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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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sie die Eisblase ab, die man auf dem Kopfe fest¬
zuhalten suchte. Das einst goldige Haar hing wie
eine Silberwelle, von geschmolzenen Eistropfen über¬
perlt, an den Schläfen herab, das Antlitz glich einer
schneeigen Blüthe und die erweiterten Augen flogen in
ruhelosem Flimmer auf und nieder. Das unglückselige
Weib, im fünfzigsten Jahre, in den Banden des
Wahnsinns, an der Pforte des Grabes war noch
immer schön; ja, mich dünkte, ich hätte es niemals
schöner gesehen als in diesem Aufruhr der heimlichsten
Natur.

Ich bedeutete die Wärterinnen, ihr fruchtloses
Bemühen aufzugeben; sie zogen sich zurück und ich
setzte mich auf einen Stuhl am Bette. Der Mann
lauschte verborgen im Hintergrunde, kein Athemzug ging
durch den Raum.

Eine lange Weile bemerkte sie mich nicht; sie
hatte einen ihrer ruhigen Momente; geschäftig bündelte
sie die Eisblase, die sie sich vom Kopfe gerissen, in ein
Tuch und preßte sie an ihr Herz. "Hu, hu, wie kalt!"
murmelte sie schaudernd, "wie kalt!" Ich trat dicht
an sie heran, ergriff ihre beiden Hände und senkte
meine Augen fest in die ihren. "Kennst Du mich
noch, Dorothee?" fragte ich.

ſie die Eisblaſe ab, die man auf dem Kopfe feſt¬
zuhalten ſuchte. Das einſt goldige Haar hing wie
eine Silberwelle, von geſchmolzenen Eistropfen über¬
perlt, an den Schläfen herab, das Antlitz glich einer
ſchneeigen Blüthe und die erweiterten Augen flogen in
ruheloſem Flimmer auf und nieder. Das unglückſelige
Weib, im fünfzigſten Jahre, in den Banden des
Wahnſinns, an der Pforte des Grabes war noch
immer ſchön; ja, mich dünkte, ich hätte es niemals
ſchöner geſehen als in dieſem Aufruhr der heimlichſten
Natur.

Ich bedeutete die Wärterinnen, ihr fruchtloſes
Bemühen aufzugeben; ſie zogen ſich zurück und ich
ſetzte mich auf einen Stuhl am Bette. Der Mann
lauſchte verborgen im Hintergrunde, kein Athemzug ging
durch den Raum.

Eine lange Weile bemerkte ſie mich nicht; ſie
hatte einen ihrer ruhigen Momente; geſchäftig bündelte
ſie die Eisblaſe, die ſie ſich vom Kopfe geriſſen, in ein
Tuch und preßte ſie an ihr Herz. „Hu, hu, wie kalt!“
murmelte ſie ſchaudernd, „wie kalt!“ Ich trat dicht
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meine Augen feſt in die ihren. „Kennſt Du mich
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[204/0208] ſie die Eisblaſe ab, die man auf dem Kopfe feſt¬ zuhalten ſuchte. Das einſt goldige Haar hing wie eine Silberwelle, von geſchmolzenen Eistropfen über¬ perlt, an den Schläfen herab, das Antlitz glich einer ſchneeigen Blüthe und die erweiterten Augen flogen in ruheloſem Flimmer auf und nieder. Das unglückſelige Weib, im fünfzigſten Jahre, in den Banden des Wahnſinns, an der Pforte des Grabes war noch immer ſchön; ja, mich dünkte, ich hätte es niemals ſchöner geſehen als in dieſem Aufruhr der heimlichſten Natur. Ich bedeutete die Wärterinnen, ihr fruchtloſes Bemühen aufzugeben; ſie zogen ſich zurück und ich ſetzte mich auf einen Stuhl am Bette. Der Mann lauſchte verborgen im Hintergrunde, kein Athemzug ging durch den Raum. Eine lange Weile bemerkte ſie mich nicht; ſie hatte einen ihrer ruhigen Momente; geſchäftig bündelte ſie die Eisblaſe, die ſie ſich vom Kopfe geriſſen, in ein Tuch und preßte ſie an ihr Herz. „Hu, hu, wie kalt!“ murmelte ſie ſchaudernd, „wie kalt!“ Ich trat dicht an ſie heran, ergriff ihre beiden Hände und ſenkte meine Augen feſt in die ihren. „Kennſt Du mich noch, Dorothee?“ fragte ich.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/208>, abgerufen am 27.11.2024.