächelte über den Troſt¬ ſpruch des ehrlichen Purzel; — des letzten Purzel im Reckenburg’ſchen Dienſt; — „Nur guten Muth, gnä¬ dige Frau. Ich ſorge ſchon. Es paſſirt ihm nichts; und paſſirt ihm doch was, dann komme ich gleich und melde Poſt.“ Sie lächelte und bedachte das kleinſte Bedürfniß, das einem Verwundeten oder Kranken die¬ nen kann. Aber ihre zarte Geſundheit hatte ſich von den Schmerzen und Sorgen der Trennungsjahre nicht wieder erholt. Am Vorabend des Abmarſches ging ich zu Do¬ rothee, die ſich in ihrem Mädchenſtübchen ganz woh¬ lig wieder eingeniſtet hatte, und hob ohne Umſchweif an: „Ich ſehe ein, Dorothee, daß Du zu einem frei¬ willigen Bekenntniß niemals das Herz haben wirſt. Geſtatte mir daher, Dein Geheimniß meinem Vater anzuvertrauen. Die ſächſiſche Armee ſteht mit der preußiſchen vereint in dem Lager vor Mainz. Sieg¬ mund Faber wird dort leicht aufzufinden, der Vater

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/45
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/45>, abgerufen am 21.11.2024.