François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.indem zum ersten Male etwas, das einem Lächeln "Und haben Sie seine Liebe erwidern lernen?" "Und auch diesen Mangel fühlt er nicht?" "Nicht daß ich es jemals gespürt hätte. Meine indem zum erſten Male etwas, das einem Lächeln „Und haben Sie ſeine Liebe erwidern lernen?“ „Und auch dieſen Mangel fühlt er nicht?“ „Nicht daß ich es jemals geſpürt hätte. Meine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0140" n="136"/> indem zum erſten Male etwas, das einem Lächeln<lb/> glich, über ihre Züge lief. „Du biſt mein Kind,<lb/> Dorothee, hat er mir mehr als einmal geſagt. Kein<lb/> Arzt wünſcht einem geliebten Weibe das Martyrium<lb/> und die Sorgen der Mutterſchaft. Er ſieht der Qua¬<lb/> len genug außer ſeinem Hauſe.“</p><lb/> <p>„Und haben Sie ſeine Liebe erwidern lernen?“<lb/> fragte ich. Sie ſah mich einen Moment groß an, als<lb/> ob ſie über eine wahrhaftige Antwort nachdenke.<lb/> Dann ſprach ſie: „Ich glaube, daß ich meine kindiſche<lb/> Scheu überwunden und ihn lieb gewonnen haben<lb/> würde, wäre ich ſein eigen geworden, damals, als ich<lb/> keine Urſache hatte, ihn zu fürchten. Heute aber, wo<lb/> ich ſie habe — lieben? — o nicht einmal wie einen<lb/> Wohlthäter, einen Bruder, einen Freund. Im Scla¬<lb/> vendienſt der Sünde erſtirbt das Gemüth.“<lb/></p> <p>„Und auch dieſen Mangel fühlt er nicht?“<lb/></p> <p>„Nicht daß ich es jemals geſpürt hätte. Meine<lb/> kühle Zurückhaltung paßt zu dem Traumbilde, das er<lb/> ſich von mir geſchaffen hat. Ich glaube, daß meine<lb/> urſprüngliche Natur ihm läſtig geworden ſein würde.<lb/> Entweder, Fräulein von Reckenburg, iſt die Liebe ein<lb/> Räthſel mit vielen Auslegungen, oder dieſer Mann<lb/> ahnt nicht, was lieben iſt.“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [136/0140]
indem zum erſten Male etwas, das einem Lächeln
glich, über ihre Züge lief. „Du biſt mein Kind,
Dorothee, hat er mir mehr als einmal geſagt. Kein
Arzt wünſcht einem geliebten Weibe das Martyrium
und die Sorgen der Mutterſchaft. Er ſieht der Qua¬
len genug außer ſeinem Hauſe.“
„Und haben Sie ſeine Liebe erwidern lernen?“
fragte ich. Sie ſah mich einen Moment groß an, als
ob ſie über eine wahrhaftige Antwort nachdenke.
Dann ſprach ſie: „Ich glaube, daß ich meine kindiſche
Scheu überwunden und ihn lieb gewonnen haben
würde, wäre ich ſein eigen geworden, damals, als ich
keine Urſache hatte, ihn zu fürchten. Heute aber, wo
ich ſie habe — lieben? — o nicht einmal wie einen
Wohlthäter, einen Bruder, einen Freund. Im Scla¬
vendienſt der Sünde erſtirbt das Gemüth.“
„Und auch dieſen Mangel fühlt er nicht?“
„Nicht daß ich es jemals geſpürt hätte. Meine
kühle Zurückhaltung paßt zu dem Traumbilde, das er
ſich von mir geſchaffen hat. Ich glaube, daß meine
urſprüngliche Natur ihm läſtig geworden ſein würde.
Entweder, Fräulein von Reckenburg, iſt die Liebe ein
Räthſel mit vielen Auslegungen, oder dieſer Mann
ahnt nicht, was lieben iſt.“
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