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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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Bis tief in den Abend hinein saßen wir schwei¬
gend bei einander. Ob die Eltern ahnten, was sich
in mir bewegte? ob sie heimliche Hoffnungen gehegt
hatten, mehr als ich selbst? Zu wiederholten Malen
begegnete ich ihren sorgenvoll auf mich gerichteten
Blicken.

Als ich die Treppe zu meiner Kammer hinanstieg,
erinnerte ich mich Einer, welche diese Trennung un¬
vorbereiteter und niederschlagender treffen mußte als
mich selbst. Ich klinkte an Dorotheens Thür, fand
sie aber verschlossen. Sie pflegte früherhin niemals
so spät in ihres Vaters Hause zu weilen und ent¬
fernte sich niemals am Abend zu einem anderen Be¬
such. Wo mochte sie sein?

Ich war nicht ruhig genug, dieser Frage nach¬
zuhängen. Es mußte aufgeräumt werden im inneren
Revier, und so saß ich denn lange, es mochten Stunden
sein, unbeweglich in meiner Kammer.

Monate lagen hinter mir, bei aller Entsagung
die reichsten meines Lebens. Was von losen Hoff¬
nungen und Träumen nicht zu bannen gewesen war,
jetzt mußte es verschwinden, verschwinden mit dem,
welcher die Einbildung angefacht, verschwinden für alle

Bis tief in den Abend hinein ſaßen wir ſchwei¬
gend bei einander. Ob die Eltern ahnten, was ſich
in mir bewegte? ob ſie heimliche Hoffnungen gehegt
hatten, mehr als ich ſelbſt? Zu wiederholten Malen
begegnete ich ihren ſorgenvoll auf mich gerichteten
Blicken.

Als ich die Treppe zu meiner Kammer hinanſtieg,
erinnerte ich mich Einer, welche dieſe Trennung un¬
vorbereiteter und niederſchlagender treffen mußte als
mich ſelbſt. Ich klinkte an Dorotheens Thür, fand
ſie aber verſchloſſen. Sie pflegte früherhin niemals
ſo ſpät in ihres Vaters Hauſe zu weilen und ent¬
fernte ſich niemals am Abend zu einem anderen Be¬
ſuch. Wo mochte ſie ſein?

Ich war nicht ruhig genug, dieſer Frage nach¬
zuhängen. Es mußte aufgeräumt werden im inneren
Revier, und ſo ſaß ich denn lange, es mochten Stunden
ſein, unbeweglich in meiner Kammer.

Monate lagen hinter mir, bei aller Entſagung
die reichſten meines Lebens. Was von loſen Hoff¬
nungen und Träumen nicht zu bannen geweſen war,
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welcher die Einbildung angefacht, verſchwinden für alle

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[264/0271] Bis tief in den Abend hinein ſaßen wir ſchwei¬ gend bei einander. Ob die Eltern ahnten, was ſich in mir bewegte? ob ſie heimliche Hoffnungen gehegt hatten, mehr als ich ſelbſt? Zu wiederholten Malen begegnete ich ihren ſorgenvoll auf mich gerichteten Blicken. Als ich die Treppe zu meiner Kammer hinanſtieg, erinnerte ich mich Einer, welche dieſe Trennung un¬ vorbereiteter und niederſchlagender treffen mußte als mich ſelbſt. Ich klinkte an Dorotheens Thür, fand ſie aber verſchloſſen. Sie pflegte früherhin niemals ſo ſpät in ihres Vaters Hauſe zu weilen und ent¬ fernte ſich niemals am Abend zu einem anderen Be¬ ſuch. Wo mochte ſie ſein? Ich war nicht ruhig genug, dieſer Frage nach¬ zuhängen. Es mußte aufgeräumt werden im inneren Revier, und ſo ſaß ich denn lange, es mochten Stunden ſein, unbeweglich in meiner Kammer. Monate lagen hinter mir, bei aller Entſagung die reichſten meines Lebens. Was von loſen Hoff¬ nungen und Träumen nicht zu bannen geweſen war, jetzt mußte es verſchwinden, verſchwinden mit dem, welcher die Einbildung angefacht, verſchwinden für alle

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/271>, abgerufen am 24.11.2024.