ihrem Anblick erquickt, Egoist, der ich war und nun so grausam gestraft!"
Eine neue Pause folgte. Nachdem er sich ge¬ sammelt hatte, fuhr er rasch, gleichsam geschäfts¬ mäßig fort: "Unter den erschütternden Ereignissen des Herbstes 1806 hatte ihr Leiden sich gesteigert. Als ich bei meiner Rückkehr von der Armee unerwartet bei ihr eintrat, umfing ich minutenlang eine Leiche. Der Zustand kehrte seitdem öfter wieder, dauerte län¬ ger, man möchte sagen, er wuchs mit den Qualen und Enttäuschungen des Vaterlandes. Im Sommer 1809, als Schlag um Schlag das Scheitern Schills und Braunschweigs, die Niederlage Oesterreichs bekannt wurden, schien er seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Dann trat eine Pause ein; die Stille der Resignation, um unter den Opfern der Erhebungszeit von Neuem aufzuwachen. Ich war der Armee gefolgt und hörte später erst von Anderen -- niemals von ihr selbst -- daß sie sich den Frauenvereinen angeschlossen hatte, die nach den Märkischen Schlachten sich des Dienstes in unseren Spitälern unterzogen. Armes, zärtliches Kind, das niemals einen Blutstropfen sehen, von einer Wunde nur reden hören konnte! Tag für Tag trat sie den Gang durch diese Leidensstätten an, ging
ihrem Anblick erquickt, Egoiſt, der ich war und nun ſo grauſam geſtraft!“
Eine neue Pauſe folgte. Nachdem er ſich ge¬ ſammelt hatte, fuhr er raſch, gleichſam geſchäfts¬ mäßig fort: „Unter den erſchütternden Ereigniſſen des Herbſtes 1806 hatte ihr Leiden ſich geſteigert. Als ich bei meiner Rückkehr von der Armee unerwartet bei ihr eintrat, umfing ich minutenlang eine Leiche. Der Zuſtand kehrte ſeitdem öfter wieder, dauerte län¬ ger, man möchte ſagen, er wuchs mit den Qualen und Enttäuſchungen des Vaterlandes. Im Sommer 1809, als Schlag um Schlag das Scheitern Schills und Braunſchweigs, die Niederlage Oeſterreichs bekannt wurden, ſchien er ſeinen Höhepunkt erreicht zu haben. Dann trat eine Pauſe ein; die Stille der Reſignation, um unter den Opfern der Erhebungszeit von Neuem aufzuwachen. Ich war der Armee gefolgt und hörte ſpäter erſt von Anderen — niemals von ihr ſelbſt — daß ſie ſich den Frauenvereinen angeſchloſſen hatte, die nach den Märkiſchen Schlachten ſich des Dienſtes in unſeren Spitälern unterzogen. Armes, zärtliches Kind, das niemals einen Blutstropfen ſehen, von einer Wunde nur reden hören konnte! Tag für Tag trat ſie den Gang durch dieſe Leidensſtätten an, ging
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ihrem Anblick erquickt, Egoiſt, der ich war und nun
ſo grauſam geſtraft!“
Eine neue Pauſe folgte. Nachdem er ſich ge¬
ſammelt hatte, fuhr er raſch, gleichſam geſchäfts¬
mäßig fort: „Unter den erſchütternden Ereigniſſen des
Herbſtes 1806 hatte ihr Leiden ſich geſteigert. Als
ich bei meiner Rückkehr von der Armee unerwartet
bei ihr eintrat, umfing ich minutenlang eine Leiche.
Der Zuſtand kehrte ſeitdem öfter wieder, dauerte län¬
ger, man möchte ſagen, er wuchs mit den Qualen
und Enttäuſchungen des Vaterlandes. Im Sommer
1809, als Schlag um Schlag das Scheitern Schills
und Braunſchweigs, die Niederlage Oeſterreichs bekannt
wurden, ſchien er ſeinen Höhepunkt erreicht zu haben.
Dann trat eine Pauſe ein; die Stille der Reſignation,
um unter den Opfern der Erhebungszeit von Neuem
aufzuwachen. Ich war der Armee gefolgt und hörte
ſpäter erſt von Anderen — niemals von ihr ſelbſt —
daß ſie ſich den Frauenvereinen angeſchloſſen hatte,
die nach den Märkiſchen Schlachten ſich des Dienſtes
in unſeren Spitälern unterzogen. Armes, zärtliches
Kind, das niemals einen Blutstropfen ſehen, von
einer Wunde nur reden hören konnte! Tag für Tag
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/201>, abgerufen am 16.02.2025.
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