zwar am deutlichsten daran, daß ich sie selber nur noch so selten sah. Wir waren ausgesöhnt, sie hatte keinen Grund, mich zu meiden. Sie mied mich auch nicht, aber sie suchte mich nicht, sie bedurfte meiner nicht wie sonst. Sie, die vor wenigen Wochen mir entgegenjauchzte: "Nun, da Sie da sind, ist Alles, Alles gut!" sie hatte einen Andern, der mich verdrängte. Aus dem Kinde, der Jungfrau, war ein Weib ge¬ worden.
Deutlicher aber noch sprach die heimliche Wand¬ lung aus der Stimmung des Prinzen. Seine per¬ sönlichen Angelegenheiten hatten sich über Erwarten günstig gestaltet, indem der gutherzige Friedrich August ihn zwar nicht aus seinen Diensten entlassen, aber ihm die Theilnahme am Feldzug unter preußischer Fahne bewilligt, auch seinen Gläubigern gegenüber großmüthig Bürgschaft übernommen hatte. Er, der im vorigen Jahre in das wüste Emigrantenlager desertirte, der vor Kurzem noch so zornig über das Zögern der Verbündeten aufbrauste; jetzt war er frei, warum ging er nicht? Er, der die Vernichtung des fränkischen Gesindels für ein Parademanöver, den Einzug in Paris für eine Promenade und die Her¬
zwar am deutlichſten daran, daß ich ſie ſelber nur noch ſo ſelten ſah. Wir waren ausgeſöhnt, ſie hatte keinen Grund, mich zu meiden. Sie mied mich auch nicht, aber ſie ſuchte mich nicht, ſie bedurfte meiner nicht wie ſonſt. Sie, die vor wenigen Wochen mir entgegenjauchzte: „Nun, da Sie da ſind, iſt Alles, Alles gut!“ ſie hatte einen Andern, der mich verdrängte. Aus dem Kinde, der Jungfrau, war ein Weib ge¬ worden.
Deutlicher aber noch ſprach die heimliche Wand¬ lung aus der Stimmung des Prinzen. Seine per¬ ſönlichen Angelegenheiten hatten ſich über Erwarten günſtig geſtaltet, indem der gutherzige Friedrich Auguſt ihn zwar nicht aus ſeinen Dienſten entlaſſen, aber ihm die Theilnahme am Feldzug unter preußiſcher Fahne bewilligt, auch ſeinen Gläubigern gegenüber großmüthig Bürgſchaft übernommen hatte. Er, der im vorigen Jahre in das wüſte Emigrantenlager deſertirte, der vor Kurzem noch ſo zornig über das Zögern der Verbündeten aufbrauſte; jetzt war er frei, warum ging er nicht? Er, der die Vernichtung des fränkiſchen Geſindels für ein Parademanöver, den Einzug in Paris für eine Promenade und die Her¬
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zwar am deutlichſten daran, daß ich ſie ſelber nur
noch ſo ſelten ſah. Wir waren ausgeſöhnt, ſie hatte
keinen Grund, mich zu meiden. Sie mied mich auch
nicht, aber ſie ſuchte mich nicht, ſie bedurfte meiner
nicht wie ſonſt. Sie, die vor wenigen Wochen mir
entgegenjauchzte: „Nun, da Sie da ſind, iſt Alles,
Alles gut!“ ſie hatte einen Andern, der mich verdrängte.
Aus dem Kinde, der Jungfrau, war ein Weib ge¬
worden.
Deutlicher aber noch ſprach die heimliche Wand¬
lung aus der Stimmung des Prinzen. Seine per¬
ſönlichen Angelegenheiten hatten ſich über Erwarten
günſtig geſtaltet, indem der gutherzige Friedrich Auguſt
ihn zwar nicht aus ſeinen Dienſten entlaſſen, aber
ihm die Theilnahme am Feldzug unter preußiſcher
Fahne bewilligt, auch ſeinen Gläubigern gegenüber
großmüthig Bürgſchaft übernommen hatte. Er, der
im vorigen Jahre in das wüſte Emigrantenlager
deſertirte, der vor Kurzem noch ſo zornig über das
Zögern der Verbündeten aufbrauſte; jetzt war er frei,
warum ging er nicht? Er, der die Vernichtung des
fränkiſchen Geſindels für ein Parademanöver, den
Einzug in Paris für eine Promenade und die Her¬
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/267>, abgerufen am 22.11.2024.
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