François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.vielleicht weniger als mir, die er sich zu lieben ge¬ "Haben Sie Kinder?" fragte ich nach einer lan¬ Sie schüttelte den Kopf. "Gott ist gerecht," "Und Ihr Gemahl?" "Vermißt sie nicht, oder zeigt mir nicht, daß er vielleicht weniger als mir, die er ſich zu lieben ge¬ „Haben Sie Kinder?“ fragte ich nach einer lan¬ Sie ſchüttelte den Kopf. „Gott iſt gerecht,“ „Und Ihr Gemahl?“ „Vermißt ſie nicht, oder zeigt mir nicht, daß er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0139" n="135"/> vielleicht weniger als mir, die er ſich zu lieben ge¬<lb/> wöhnt hat. Alles das mag Selbſttäuſchung ſein;<lb/> auch die Scheu, das ätzende Gift in eine vertrauende<lb/> Seele zu gießen. Kann Eine ſich ſelber kennen, de¬<lb/> ren ganzes Leben eine Lüge iſt? So ſage ich denn<lb/> einfach: Ich habe nicht den Muth, die Wahrheit zu<lb/> bekennen. Und dann: ich habe nicht mehr die Kraft,<lb/> es zu thun. So oft ich reden will, überfällt mich<lb/> der Krampf, deſſen Zeugin Sie vorhin waren. Wollte<lb/> ich ſchreiben, die Hand würde mir erſtarren. Es iſt<lb/> keine Krankheit; es wird mich nicht tödten; ich werde<lb/> alt dabei werden, oder — oder —“ Sie deutete auf<lb/> die Stirn mit einem Ausdruck, der mich ſchaudern<lb/> machte.</p><lb/> <p>„Haben Sie Kinder?“ fragte ich nach einer lan¬<lb/> gen Stille.</p><lb/> <p>Sie ſchüttelte den Kopf. „Gott iſt gerecht,“<lb/> ſagte ſie nach einer langen Pauſe. „Nein, er iſt<lb/> barmherzig. Ich würde keinem Kinde eine Mutter<lb/> ſein können.“</p><lb/> <p>„Und Ihr Gemahl?“</p><lb/> <p>„Vermißt ſie nicht, oder zeigt mir nicht, daß er<lb/> ſie vermißt. Er iſt <hi rendition="#g">ſehr</hi>, <hi rendition="#g">ſehr</hi> ſchonend gegen mich<lb/> — und noch immer <hi rendition="#g">ſo beſonders</hi>,“ ſetzte ſie hinzu,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [135/0139]
vielleicht weniger als mir, die er ſich zu lieben ge¬
wöhnt hat. Alles das mag Selbſttäuſchung ſein;
auch die Scheu, das ätzende Gift in eine vertrauende
Seele zu gießen. Kann Eine ſich ſelber kennen, de¬
ren ganzes Leben eine Lüge iſt? So ſage ich denn
einfach: Ich habe nicht den Muth, die Wahrheit zu
bekennen. Und dann: ich habe nicht mehr die Kraft,
es zu thun. So oft ich reden will, überfällt mich
der Krampf, deſſen Zeugin Sie vorhin waren. Wollte
ich ſchreiben, die Hand würde mir erſtarren. Es iſt
keine Krankheit; es wird mich nicht tödten; ich werde
alt dabei werden, oder — oder —“ Sie deutete auf
die Stirn mit einem Ausdruck, der mich ſchaudern
machte.
„Haben Sie Kinder?“ fragte ich nach einer lan¬
gen Stille.
Sie ſchüttelte den Kopf. „Gott iſt gerecht,“
ſagte ſie nach einer langen Pauſe. „Nein, er iſt
barmherzig. Ich würde keinem Kinde eine Mutter
ſein können.“
„Und Ihr Gemahl?“
„Vermißt ſie nicht, oder zeigt mir nicht, daß er
ſie vermißt. Er iſt ſehr, ſehr ſchonend gegen mich
— und noch immer ſo beſonders,“ ſetzte ſie hinzu,
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