Demoiselles und endlich die Herren in gleicher Rang¬ ordnung.
Noch dauerte es eine gute Weile, ehe der lange gehegte Tusch und gleich darauf die vorstellende Stimme des maeitre de plaisir am oberen Ende erschallten. Ich hatte mich nicht umgeblickt und mein Haupt in stolzester Haltung aufgerichtet, um das schlagende Herz vor mir selber Lügen zu strafen. Erst als ich meinen Vater den Namen: "Freifräulein Eberhardine von Reckenburg," nennen hörte und während ich mich zu der bewährten Menuetsenkung niederließ, hob ich das Auge, so ruhig ich vermochte, zu dem Vorüberstrei¬ fenden empor.
Ich war auf einen schönen Mann vorbereitet; der aber, meine Freunde, welcher meinem Blicke be¬ gegnete, es war nicht der schönste Mann, den ich bis dahin gesehen -- denn das würde nicht viel bedeuten -- aber es war und blieb, ich weiß keinen bezeichnen¬ deren Ausdruck, als der anmuthvollste Jüngling, den das Leben mir vorgeführt hat. Hatte er in seiner Ju¬ gend gestürmt, das Aeußere wenigstens trug von diesen Stürmen keine Spur; nicht die schlanke, geschmeidige Fi¬ gur, nicht die rosige Farbe von fast mädchenhafter Transparenz, nicht die Züge, welche vielleicht zu weich
Demoiſelles und endlich die Herren in gleicher Rang¬ ordnung.
Noch dauerte es eine gute Weile, ehe der lange gehegte Tuſch und gleich darauf die vorſtellende Stimme des maître de plaisir am oberen Ende erſchallten. Ich hatte mich nicht umgeblickt und mein Haupt in ſtolzeſter Haltung aufgerichtet, um das ſchlagende Herz vor mir ſelber Lügen zu ſtrafen. Erſt als ich meinen Vater den Namen: „Freifräulein Eberhardine von Reckenburg,“ nennen hörte und während ich mich zu der bewährten Menuetſenkung niederließ, hob ich das Auge, ſo ruhig ich vermochte, zu dem Vorüberſtrei¬ fenden empor.
Ich war auf einen ſchönen Mann vorbereitet; der aber, meine Freunde, welcher meinem Blicke be¬ gegnete, es war nicht der ſchönſte Mann, den ich bis dahin geſehen — denn das würde nicht viel bedeuten — aber es war und blieb, ich weiß keinen bezeichnen¬ deren Ausdruck, als der anmuthvollſte Jüngling, den das Leben mir vorgeführt hat. Hatte er in ſeiner Ju¬ gend geſtürmt, das Aeußere wenigſtens trug von dieſen Stürmen keine Spur; nicht die ſchlanke, geſchmeidige Fi¬ gur, nicht die roſige Farbe von faſt mädchenhafter Transparenz, nicht die Züge, welche vielleicht zu weich
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Demoiſelles und endlich die Herren in gleicher Rang¬
ordnung.
Noch dauerte es eine gute Weile, ehe der lange
gehegte Tuſch und gleich darauf die vorſtellende Stimme
des maître de plaisir am oberen Ende erſchallten.
Ich hatte mich nicht umgeblickt und mein Haupt in
ſtolzeſter Haltung aufgerichtet, um das ſchlagende Herz
vor mir ſelber Lügen zu ſtrafen. Erſt als ich meinen
Vater den Namen: „Freifräulein Eberhardine von
Reckenburg,“ nennen hörte und während ich mich zu
der bewährten Menuetſenkung niederließ, hob ich das
Auge, ſo ruhig ich vermochte, zu dem Vorüberſtrei¬
fenden empor.
Ich war auf einen ſchönen Mann vorbereitet;
der aber, meine Freunde, welcher meinem Blicke be¬
gegnete, es war nicht der ſchönſte Mann, den ich bis
dahin geſehen — denn das würde nicht viel bedeuten
— aber es war und blieb, ich weiß keinen bezeichnen¬
deren Ausdruck, als der anmuthvollſte Jüngling, den
das Leben mir vorgeführt hat. Hatte er in ſeiner Ju¬
gend geſtürmt, das Aeußere wenigſtens trug von dieſen
Stürmen keine Spur; nicht die ſchlanke, geſchmeidige Fi¬
gur, nicht die roſige Farbe von faſt mädchenhafter
Transparenz, nicht die Züge, welche vielleicht zu weich
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/238>, abgerufen am 31.07.2024.
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