dieser zartgeschonten Hände den ausgesprochenen Ent¬ schluß belächelt haben. In der gegenwärtigen sagte ich nur: "So schreibe ihm heute noch, Dorothee, be¬ kenn' ihm die Wahrheit und empfange Dein Schicksal aus seiner Hand."
Sie fuhr in die Höhe mit einer Heftigkeit, die ich niemals an ihr gekannt hatte. "Ihm schreiben und heute noch!" rief sie. "Ihm Alles sagen, ihm, ihm! Nein, das verlangen Sie nicht, nur das Eine nicht, Fräulein Hardine, das kann ich nicht."
"Nun denn, so will ich es thun an Deiner Statt," sagte ich.
"Würde ein Brief ihn treffen, Fräulein Hardine," entgegnete sie. Es sind zehn Tage, daß er schrieb, eine eben
so lange Zeit müßte vergehen -- -- und lebt er denn noch? Und wo? Und wie?"
Sie hatte Recht. Wo stand die Armee in dieser Stunde? Vorwärts, in Feindesland? rückwärts, am Rhein? Ein eintreffender Brief konnte bei so un¬ sicheren Zeitläuften ein wahres Wunder genannt wer¬ den. Und durfte ich ein solches Geheimniß der Ver¬ schleuderung und einer fremden Entdeckung preisgeben? Nein. Wir mußten weitere Nachricht von oder über Faber erwarten.
dieſer zartgeſchonten Hände den ausgeſprochenen Ent¬ ſchluß belächelt haben. In der gegenwärtigen ſagte ich nur: „So ſchreibe ihm heute noch, Dorothee, be¬ kenn’ ihm die Wahrheit und empfange Dein Schickſal aus ſeiner Hand.“
Sie fuhr in die Höhe mit einer Heftigkeit, die ich niemals an ihr gekannt hatte. „Ihm ſchreiben und heute noch!“ rief ſie. „Ihm Alles ſagen, ihm, ihm! Nein, das verlangen Sie nicht, nur das Eine nicht, Fräulein Hardine, das kann ich nicht.“
„Nun denn, ſo will ich es thun an Deiner Statt,“ ſagte ich.
„Würde ein Brief ihn treffen, Fräulein Hardine,“ entgegnete ſie. Es ſind zehn Tage, daß er ſchrieb, eine eben
ſo lange Zeit müßte vergehen — — und lebt er denn noch? Und wo? Und wie?“
Sie hatte Recht. Wo ſtand die Armee in dieſer Stunde? Vorwärts, in Feindesland? rückwärts, am Rhein? Ein eintreffender Brief konnte bei ſo un¬ ſicheren Zeitläuften ein wahres Wunder genannt wer¬ den. Und durfte ich ein ſolches Geheimniß der Ver¬ ſchleuderung und einer fremden Entdeckung preisgeben? Nein. Wir mußten weitere Nachricht von oder über Faber erwarten.
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dieſer zartgeſchonten Hände den ausgeſprochenen Ent¬
ſchluß belächelt haben. In der gegenwärtigen ſagte
ich nur: „So ſchreibe ihm heute noch, Dorothee, be¬
kenn’ ihm die Wahrheit und empfange Dein Schickſal
aus ſeiner Hand.“
Sie fuhr in die Höhe mit einer Heftigkeit, die
ich niemals an ihr gekannt hatte. „Ihm ſchreiben
und heute noch!“ rief ſie. „Ihm Alles ſagen, ihm,
ihm! Nein, das verlangen Sie nicht, nur das Eine
nicht, Fräulein Hardine, das kann ich nicht.“
„Nun denn, ſo will ich es thun an Deiner Statt,“
ſagte ich.
„Würde ein Brief ihn treffen, Fräulein Hardine,“
entgegnete ſie. Es ſind zehn Tage, daß er ſchrieb, eine eben
ſo lange Zeit müßte vergehen — — und lebt er denn
noch? Und wo? Und wie?“
Sie hatte Recht. Wo ſtand die Armee in dieſer
Stunde? Vorwärts, in Feindesland? rückwärts, am
Rhein? Ein eintreffender Brief konnte bei ſo un¬
ſicheren Zeitläuften ein wahres Wunder genannt wer¬
den. Und durfte ich ein ſolches Geheimniß der Ver¬
ſchleuderung und einer fremden Entdeckung preisgeben?
Nein. Wir mußten weitere Nachricht von oder über
Faber erwarten.
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/25>, abgerufen am 16.02.2025.
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