eigenen Ausfüllung -- den Vorschlag machte, eine Soldatenwaise zu adoptiren, da war ein Krampfanfall ihre Antwort, und nachdem die Sprache wieder zurück¬ gekehrt war, sagte sie nichts als mit der flehendsten Geberde: "Bitte, bitte -- nein!"
"Man gewöhnt sich an solchen Zustand, Fräulein Hardine. Mein Berufsleben wurde immer absor¬ birender. Ich war häufig auf Reisen und wenn in Ber¬ lin, oft nur minutenweise in meinem Hause anwesend. Da bemerkte ich es denn kaum, daß sie von Jahr zu Jahr stiller und in sich gekehrter ward, ja daß wohl Tage vergingen, ohne daß ich einen Laut von ihren Lippen vernahm. Das Alter macht naturgemäß schweigsam; und was hätten wir im Grunde uns auch mitzutheilen gehabt? Sie erlebte zu wenig und ich zu viel, aber doch nicht das, was zu häuslichem Aus¬ tausch sich eignete. Die beängstenden Zufälle hörten allmälig auf, ich fühlte mich beruhigt, -- bis, ja es mögen jetzt drei Monate sein.
"Da konnte ich mir denn nicht länger verbergen, daß die stumme Apathie in eine seltsame Aufregung umgeschlagen war. Sie ging den ganzen Tag im Zimmer auf und ab und saß die Nächte mit offenen Augen in ihrem Bette, oder ich traf sie wohl auch
eigenen Ausfüllung — den Vorſchlag machte, eine Soldatenwaiſe zu adoptiren, da war ein Krampfanfall ihre Antwort, und nachdem die Sprache wieder zurück¬ gekehrt war, ſagte ſie nichts als mit der flehendſten Geberde: „Bitte, bitte — nein!“
„Man gewöhnt ſich an ſolchen Zuſtand, Fräulein Hardine. Mein Berufsleben wurde immer abſor¬ birender. Ich war häufig auf Reiſen und wenn in Ber¬ lin, oft nur minutenweiſe in meinem Hauſe anweſend. Da bemerkte ich es denn kaum, daß ſie von Jahr zu Jahr ſtiller und in ſich gekehrter ward, ja daß wohl Tage vergingen, ohne daß ich einen Laut von ihren Lippen vernahm. Das Alter macht naturgemäß ſchweigſam; und was hätten wir im Grunde uns auch mitzutheilen gehabt? Sie erlebte zu wenig und ich zu viel, aber doch nicht das, was zu häuslichem Aus¬ tauſch ſich eignete. Die beängſtenden Zufälle hörten allmälig auf, ich fühlte mich beruhigt, — bis, ja es mögen jetzt drei Monate ſein.
„Da konnte ich mir denn nicht länger verbergen, daß die ſtumme Apathie in eine ſeltſame Aufregung umgeſchlagen war. Sie ging den ganzen Tag im Zimmer auf und ab und ſaß die Nächte mit offenen Augen in ihrem Bette, oder ich traf ſie wohl auch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0204"n="200"/>
eigenen Ausfüllung — den Vorſchlag machte, eine<lb/>
Soldatenwaiſe zu adoptiren, da war ein Krampfanfall<lb/>
ihre Antwort, und nachdem die Sprache wieder zurück¬<lb/>
gekehrt war, ſagte ſie nichts als mit der flehendſten<lb/>
Geberde: „Bitte, bitte — nein!“</p><lb/><p>„Man gewöhnt ſich an ſolchen Zuſtand, Fräulein<lb/>
Hardine. Mein Berufsleben wurde immer abſor¬<lb/>
birender. Ich war häufig auf Reiſen und wenn in Ber¬<lb/>
lin, oft nur minutenweiſe in meinem Hauſe anweſend.<lb/>
Da bemerkte ich es denn kaum, daß ſie von Jahr zu<lb/>
Jahr ſtiller und in ſich gekehrter ward, ja daß wohl<lb/>
Tage vergingen, ohne daß ich einen Laut von ihren<lb/>
Lippen vernahm. Das Alter macht naturgemäß<lb/>ſchweigſam; und was hätten wir im Grunde uns auch<lb/>
mitzutheilen gehabt? Sie erlebte zu wenig und ich zu<lb/>
viel, aber doch nicht das, was zu häuslichem Aus¬<lb/>
tauſch ſich eignete. Die beängſtenden Zufälle hörten<lb/>
allmälig auf, ich fühlte mich beruhigt, — bis, ja es<lb/>
mögen jetzt drei Monate ſein.</p><lb/><p>„Da konnte ich mir denn nicht länger verbergen,<lb/>
daß die ſtumme Apathie in eine ſeltſame Aufregung<lb/>
umgeſchlagen war. Sie ging den ganzen Tag im<lb/>
Zimmer auf und ab und ſaß die Nächte mit offenen<lb/>
Augen in ihrem Bette, oder ich traf ſie wohl auch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[200/0204]
eigenen Ausfüllung — den Vorſchlag machte, eine
Soldatenwaiſe zu adoptiren, da war ein Krampfanfall
ihre Antwort, und nachdem die Sprache wieder zurück¬
gekehrt war, ſagte ſie nichts als mit der flehendſten
Geberde: „Bitte, bitte — nein!“
„Man gewöhnt ſich an ſolchen Zuſtand, Fräulein
Hardine. Mein Berufsleben wurde immer abſor¬
birender. Ich war häufig auf Reiſen und wenn in Ber¬
lin, oft nur minutenweiſe in meinem Hauſe anweſend.
Da bemerkte ich es denn kaum, daß ſie von Jahr zu
Jahr ſtiller und in ſich gekehrter ward, ja daß wohl
Tage vergingen, ohne daß ich einen Laut von ihren
Lippen vernahm. Das Alter macht naturgemäß
ſchweigſam; und was hätten wir im Grunde uns auch
mitzutheilen gehabt? Sie erlebte zu wenig und ich zu
viel, aber doch nicht das, was zu häuslichem Aus¬
tauſch ſich eignete. Die beängſtenden Zufälle hörten
allmälig auf, ich fühlte mich beruhigt, — bis, ja es
mögen jetzt drei Monate ſein.
„Da konnte ich mir denn nicht länger verbergen,
daß die ſtumme Apathie in eine ſeltſame Aufregung
umgeſchlagen war. Sie ging den ganzen Tag im
Zimmer auf und ab und ſaß die Nächte mit offenen
Augen in ihrem Bette, oder ich traf ſie wohl auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/204>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.