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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Versuch, aber auch keine Hoffnung auf sein Gelingen.
So wurde denn der Sarg in das Zimmer getragen
und an Stelle des Sophas, wo der Geschiedene so
oft der Ruhe gepflogen, niedergelassen. Der Mantel
bedeckte die steifen Glieder, nur der Kopf lag wie im
friedlichen Schlummer.

Auf meinen Armen trug ich die Kranke wie ein
hülfloses Kind aus der Kammer und gab ihr dem
Sarge gegenüber einen Platz. Mit welcher Span¬
nung ich in ihren Zügen forschte! Ach, die starren
Blicke richteten sich wohl mechanisch auf des Todten
Gesicht, aber kein Zucken verrieth eine Freude oder
einen Schmerz, nicht das leiseste Zeichen, daß sie ihn
erkannte, daß sie ihn nur sah! Das Herz war todt,
vielleicht schon jenseits bei ihm; nur das Blut wallte
noch in der entseelten Maschine. Wie lange Zeit, ob
Stunden, ob Jahre? Der Arzt zuckte schweigend die
Achseln, als mein trostloser Blick ihm diese Frage
stellte.

Wir richteten die Kranke in meinem Dachzimmer
ein, um die unteren Räume für den Todten frei und
still zu halten. Peinvolle Verabredungen wegen der
Bestattung mußten getroffen werden. Der alte Sol¬
dat hatte keinen Kameraden am Ort, der ihm das

Verſuch, aber auch keine Hoffnung auf ſein Gelingen.
So wurde denn der Sarg in das Zimmer getragen
und an Stelle des Sophas, wo der Geſchiedene ſo
oft der Ruhe gepflogen, niedergelaſſen. Der Mantel
bedeckte die ſteifen Glieder, nur der Kopf lag wie im
friedlichen Schlummer.

Auf meinen Armen trug ich die Kranke wie ein
hülfloſes Kind aus der Kammer und gab ihr dem
Sarge gegenüber einen Platz. Mit welcher Span¬
nung ich in ihren Zügen forſchte! Ach, die ſtarren
Blicke richteten ſich wohl mechaniſch auf des Todten
Geſicht, aber kein Zucken verrieth eine Freude oder
einen Schmerz, nicht das leiſeſte Zeichen, daß ſie ihn
erkannte, daß ſie ihn nur ſah! Das Herz war todt,
vielleicht ſchon jenſeits bei ihm; nur das Blut wallte
noch in der entſeelten Maſchine. Wie lange Zeit, ob
Stunden, ob Jahre? Der Arzt zuckte ſchweigend die
Achſeln, als mein troſtloſer Blick ihm dieſe Frage
ſtellte.

Wir richteten die Kranke in meinem Dachzimmer
ein, um die unteren Räume für den Todten frei und
ſtill zu halten. Peinvolle Verabredungen wegen der
Beſtattung mußten getroffen werden. Der alte Sol¬
dat hatte keinen Kameraden am Ort, der ihm das

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[126/0130] Verſuch, aber auch keine Hoffnung auf ſein Gelingen. So wurde denn der Sarg in das Zimmer getragen und an Stelle des Sophas, wo der Geſchiedene ſo oft der Ruhe gepflogen, niedergelaſſen. Der Mantel bedeckte die ſteifen Glieder, nur der Kopf lag wie im friedlichen Schlummer. Auf meinen Armen trug ich die Kranke wie ein hülfloſes Kind aus der Kammer und gab ihr dem Sarge gegenüber einen Platz. Mit welcher Span¬ nung ich in ihren Zügen forſchte! Ach, die ſtarren Blicke richteten ſich wohl mechaniſch auf des Todten Geſicht, aber kein Zucken verrieth eine Freude oder einen Schmerz, nicht das leiſeſte Zeichen, daß ſie ihn erkannte, daß ſie ihn nur ſah! Das Herz war todt, vielleicht ſchon jenſeits bei ihm; nur das Blut wallte noch in der entſeelten Maſchine. Wie lange Zeit, ob Stunden, ob Jahre? Der Arzt zuckte ſchweigend die Achſeln, als mein troſtloſer Blick ihm dieſe Frage ſtellte. Wir richteten die Kranke in meinem Dachzimmer ein, um die unteren Räume für den Todten frei und ſtill zu halten. Peinvolle Verabredungen wegen der Beſtattung mußten getroffen werden. Der alte Sol¬ dat hatte keinen Kameraden am Ort, der ihm das

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/130>, abgerufen am 24.11.2024.