Dorothee, die mich nicht vor dem morgenden Tage erwartet hatte und von einem Ausgange zurückkehrte. Jetzt erst legte ich die Reisekleider ab, öffnete dann, meine Nachbarin zu überraschen, leise die Thür und stand eine Weile unbemerkt auf ihrer Schwelle.
Die rege, behende kleine Dorl saß am Fenster, das Köpfchen in die Hand gestützt, sie, die ich immer nur lachen und plaudern gehört, sie -- seufzte; sie schien mir bleicher, als da ich sie verlassen hatte, das Auge weiter, fragender geöffnet und von einem bläu¬ lichen Schatten umringt. Die Blumen auf dem Fen¬ sterbrett hingen durstig die Köpfe, die Zeisige im Bauer flatterten unruhig nach Futter. Ihre fröh¬ liche Pflegerin hatte sie versäumt.
Sobald sie jedoch meiner ansichtig ward, da goß sich der gewohnte blühende Lebenshauch über die lieb¬ liche Gestalt. Sie stürzte mit einem Freudenschrei an meine Brust. "Hardine!" jubelte sie, "Fräulein Har¬ dine, o, nun ist Alles wieder gut!"
"Was ist gut?" fragte ich, indem ich mich zu ihr setzte und ihre Hand faßte. "Hast Du Kummer, Dorothee?" Sie schüttelte den Kopf. "Oder Sorge? Um den Faber etwa?"
"Um den Faber? ach, was weiß ich von dem!
Dorothee, die mich nicht vor dem morgenden Tage erwartet hatte und von einem Ausgange zurückkehrte. Jetzt erſt legte ich die Reiſekleider ab, öffnete dann, meine Nachbarin zu überraſchen, leiſe die Thür und ſtand eine Weile unbemerkt auf ihrer Schwelle.
Die rege, behende kleine Dorl ſaß am Fenſter, das Köpfchen in die Hand geſtützt, ſie, die ich immer nur lachen und plaudern gehört, ſie — ſeufzte; ſie ſchien mir bleicher, als da ich ſie verlaſſen hatte, das Auge weiter, fragender geöffnet und von einem bläu¬ lichen Schatten umringt. Die Blumen auf dem Fen¬ ſterbrett hingen durſtig die Köpfe, die Zeiſige im Bauer flatterten unruhig nach Futter. Ihre fröh¬ liche Pflegerin hatte ſie verſäumt.
Sobald ſie jedoch meiner anſichtig ward, da goß ſich der gewohnte blühende Lebenshauch über die lieb¬ liche Geſtalt. Sie ſtürzte mit einem Freudenſchrei an meine Bruſt. „Hardine!“ jubelte ſie, „Fräulein Har¬ dine, o, nun iſt Alles wieder gut!“
„Was iſt gut?“ fragte ich, indem ich mich zu ihr ſetzte und ihre Hand faßte. „Haſt Du Kummer, Dorothee?“ Sie ſchüttelte den Kopf. „Oder Sorge? Um den Faber etwa?“
„Um den Faber? ach, was weiß ich von dem!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0228"n="221"/>
Dorothee, die mich nicht vor dem morgenden Tage<lb/>
erwartet hatte und von einem Ausgange zurückkehrte.<lb/>
Jetzt erſt legte ich die Reiſekleider ab, öffnete dann,<lb/>
meine Nachbarin zu überraſchen, leiſe die Thür und<lb/>ſtand eine Weile unbemerkt auf ihrer Schwelle.</p><lb/><p>Die rege, behende kleine Dorl ſaß am Fenſter,<lb/>
das Köpfchen in die Hand geſtützt, ſie, die ich immer<lb/>
nur lachen und plaudern gehört, ſie —ſeufzte; ſie<lb/>ſchien mir bleicher, als da ich ſie verlaſſen hatte, das<lb/>
Auge weiter, fragender geöffnet und von einem bläu¬<lb/>
lichen Schatten umringt. Die Blumen auf dem Fen¬<lb/>ſterbrett hingen durſtig die Köpfe, die Zeiſige im<lb/>
Bauer flatterten unruhig nach Futter. Ihre fröh¬<lb/>
liche Pflegerin hatte ſie verſäumt.</p><lb/><p>Sobald ſie jedoch meiner anſichtig ward, da goß<lb/>ſich der gewohnte blühende Lebenshauch über die lieb¬<lb/>
liche Geſtalt. Sie ſtürzte mit einem Freudenſchrei an<lb/>
meine Bruſt. „Hardine!“ jubelte ſie, „Fräulein Har¬<lb/>
dine, o, nun iſt Alles wieder gut!“</p><lb/><p>„<hirendition="#g">Was</hi> iſt gut?“ fragte ich, indem ich mich zu<lb/>
ihr ſetzte und ihre Hand faßte. „Haſt Du Kummer,<lb/>
Dorothee?“ Sie ſchüttelte den Kopf. „Oder Sorge?<lb/>
Um den Faber etwa?“</p><lb/><p>„Um den Faber? ach, was weiß ich von dem!<lb/></p></div></body></text></TEI>
[221/0228]
Dorothee, die mich nicht vor dem morgenden Tage
erwartet hatte und von einem Ausgange zurückkehrte.
Jetzt erſt legte ich die Reiſekleider ab, öffnete dann,
meine Nachbarin zu überraſchen, leiſe die Thür und
ſtand eine Weile unbemerkt auf ihrer Schwelle.
Die rege, behende kleine Dorl ſaß am Fenſter,
das Köpfchen in die Hand geſtützt, ſie, die ich immer
nur lachen und plaudern gehört, ſie — ſeufzte; ſie
ſchien mir bleicher, als da ich ſie verlaſſen hatte, das
Auge weiter, fragender geöffnet und von einem bläu¬
lichen Schatten umringt. Die Blumen auf dem Fen¬
ſterbrett hingen durſtig die Köpfe, die Zeiſige im
Bauer flatterten unruhig nach Futter. Ihre fröh¬
liche Pflegerin hatte ſie verſäumt.
Sobald ſie jedoch meiner anſichtig ward, da goß
ſich der gewohnte blühende Lebenshauch über die lieb¬
liche Geſtalt. Sie ſtürzte mit einem Freudenſchrei an
meine Bruſt. „Hardine!“ jubelte ſie, „Fräulein Har¬
dine, o, nun iſt Alles wieder gut!“
„Was iſt gut?“ fragte ich, indem ich mich zu
ihr ſetzte und ihre Hand faßte. „Haſt Du Kummer,
Dorothee?“ Sie ſchüttelte den Kopf. „Oder Sorge?
Um den Faber etwa?“
„Um den Faber? ach, was weiß ich von dem!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/228>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.