nicht die Enkelin Dorotheens, es war einfach das Kind, das sich in das sehnende Herz genistet hatte.
An jenem Abende nun sah ich in meinem Kinde, -- zwar auch nicht die Enkelin Dorotheens -- aber zum erstenmale die Enkelin des Mannes, zu dessen Erbe die alte Reckenburgerin den Stammsitz ihrer Väter neu geschaffen hatte, des Mannes, der, hätte er ge¬ lebt, der geliebten Mutter seines Sohnes in diesem Erbe eine Heimath bereitet haben würde. Mir war zu Sinn, als ob ich nur ein Treugut für die recht¬ mäßige Besitzerin verwaltet habe.
Unter diesen alten Erinnerungen und neuen Vor¬ stellungen schlief ich endlich ein und -- träumte.
Ich bin in meinem Leben, weder wachend noch schlummernd, viel von Traumgesichten behelligt oder beseligt worden, und ich brauche auch nicht zu ver¬ sichern, meine Kinder, daß ich mich für nichts weni¬ ger, als eine Visionairin halte. Ich war an jenem Abend bewegt wohl, doch ohne Aufregung, kerngesund eingeschlafen, und kerngesund, wie noch in gegenwär¬ tiger Stunde, wachte ich am anderen Morgen auf; aber mit dem deutlichen Bewußtsein eines Traums.
Welches Traums? Mich däucht, ich hätte ihn malen können, könnte ihn heute noch malen, und doch
nicht die Enkelin Dorotheens, es war einfach das Kind, das ſich in das ſehnende Herz geniſtet hatte.
An jenem Abende nun ſah ich in meinem Kinde, — zwar auch nicht die Enkelin Dorotheens — aber zum erſtenmale die Enkelin des Mannes, zu deſſen Erbe die alte Reckenburgerin den Stammſitz ihrer Väter neu geſchaffen hatte, des Mannes, der, hätte er ge¬ lebt, der geliebten Mutter ſeines Sohnes in dieſem Erbe eine Heimath bereitet haben würde. Mir war zu Sinn, als ob ich nur ein Treugut für die recht¬ mäßige Beſitzerin verwaltet habe.
Unter dieſen alten Erinnerungen und neuen Vor¬ ſtellungen ſchlief ich endlich ein und — träumte.
Ich bin in meinem Leben, weder wachend noch ſchlummernd, viel von Traumgeſichten behelligt oder beſeligt worden, und ich brauche auch nicht zu ver¬ ſichern, meine Kinder, daß ich mich für nichts weni¬ ger, als eine Viſionairin halte. Ich war an jenem Abend bewegt wohl, doch ohne Aufregung, kerngeſund eingeſchlafen, und kerngeſund, wie noch in gegenwär¬ tiger Stunde, wachte ich am anderen Morgen auf; aber mit dem deutlichen Bewußtſein eines Traums.
Welches Traums? Mich däucht, ich hätte ihn malen können, könnte ihn heute noch malen, und doch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0267"n="263"/>
nicht die Enkelin Dorotheens, es war einfach das Kind,<lb/>
das ſich in das ſehnende Herz geniſtet hatte.</p><lb/><p>An jenem Abende nun ſah ich in meinem Kinde, —<lb/>
zwar auch nicht die Enkelin Dorotheens — aber zum<lb/>
erſtenmale die Enkelin des Mannes, zu deſſen Erbe<lb/>
die alte Reckenburgerin den Stammſitz ihrer Väter<lb/>
neu geſchaffen hatte, des Mannes, der, hätte er ge¬<lb/>
lebt, der geliebten Mutter ſeines Sohnes in dieſem<lb/>
Erbe eine Heimath bereitet haben würde. Mir war<lb/>
zu Sinn, als ob ich nur ein Treugut für die recht¬<lb/>
mäßige Beſitzerin verwaltet habe.</p><lb/><p>Unter dieſen alten Erinnerungen und neuen Vor¬<lb/>ſtellungen ſchlief ich endlich ein und — träumte.</p><lb/><p>Ich bin in meinem Leben, weder wachend noch<lb/>ſchlummernd, viel von Traumgeſichten behelligt oder<lb/>
beſeligt worden, und ich brauche auch nicht zu ver¬<lb/>ſichern, meine Kinder, daß ich mich für nichts weni¬<lb/>
ger, als eine Viſionairin halte. Ich war an jenem<lb/>
Abend bewegt wohl, doch ohne Aufregung, kerngeſund<lb/>
eingeſchlafen, und kerngeſund, wie noch in gegenwär¬<lb/>
tiger Stunde, wachte ich am anderen Morgen auf;<lb/>
aber mit dem deutlichen Bewußtſein eines Traums.</p><lb/><p>Welches Traums? Mich däucht, ich hätte ihn<lb/>
malen können, könnte ihn heute noch malen, und doch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[263/0267]
nicht die Enkelin Dorotheens, es war einfach das Kind,
das ſich in das ſehnende Herz geniſtet hatte.
An jenem Abende nun ſah ich in meinem Kinde, —
zwar auch nicht die Enkelin Dorotheens — aber zum
erſtenmale die Enkelin des Mannes, zu deſſen Erbe
die alte Reckenburgerin den Stammſitz ihrer Väter
neu geſchaffen hatte, des Mannes, der, hätte er ge¬
lebt, der geliebten Mutter ſeines Sohnes in dieſem
Erbe eine Heimath bereitet haben würde. Mir war
zu Sinn, als ob ich nur ein Treugut für die recht¬
mäßige Beſitzerin verwaltet habe.
Unter dieſen alten Erinnerungen und neuen Vor¬
ſtellungen ſchlief ich endlich ein und — träumte.
Ich bin in meinem Leben, weder wachend noch
ſchlummernd, viel von Traumgeſichten behelligt oder
beſeligt worden, und ich brauche auch nicht zu ver¬
ſichern, meine Kinder, daß ich mich für nichts weni¬
ger, als eine Viſionairin halte. Ich war an jenem
Abend bewegt wohl, doch ohne Aufregung, kerngeſund
eingeſchlafen, und kerngeſund, wie noch in gegenwär¬
tiger Stunde, wachte ich am anderen Morgen auf;
aber mit dem deutlichen Bewußtſein eines Traums.
Welches Traums? Mich däucht, ich hätte ihn
malen können, könnte ihn heute noch malen, und doch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/267>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.