Tüchern einen Knäuel, preßt ihn an ihr Herz und liebkost ihn wie eine Mutter ihr Kind: bald aber zer¬ reißt sie mit der Kraft der Raserei den Balg in Stücken, schleudert ihn von sich, schreit auf, sieht sich -- oder wen? -- in einer teuflischen Umgebung, die sie "die Schwarzen" nennt und kann nur mit Zwangs¬ mitteln zurückgehalten werden, eine gewaltsame Befrei¬ ung aus dieser Seelenqual zu suchen. Und dennoch, dennoch, sollten Sie es glauben, Fräulein Hardine? das engelhafte Gemüth hat sich auch in diesem Aeußersten nicht bemeistern lassen. Vor dem trostlosen Gatten möchte sie ihre Folter auch jetzt noch verheim¬ lichen. "Still, still!" flüstert sie, so oft ich mich nahe. Da aber die Angst stärker ist als der Wille, wird sie immer unruhiger, windet sich, bäumt sich, stöhnt, bis ich mich entferne und sie wie erlöst aufathmet, um bald von Neuem von dem gemordeten Knaben und den Schwarzen verfolgt zu werden."
Wir traten in das Krankenzimmer. Es war tageshell erleuchtet, denn die bedrohenden Gespenster wuchsen in der Dunkelheit. Zwei baumstarke Wär¬ terinnen versahen den Dienst. Dorothee saß im Bett in unzähmbarer Unruhe. Mit der einen Hand stieß sie eine calmirende Arznei zurück, mit der anderen riß
Tüchern einen Knäuel, preßt ihn an ihr Herz und liebkoſt ihn wie eine Mutter ihr Kind: bald aber zer¬ reißt ſie mit der Kraft der Raſerei den Balg in Stücken, ſchleudert ihn von ſich, ſchreit auf, ſieht ſich — oder wen? — in einer teufliſchen Umgebung, die ſie „die Schwarzen“ nennt und kann nur mit Zwangs¬ mitteln zurückgehalten werden, eine gewaltſame Befrei¬ ung aus dieſer Seelenqual zu ſuchen. Und dennoch, dennoch, ſollten Sie es glauben, Fräulein Hardine? das engelhafte Gemüth hat ſich auch in dieſem Aeußerſten nicht bemeiſtern laſſen. Vor dem troſtloſen Gatten möchte ſie ihre Folter auch jetzt noch verheim¬ lichen. „Still, ſtill!“ flüſtert ſie, ſo oft ich mich nahe. Da aber die Angſt ſtärker iſt als der Wille, wird ſie immer unruhiger, windet ſich, bäumt ſich, ſtöhnt, bis ich mich entferne und ſie wie erlöſt aufathmet, um bald von Neuem von dem gemordeten Knaben und den Schwarzen verfolgt zu werden.“
Wir traten in das Krankenzimmer. Es war tageshell erleuchtet, denn die bedrohenden Geſpenſter wuchſen in der Dunkelheit. Zwei baumſtarke Wär¬ terinnen verſahen den Dienſt. Dorothee ſaß im Bett in unzähmbarer Unruhe. Mit der einen Hand ſtieß ſie eine calmirende Arznei zurück, mit der anderen riß
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Tüchern einen Knäuel, preßt ihn an ihr Herz und
liebkoſt ihn wie eine Mutter ihr Kind: bald aber zer¬
reißt ſie mit der Kraft der Raſerei den Balg in
Stücken, ſchleudert ihn von ſich, ſchreit auf, ſieht ſich
— oder wen? — in einer teufliſchen Umgebung, die
ſie „die Schwarzen“ nennt und kann nur mit Zwangs¬
mitteln zurückgehalten werden, eine gewaltſame Befrei¬
ung aus dieſer Seelenqual zu ſuchen. Und dennoch,
dennoch, ſollten Sie es glauben, Fräulein Hardine?
das engelhafte Gemüth hat ſich auch in dieſem
Aeußerſten nicht bemeiſtern laſſen. Vor dem troſtloſen
Gatten möchte ſie ihre Folter auch jetzt noch verheim¬
lichen. „Still, ſtill!“ flüſtert ſie, ſo oft ich mich nahe.
Da aber die Angſt ſtärker iſt als der Wille, wird ſie
immer unruhiger, windet ſich, bäumt ſich, ſtöhnt, bis
ich mich entferne und ſie wie erlöſt aufathmet, um
bald von Neuem von dem gemordeten Knaben und
den Schwarzen verfolgt zu werden.“
Wir traten in das Krankenzimmer. Es war
tageshell erleuchtet, denn die bedrohenden Geſpenſter
wuchſen in der Dunkelheit. Zwei baumſtarke Wär¬
terinnen verſahen den Dienſt. Dorothee ſaß im Bett
in unzähmbarer Unruhe. Mit der einen Hand ſtieß
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/207>, abgerufen am 16.02.2025.
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