Tante war nicht spröde, dieselben zu verwerthen. Bald sah ich mich von der akademischen Lernfreiheit in Comtoir und Schreibstube abgelenkt. Ich sagte bereits, daß ich gleich in den ersten Tagen zum Dol¬ metscher ihrer mündlichen Befehle berufen ward. Die knappe, präcise Art, mit welcher Meldung und Ge¬ genmeldung ausgerichtet wurden, nicht minder die Schwäche, welche häufig genug die Feder aus der Hand der unermüdlichen Greisin sinken ließ, erweck¬ ten den Versuch auch im schriftlichen Gebiet. Bald vollzog ich unter ihrem Dictat die Anweisungen und Antworten an Beamte, Gerichtshalter, Behörden und so weiter; mit rascher, deutlicher Handschrift wurde in wenigen Minuten expedirt, womit die zitternden Fin¬ ger sich tagelang abgequält hätten, und nach wenigen glücklich gelösten Stylproben sah ich mich zum selbst¬ ständigen Secretair der Reckenburg aufgerückt.
Noch aber lag das Heiligthum des geheimni߬ vollen Cassabuchs unenthüllt auch vor meinen Blicken und just für dieses Alpha und Omega ihres Tages¬ laufs bedurfte die glückliche Sammlerin am dringend¬ sten eines zuverlässigen Disponenten, so daß am Ende auch aus dieser Noth eine Tugend gemacht werden mußte.
Ich will Euch, meine Freunde, nicht des Brei¬
Tante war nicht ſpröde, dieſelben zu verwerthen. Bald ſah ich mich von der akademiſchen Lernfreiheit in Comtoir und Schreibſtube abgelenkt. Ich ſagte bereits, daß ich gleich in den erſten Tagen zum Dol¬ metſcher ihrer mündlichen Befehle berufen ward. Die knappe, präciſe Art, mit welcher Meldung und Ge¬ genmeldung ausgerichtet wurden, nicht minder die Schwäche, welche häufig genug die Feder aus der Hand der unermüdlichen Greiſin ſinken ließ, erweck¬ ten den Verſuch auch im ſchriftlichen Gebiet. Bald vollzog ich unter ihrem Dictat die Anweiſungen und Antworten an Beamte, Gerichtshalter, Behörden und ſo weiter; mit raſcher, deutlicher Handſchrift wurde in wenigen Minuten expedirt, womit die zitternden Fin¬ ger ſich tagelang abgequält hätten, und nach wenigen glücklich gelöſten Stylproben ſah ich mich zum ſelbſt¬ ſtändigen Secretair der Reckenburg aufgerückt.
Noch aber lag das Heiligthum des geheimni߬ vollen Caſſabuchs unenthüllt auch vor meinen Blicken und juſt für dieſes Alpha und Omega ihres Tages¬ laufs bedurfte die glückliche Sammlerin am dringend¬ ſten eines zuverläſſigen Disponenten, ſo daß am Ende auch aus dieſer Noth eine Tugend gemacht werden mußte.
Ich will Euch, meine Freunde, nicht des Brei¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0206"n="199"/>
Tante war nicht ſpröde, dieſelben zu verwerthen.<lb/>
Bald ſah ich mich von der akademiſchen Lernfreiheit<lb/>
in Comtoir und Schreibſtube abgelenkt. Ich ſagte<lb/>
bereits, daß ich gleich in den erſten Tagen zum Dol¬<lb/>
metſcher ihrer mündlichen Befehle berufen ward. Die<lb/>
knappe, präciſe Art, mit welcher Meldung und Ge¬<lb/>
genmeldung ausgerichtet wurden, nicht minder die<lb/>
Schwäche, welche häufig genug die Feder aus der<lb/>
Hand der unermüdlichen Greiſin ſinken ließ, erweck¬<lb/>
ten den Verſuch auch im ſchriftlichen Gebiet. Bald<lb/>
vollzog ich unter ihrem Dictat die Anweiſungen und<lb/>
Antworten an Beamte, Gerichtshalter, Behörden und<lb/>ſo weiter; mit raſcher, deutlicher Handſchrift wurde in<lb/>
wenigen Minuten expedirt, womit die zitternden Fin¬<lb/>
ger ſich tagelang abgequält hätten, und nach wenigen<lb/>
glücklich gelöſten Stylproben ſah ich mich zum ſelbſt¬<lb/>ſtändigen Secretair der Reckenburg aufgerückt.</p><lb/><p>Noch aber lag das Heiligthum des geheimni߬<lb/>
vollen Caſſabuchs unenthüllt auch vor meinen Blicken<lb/>
und juſt für dieſes Alpha und Omega ihres Tages¬<lb/>
laufs bedurfte die glückliche Sammlerin am dringend¬<lb/>ſten eines zuverläſſigen Disponenten, ſo daß am Ende<lb/>
auch aus dieſer Noth eine Tugend gemacht werden mußte.</p><lb/><p>Ich will Euch, meine Freunde, nicht des Brei¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0206]
Tante war nicht ſpröde, dieſelben zu verwerthen.
Bald ſah ich mich von der akademiſchen Lernfreiheit
in Comtoir und Schreibſtube abgelenkt. Ich ſagte
bereits, daß ich gleich in den erſten Tagen zum Dol¬
metſcher ihrer mündlichen Befehle berufen ward. Die
knappe, präciſe Art, mit welcher Meldung und Ge¬
genmeldung ausgerichtet wurden, nicht minder die
Schwäche, welche häufig genug die Feder aus der
Hand der unermüdlichen Greiſin ſinken ließ, erweck¬
ten den Verſuch auch im ſchriftlichen Gebiet. Bald
vollzog ich unter ihrem Dictat die Anweiſungen und
Antworten an Beamte, Gerichtshalter, Behörden und
ſo weiter; mit raſcher, deutlicher Handſchrift wurde in
wenigen Minuten expedirt, womit die zitternden Fin¬
ger ſich tagelang abgequält hätten, und nach wenigen
glücklich gelöſten Stylproben ſah ich mich zum ſelbſt¬
ſtändigen Secretair der Reckenburg aufgerückt.
Noch aber lag das Heiligthum des geheimni߬
vollen Caſſabuchs unenthüllt auch vor meinen Blicken
und juſt für dieſes Alpha und Omega ihres Tages¬
laufs bedurfte die glückliche Sammlerin am dringend¬
ſten eines zuverläſſigen Disponenten, ſo daß am Ende
auch aus dieſer Noth eine Tugend gemacht werden mußte.
Ich will Euch, meine Freunde, nicht des Brei¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/206>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.