Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

geben Erinnerungen und Vorstellungen nicht im Ent¬
ferntesten passen. Fräulein Hardine stand in dem
Rufe einer großen und klugen Dame, aber nicht in
dem einer Samariterin.

August Müllers Erinnerungen sprachen indessen
all zu deutlich für einen immerhin möglichen Fall,
auch empfahlen die kriegerischen Narben und Decora¬
tionen den ehemaligen Schützling ihrer Landsmännin
und so war man denn allseitig bereit, ihm eine gast¬
liche Herberge in ihrer Vaterstadt zu gewähren. Die
kleine Hardine, reichlich beköstigt und reinlich aus¬
staffirt, schlief so sanft wie noch nie auf der ganzen
Reise in dem Bettchen, das ihr die Schneidersfrau neben
der Wiege in der Kammer aufgeschlagen hatte. Vater
Müller aber dachte gar nicht an ein Bett; er durch¬
zechte die kurze Sommernacht an der Tafel des Schlo߬
kellerwirths nebenan und belohnte das freihaltende
Publikum mit dem köstlichsten Humor seiner spanischen
Erinnerungen und der Erwartungen seines Türken¬
zuges. Ein so tapferer Landsmann, der sich so weit
in der Welt umhergetrieben hatte und noch ferner
umherzutreiben gedachte, ein Krüppel, der, seinem
Elend zum Trotz, so lustig zu erzählen verstand, er
durfte aber nicht ohne einen anständigen Zehrpfennig

Louise v. Francois, Die letzte Reckenburgerin. I. 4

geben Erinnerungen und Vorſtellungen nicht im Ent¬
fernteſten paſſen. Fräulein Hardine ſtand in dem
Rufe einer großen und klugen Dame, aber nicht in
dem einer Samariterin.

Auguſt Müllers Erinnerungen ſprachen indeſſen
all zu deutlich für einen immerhin möglichen Fall,
auch empfahlen die kriegeriſchen Narben und Decora¬
tionen den ehemaligen Schützling ihrer Landsmännin
und ſo war man denn allſeitig bereit, ihm eine gaſt¬
liche Herberge in ihrer Vaterſtadt zu gewähren. Die
kleine Hardine, reichlich beköſtigt und reinlich aus¬
ſtaffirt, ſchlief ſo ſanft wie noch nie auf der ganzen
Reiſe in dem Bettchen, das ihr die Schneidersfrau neben
der Wiege in der Kammer aufgeſchlagen hatte. Vater
Müller aber dachte gar nicht an ein Bett; er durch¬
zechte die kurze Sommernacht an der Tafel des Schlo߬
kellerwirths nebenan und belohnte das freihaltende
Publikum mit dem köſtlichſten Humor ſeiner ſpaniſchen
Erinnerungen und der Erwartungen ſeines Türken¬
zuges. Ein ſo tapferer Landsmann, der ſich ſo weit
in der Welt umhergetrieben hatte und noch ferner
umherzutreiben gedachte, ein Krüppel, der, ſeinem
Elend zum Trotz, ſo luſtig zu erzählen verſtand, er
durfte aber nicht ohne einen anſtändigen Zehrpfennig

Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0056" n="49"/>
geben Erinnerungen und Vor&#x017F;tellungen nicht im Ent¬<lb/>
fernte&#x017F;ten pa&#x017F;&#x017F;en. Fräulein Hardine &#x017F;tand in dem<lb/>
Rufe einer großen und klugen Dame, aber nicht in<lb/>
dem einer Samariterin.</p><lb/>
        <p>Augu&#x017F;t Müllers Erinnerungen &#x017F;prachen inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
all zu deutlich für einen immerhin möglichen Fall,<lb/>
auch empfahlen die kriegeri&#x017F;chen Narben und Decora¬<lb/>
tionen den ehemaligen Schützling ihrer Landsmännin<lb/>
und &#x017F;o war man denn all&#x017F;eitig bereit, ihm eine ga&#x017F;<lb/>
liche Herberge in ihrer Vater&#x017F;tadt zu gewähren. Die<lb/>
kleine Hardine, reichlich bekö&#x017F;tigt und reinlich aus¬<lb/>
&#x017F;taffirt, &#x017F;chlief &#x017F;o &#x017F;anft wie noch nie auf der ganzen<lb/>
Rei&#x017F;e in dem Bettchen, das ihr die Schneidersfrau neben<lb/>
der Wiege in der Kammer aufge&#x017F;chlagen hatte. Vater<lb/>
Müller aber dachte gar nicht an ein Bett; er durch¬<lb/>
zechte die kurze Sommernacht an der Tafel des Schlo߬<lb/>
kellerwirths nebenan und belohnte das freihaltende<lb/>
Publikum mit dem kö&#x017F;tlich&#x017F;ten Humor &#x017F;einer &#x017F;pani&#x017F;chen<lb/>
Erinnerungen und der Erwartungen &#x017F;eines Türken¬<lb/>
zuges. Ein <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> tapferer Landsmann, der &#x017F;ich <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> weit<lb/>
in der Welt umhergetrieben hatte und noch ferner<lb/>
umherzutreiben gedachte, ein Krüppel, der, &#x017F;einem<lb/>
Elend zum Trotz, &#x017F;o lu&#x017F;tig zu erzählen ver&#x017F;tand, er<lb/>
durfte aber nicht ohne einen an&#x017F;tändigen Zehrpfennig<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Loui&#x017F;e v. Fran<hi rendition="#aq">ç</hi>ois, Die letzte Reckenburgerin. <hi rendition="#aq">I</hi>. 4<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0056] geben Erinnerungen und Vorſtellungen nicht im Ent¬ fernteſten paſſen. Fräulein Hardine ſtand in dem Rufe einer großen und klugen Dame, aber nicht in dem einer Samariterin. Auguſt Müllers Erinnerungen ſprachen indeſſen all zu deutlich für einen immerhin möglichen Fall, auch empfahlen die kriegeriſchen Narben und Decora¬ tionen den ehemaligen Schützling ihrer Landsmännin und ſo war man denn allſeitig bereit, ihm eine gaſt¬ liche Herberge in ihrer Vaterſtadt zu gewähren. Die kleine Hardine, reichlich beköſtigt und reinlich aus¬ ſtaffirt, ſchlief ſo ſanft wie noch nie auf der ganzen Reiſe in dem Bettchen, das ihr die Schneidersfrau neben der Wiege in der Kammer aufgeſchlagen hatte. Vater Müller aber dachte gar nicht an ein Bett; er durch¬ zechte die kurze Sommernacht an der Tafel des Schlo߬ kellerwirths nebenan und belohnte das freihaltende Publikum mit dem köſtlichſten Humor ſeiner ſpaniſchen Erinnerungen und der Erwartungen ſeines Türken¬ zuges. Ein ſo tapferer Landsmann, der ſich ſo weit in der Welt umhergetrieben hatte und noch ferner umherzutreiben gedachte, ein Krüppel, der, ſeinem Elend zum Trotz, ſo luſtig zu erzählen verſtand, er durfte aber nicht ohne einen anſtändigen Zehrpfennig Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/56
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/56>, abgerufen am 25.11.2024.