Heute ahnte sie den Todesstreich, den sie damals nur gefürchtet hatte und als der ehrliche Purzel seinen alten Trostspruch wiederholte: "Gnädige Frau, es passirt ihm nichts, und wenn ihm was passirt, da komme ich gleich und melde Post," da versuchte sie kein Lächeln, und ihr starres Auge sagte: "ich weiß, daß du kommst."
Ich theilte diese apprehensive Stimmung nicht. Die Campagnen Napoleons waren nicht von der Dauer der Rheinfeldzüge; die gegenwärtige spielte sich voraussichtlich in unserer Nähe ab, und warum sollte man von vornherein an Gottes Schutz verzweifeln, wenn man denselben schon einmal mit so viel Dank empfunden hatte? Ich hoffte den theueren Mann wiederzusehen, bald wiederzusehen.
Desto unbezwinglicher war mein düsteres Vor¬ gefühl des allgemeinen Looses. Wie einsame Hirten oder Jäger Wolken- und Sternenlauf verstehen lernen, so hatte in meiner geistigen Vereinzelung ich mich ge¬ wöhnt, die Blicke aufmerksam auf den umzogenen Horizont unseres Zeitwesens zu richten, und es waren drohende Wetter, die ich aufsteigen sah. Nun kam ich heim. Unser Städtchen glich einem preußischen Feldlager. Der größte Theil der Armee, von der ich
Heute ahnte ſie den Todesſtreich, den ſie damals nur gefürchtet hatte und als der ehrliche Purzel ſeinen alten Troſtſpruch wiederholte: „Gnädige Frau, es paſſirt ihm nichts, und wenn ihm was paſſirt, da komme ich gleich und melde Poſt,“ da verſuchte ſie kein Lächeln, und ihr ſtarres Auge ſagte: „ich weiß, daß du kommſt.“
Ich theilte dieſe apprehenſive Stimmung nicht. Die Campagnen Napoleons waren nicht von der Dauer der Rheinfeldzüge; die gegenwärtige ſpielte ſich vorausſichtlich in unſerer Nähe ab, und warum ſollte man von vornherein an Gottes Schutz verzweifeln, wenn man denſelben ſchon einmal mit ſo viel Dank empfunden hatte? Ich hoffte den theueren Mann wiederzuſehen, bald wiederzuſehen.
Deſto unbezwinglicher war mein düſteres Vor¬ gefühl des allgemeinen Looſes. Wie einſame Hirten oder Jäger Wolken- und Sternenlauf verſtehen lernen, ſo hatte in meiner geiſtigen Vereinzelung ich mich ge¬ wöhnt, die Blicke aufmerkſam auf den umzogenen Horizont unſeres Zeitweſens zu richten, und es waren drohende Wetter, die ich aufſteigen ſah. Nun kam ich heim. Unſer Städtchen glich einem preußiſchen Feldlager. Der größte Theil der Armee, von der ich
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Heute ahnte ſie den Todesſtreich, den ſie damals nur
gefürchtet hatte und als der ehrliche Purzel ſeinen
alten Troſtſpruch wiederholte: „Gnädige Frau, es
paſſirt ihm nichts, und wenn ihm was paſſirt, da
komme ich gleich und melde Poſt,“ da verſuchte ſie
kein Lächeln, und ihr ſtarres Auge ſagte: „ich weiß,
daß du kommſt.“
Ich theilte dieſe apprehenſive Stimmung nicht.
Die Campagnen Napoleons waren nicht von der
Dauer der Rheinfeldzüge; die gegenwärtige ſpielte ſich
vorausſichtlich in unſerer Nähe ab, und warum ſollte
man von vornherein an Gottes Schutz verzweifeln,
wenn man denſelben ſchon einmal mit ſo viel Dank
empfunden hatte? Ich hoffte den theueren Mann
wiederzuſehen, bald wiederzuſehen.
Deſto unbezwinglicher war mein düſteres Vor¬
gefühl des allgemeinen Looſes. Wie einſame Hirten
oder Jäger Wolken- und Sternenlauf verſtehen lernen,
ſo hatte in meiner geiſtigen Vereinzelung ich mich ge¬
wöhnt, die Blicke aufmerkſam auf den umzogenen
Horizont unſeres Zeitweſens zu richten, und es waren
drohende Wetter, die ich aufſteigen ſah. Nun kam
ich heim. Unſer Städtchen glich einem preußiſchen
Feldlager. Der größte Theil der Armee, von der ich
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/120>, abgerufen am 16.02.2025.
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