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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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liche Krankheit, in Wahnsinn verfallen wäre? Wenn
sie verzweifelnd Hand an sich gelegt --"

"Nun wohlan!" rief ich leidenschaftlich, "ich, ist
es noch Zeit, werde diesen Gefahren trotzen, werde,
und wäre es vor dem Altar, den Einspruch der Wahr¬
heit vernehmen lassen. Ich bin aus den Schranken
meiner natürlichen Anlagen, meiner Erziehung, der
Denkweise meiner Väter, der Gesetzmäßigkeit meines
Charakters herausgetreten, indem ich die Unehre duldete
und das Unrecht beschönigte. In Recht und Ehren,
um jeden Preis, werde ich diese Irrung zu sühnen
wissen."

"Sie werden es, meine Freundin," entgegnete der
geistliche Herr mit Bedeutung; "Sie werden jene
Irrung sühnen, früh oder spät, wenn auch mit an¬
deren Factoren als denen, die heute Ihr Gemüth be¬
herrschen. Also irren heißt leben und in den heim¬
lichen Trieben, die unsere Menschenlogik höhnen, keimt
unsere Entwicklung. Der Regenguß, der unsere Saaten
niederschlägt, durchsickert die harte Bodenschicht, und
sammelt sich zum Quell, welcher das Wurzelland be¬
fruchtet. Das ist die Logik der Natur. Und darum
lassen Sie mir den Glauben, daß das, was heute Ihr
Gewissen niederschlägt, dereinst als ein Jungbrunnen

Lonise v. Francois, Die letzte Reckenburgerin. II. 7

liche Krankheit, in Wahnſinn verfallen wäre? Wenn
ſie verzweifelnd Hand an ſich gelegt —“

„Nun wohlan!“ rief ich leidenſchaftlich, „ich, iſt
es noch Zeit, werde dieſen Gefahren trotzen, werde,
und wäre es vor dem Altar, den Einſpruch der Wahr¬
heit vernehmen laſſen. Ich bin aus den Schranken
meiner natürlichen Anlagen, meiner Erziehung, der
Denkweiſe meiner Väter, der Geſetzmäßigkeit meines
Charakters herausgetreten, indem ich die Unehre duldete
und das Unrecht beſchönigte. In Recht und Ehren,
um jeden Preis, werde ich dieſe Irrung zu ſühnen
wiſſen.“

„Sie werden es, meine Freundin,“ entgegnete der
geiſtliche Herr mit Bedeutung; „Sie werden jene
Irrung ſühnen, früh oder ſpät, wenn auch mit an¬
deren Factoren als denen, die heute Ihr Gemüth be¬
herrſchen. Alſo irren heißt leben und in den heim¬
lichen Trieben, die unſere Menſchenlogik höhnen, keimt
unſere Entwicklung. Der Regenguß, der unſere Saaten
niederſchlägt, durchſickert die harte Bodenſchicht, und
ſammelt ſich zum Quell, welcher das Wurzelland be¬
fruchtet. Das iſt die Logik der Natur. Und darum
laſſen Sie mir den Glauben, daß das, was heute Ihr
Gewiſſen niederſchlägt, dereinſt als ein Jungbrunnen

Loniſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. II. 7
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[97/0101] liche Krankheit, in Wahnſinn verfallen wäre? Wenn ſie verzweifelnd Hand an ſich gelegt —“ „Nun wohlan!“ rief ich leidenſchaftlich, „ich, iſt es noch Zeit, werde dieſen Gefahren trotzen, werde, und wäre es vor dem Altar, den Einſpruch der Wahr¬ heit vernehmen laſſen. Ich bin aus den Schranken meiner natürlichen Anlagen, meiner Erziehung, der Denkweiſe meiner Väter, der Geſetzmäßigkeit meines Charakters herausgetreten, indem ich die Unehre duldete und das Unrecht beſchönigte. In Recht und Ehren, um jeden Preis, werde ich dieſe Irrung zu ſühnen wiſſen.“ „Sie werden es, meine Freundin,“ entgegnete der geiſtliche Herr mit Bedeutung; „Sie werden jene Irrung ſühnen, früh oder ſpät, wenn auch mit an¬ deren Factoren als denen, die heute Ihr Gemüth be¬ herrſchen. Alſo irren heißt leben und in den heim¬ lichen Trieben, die unſere Menſchenlogik höhnen, keimt unſere Entwicklung. Der Regenguß, der unſere Saaten niederſchlägt, durchſickert die harte Bodenſchicht, und ſammelt ſich zum Quell, welcher das Wurzelland be¬ fruchtet. Das iſt die Logik der Natur. Und darum laſſen Sie mir den Glauben, daß das, was heute Ihr Gewiſſen niederſchlägt, dereinſt als ein Jungbrunnen Loniſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. II. 7

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/101>, abgerufen am 24.11.2024.