wo damals der Sarg des Majors gestanden, steht heute eine Wiege. Angstvolle Geberden und zornige Scheltworte begrüßen den Eindringling, den man für einen Betrunkenen oder Tollen hält.
Indessen waren auch die Nachbarn, die vor den Thüren Dämmerstunde feierten, auf des Fremden seltsames Gebahren aufmerksam geworden. Der Lärm lockte spielende Kinder, Mägde vom Brunnen herbei, eine dichte Gruppe bildete sich vor dem Thor. Die Frauen näherten sich dem abgezehrten Mädchen, das sich ermattet neben demselben niedergekauert hatte. -- "Wie heißt Du, Kleine?" fragte eine Nachbarin. -- "Hardine," lispelte das Kind mit schwacher Stimme. -- "Ist der Mann Dein Vater?" -- Das Kind nickte. -- "Wie heißt er?" -- Das Kind schüttelte sein Haupt. -- "Was will er? Wen sucht er in diesem Hause?" -- "Fräulein Hardinen."
"Fräulein Hardinen!" die Nachbarn steckten bei dem Namen die Köpfe zusammen. Als aber nun auch der Vater, gefolgt von der Schneiderfamilie, von Gesellen und Lehrlingen, aus dem Hause zurückkehrte und immer den nämlichen Namen wiederholte, da ent¬ stand ein Rumor, ein Gewirr von Kreuz- und Quer¬
wo damals der Sarg des Majors geſtanden, ſteht heute eine Wiege. Angſtvolle Geberden und zornige Scheltworte begrüßen den Eindringling, den man für einen Betrunkenen oder Tollen hält.
Indeſſen waren auch die Nachbarn, die vor den Thüren Dämmerſtunde feierten, auf des Fremden ſeltſames Gebahren aufmerkſam geworden. Der Lärm lockte ſpielende Kinder, Mägde vom Brunnen herbei, eine dichte Gruppe bildete ſich vor dem Thor. Die Frauen näherten ſich dem abgezehrten Mädchen, das ſich ermattet neben demſelben niedergekauert hatte. — „Wie heißt Du, Kleine?“ fragte eine Nachbarin. — „Hardine,“ lispelte das Kind mit ſchwacher Stimme. — „Iſt der Mann Dein Vater?“ — Das Kind nickte. — „Wie heißt er?“ — Das Kind ſchüttelte ſein Haupt. — „Was will er? Wen ſucht er in dieſem Hauſe?“ — „Fräulein Hardinen.“
„Fräulein Hardinen!“ die Nachbarn ſteckten bei dem Namen die Köpfe zuſammen. Als aber nun auch der Vater, gefolgt von der Schneiderfamilie, von Geſellen und Lehrlingen, aus dem Hauſe zurückkehrte und immer den nämlichen Namen wiederholte, da ent¬ ſtand ein Rumor, ein Gewirr von Kreuz- und Quer¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0054"n="47"/>
wo damals der Sarg des Majors geſtanden, ſteht<lb/>
heute eine Wiege. Angſtvolle Geberden und zornige<lb/>
Scheltworte begrüßen den Eindringling, den man für<lb/>
einen Betrunkenen oder Tollen hält.</p><lb/><p>Indeſſen waren auch die Nachbarn, die vor den<lb/>
Thüren Dämmerſtunde feierten, auf des Fremden<lb/>ſeltſames Gebahren aufmerkſam geworden. Der Lärm<lb/>
lockte ſpielende Kinder, Mägde vom Brunnen herbei,<lb/>
eine dichte Gruppe bildete ſich vor dem Thor. Die<lb/>
Frauen näherten ſich dem abgezehrten Mädchen, das<lb/>ſich ermattet neben demſelben niedergekauert hatte. —<lb/>„Wie heißt Du, Kleine?“ fragte eine Nachbarin. —<lb/>„Hardine,“ lispelte das Kind mit ſchwacher Stimme.<lb/>—„Iſt der Mann Dein Vater?“— Das Kind<lb/>
nickte. —„Wie heißt er?“— Das Kind ſchüttelte<lb/>ſein Haupt. —„Was will er? Wen ſucht er in dieſem<lb/>
Hauſe?“—„Fräulein Hardinen.“</p><lb/><p>„Fräulein Hardinen!“ die Nachbarn ſteckten bei<lb/>
dem Namen die Köpfe zuſammen. Als aber nun auch<lb/>
der Vater, gefolgt von der Schneiderfamilie, von<lb/>
Geſellen und Lehrlingen, aus dem Hauſe zurückkehrte<lb/>
und immer den nämlichen Namen wiederholte, da ent¬<lb/>ſtand ein Rumor, ein Gewirr von Kreuz- und Quer¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[47/0054]
wo damals der Sarg des Majors geſtanden, ſteht
heute eine Wiege. Angſtvolle Geberden und zornige
Scheltworte begrüßen den Eindringling, den man für
einen Betrunkenen oder Tollen hält.
Indeſſen waren auch die Nachbarn, die vor den
Thüren Dämmerſtunde feierten, auf des Fremden
ſeltſames Gebahren aufmerkſam geworden. Der Lärm
lockte ſpielende Kinder, Mägde vom Brunnen herbei,
eine dichte Gruppe bildete ſich vor dem Thor. Die
Frauen näherten ſich dem abgezehrten Mädchen, das
ſich ermattet neben demſelben niedergekauert hatte. —
„Wie heißt Du, Kleine?“ fragte eine Nachbarin. —
„Hardine,“ lispelte das Kind mit ſchwacher Stimme.
— „Iſt der Mann Dein Vater?“ — Das Kind
nickte. — „Wie heißt er?“ — Das Kind ſchüttelte
ſein Haupt. — „Was will er? Wen ſucht er in dieſem
Hauſe?“ — „Fräulein Hardinen.“
„Fräulein Hardinen!“ die Nachbarn ſteckten bei
dem Namen die Köpfe zuſammen. Als aber nun auch
der Vater, gefolgt von der Schneiderfamilie, von
Geſellen und Lehrlingen, aus dem Hauſe zurückkehrte
und immer den nämlichen Namen wiederholte, da ent¬
ſtand ein Rumor, ein Gewirr von Kreuz- und Quer¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/54>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.