Und nun zählt zu des Priesters verhallendem Wort die jammervoll leere Hand des Menschenfreun¬ des. Einer, der nur geben, immer geben, unbe¬ rechnet hätte geben mögen, und der sich mit einer bettelarmen Gemeinde um magere Zinshähne und karge Beichtgroschen streiten mußte, wenn er nur das Dürf¬ tigste zu geben haben wollte. Zählt dazu endlich den Man¬ gel eines häuslichen Heerdes: die geliebte Gattin todt, den einzigen Sohn ferne auf eigenen, rauhen Wegen. Wahrlich, der Mann hätte versiechen müssen wie in der Wüste ein Quell, wenn nicht in unserer jungauf¬ strebenden Literatur sich eine Welt für seine freudige Beschaulichkeit eröffnet hätte. Mit dem Blicke des Hu¬ manisten und des Menschenfreundes folgte er auch den wildwuchernden Trieben jener Zeit, und sein Herz schlug in höchster Beseligung, wenn er etwas dauernd Edles für sein der veredelnden Schönheit so bedürf¬ tiges Volk entdeckt hatte; am reinsten aber strahlte seine Freude, sobald er sie, sei's auch nur einen schwachen Wiederstrahl erwecken sah.
Er empfing daher das anklopfende Kind wie einen Sendling Gottes, denn bis zu einem gewissen Grade fand er in ihm Aufmerksamkeit und Verständ¬ niß für seine Welt. Jeden Nachmittag von diesem
Und nun zählt zu des Prieſters verhallendem Wort die jammervoll leere Hand des Menſchenfreun¬ des. Einer, der nur geben, immer geben, unbe¬ rechnet hätte geben mögen, und der ſich mit einer bettelarmen Gemeinde um magere Zinshähne und karge Beichtgroſchen ſtreiten mußte, wenn er nur das Dürf¬ tigſte zu geben haben wollte. Zählt dazu endlich den Man¬ gel eines häuslichen Heerdes: die geliebte Gattin todt, den einzigen Sohn ferne auf eigenen, rauhen Wegen. Wahrlich, der Mann hätte verſiechen müſſen wie in der Wüſte ein Quell, wenn nicht in unſerer jungauf¬ ſtrebenden Literatur ſich eine Welt für ſeine freudige Beſchaulichkeit eröffnet hätte. Mit dem Blicke des Hu¬ maniſten und des Menſchenfreundes folgte er auch den wildwuchernden Trieben jener Zeit, und ſein Herz ſchlug in höchſter Beſeligung, wenn er etwas dauernd Edles für ſein der veredelnden Schönheit ſo bedürf¬ tiges Volk entdeckt hatte; am reinſten aber ſtrahlte ſeine Freude, ſobald er ſie, ſei's auch nur einen ſchwachen Wiederſtrahl erwecken ſah.
Er empfing daher das anklopfende Kind wie einen Sendling Gottes, denn bis zu einem gewiſſen Grade fand er in ihm Aufmerkſamkeit und Verſtänd¬ niß für ſeine Welt. Jeden Nachmittag von dieſem
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Und nun zählt zu des Prieſters verhallendem
Wort die jammervoll leere Hand des Menſchenfreun¬
des. Einer, der nur geben, immer geben, unbe¬
rechnet hätte geben mögen, und der ſich mit einer
bettelarmen Gemeinde um magere Zinshähne und karge
Beichtgroſchen ſtreiten mußte, wenn er nur das Dürf¬
tigſte zu geben haben wollte. Zählt dazu endlich den Man¬
gel eines häuslichen Heerdes: die geliebte Gattin todt,
den einzigen Sohn ferne auf eigenen, rauhen Wegen.
Wahrlich, der Mann hätte verſiechen müſſen wie in
der Wüſte ein Quell, wenn nicht in unſerer jungauf¬
ſtrebenden Literatur ſich eine Welt für ſeine freudige
Beſchaulichkeit eröffnet hätte. Mit dem Blicke des Hu¬
maniſten und des Menſchenfreundes folgte er auch
den wildwuchernden Trieben jener Zeit, und ſein Herz
ſchlug in höchſter Beſeligung, wenn er etwas dauernd
Edles für ſein der veredelnden Schönheit ſo bedürf¬
tiges Volk entdeckt hatte; am reinſten aber ſtrahlte
ſeine Freude, ſobald er ſie, ſei's auch nur einen
ſchwachen Wiederſtrahl erwecken ſah.
Er empfing daher das anklopfende Kind wie
einen Sendling Gottes, denn bis zu einem gewiſſen
Grade fand er in ihm Aufmerkſamkeit und Verſtänd¬
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/204>, abgerufen am 25.11.2024.
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