rührt ließ, und Italienern, die ich nicht verstand, -- zwar lediglich Franzosen; aber das, was eine große Nation in ihrer größten Epoche hervorgebracht hat, würde schon hingereicht haben, eine junge, durstige Seele für lange Zeit zu stillen. Und dazu trat nun noch von vornherein der Pfarrer mit seinen geliebten jungen Deutschen. Am Sonntag Morgen hörte ich ihn predigen und am Nachmittag klopfte ich an seine Thür.
Ich war ein Kind an Lebenserfahrung und aus einem härteren Stoffe geformt, als er. Gleichwohl brachte ich schon aus dieser ersten Begegnung in Amt und Haus das bedrückende Vorgefühl einer verfehlten Existenz. Je länger ich ihn aber im Dienste einer leiblich und geistig verwilderten Gemeinde kennen lernte, den milden, sinnvollen Menschen und Christen, dessen Grundneigung auf ein edles Maaß und har¬ monische Bildungen gestellt war, unverstanden, unge¬ liebt, die liebenswertheste und liebevollste Natur, um so lebhafter fühlte ich in seiner Nähe buchstäblich ein körperliches Weh, und so viel ich persönlich an ihm verlor, ich fand keine Ruhe, bis ich ihn an einen Platz gestellt wußte, wo seine Lehre und sein Vorbild in empfänglicheren Gemüthern zünden durften.
rührt ließ, und Italienern, die ich nicht verſtand, — zwar lediglich Franzoſen; aber das, was eine große Nation in ihrer größten Epoche hervorgebracht hat, würde ſchon hingereicht haben, eine junge, durſtige Seele für lange Zeit zu ſtillen. Und dazu trat nun noch von vornherein der Pfarrer mit ſeinen geliebten jungen Deutſchen. Am Sonntag Morgen hörte ich ihn predigen und am Nachmittag klopfte ich an ſeine Thür.
Ich war ein Kind an Lebenserfahrung und aus einem härteren Stoffe geformt, als er. Gleichwohl brachte ich ſchon aus dieſer erſten Begegnung in Amt und Haus das bedrückende Vorgefühl einer verfehlten Exiſtenz. Je länger ich ihn aber im Dienſte einer leiblich und geiſtig verwilderten Gemeinde kennen lernte, den milden, ſinnvollen Menſchen und Chriſten, deſſen Grundneigung auf ein edles Maaß und har¬ moniſche Bildungen geſtellt war, unverſtanden, unge¬ liebt, die liebenswertheſte und liebevollſte Natur, um ſo lebhafter fühlte ich in ſeiner Nähe buchſtäblich ein körperliches Weh, und ſo viel ich perſönlich an ihm verlor, ich fand keine Ruhe, bis ich ihn an einen Platz geſtellt wußte, wo ſeine Lehre und ſein Vorbild in empfänglicheren Gemüthern zünden durften.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0203"n="196"/>
rührt ließ, und Italienern, die ich nicht verſtand, —<lb/>
zwar lediglich Franzoſen; aber das, was eine große<lb/>
Nation in ihrer größten Epoche hervorgebracht hat,<lb/>
würde ſchon hingereicht haben, eine junge, durſtige<lb/>
Seele für lange Zeit zu ſtillen. Und dazu trat nun<lb/>
noch von vornherein der Pfarrer mit ſeinen geliebten<lb/>
jungen Deutſchen. Am Sonntag Morgen hörte ich<lb/>
ihn predigen und am Nachmittag klopfte ich an ſeine<lb/>
Thür.</p><lb/><p>Ich war ein Kind an Lebenserfahrung und aus<lb/>
einem härteren Stoffe geformt, als er. <choice><sic>Gleichwoh</sic><corr>Gleichwohl</corr></choice><lb/>
brachte ich ſchon aus dieſer erſten Begegnung in Amt<lb/>
und Haus das bedrückende Vorgefühl einer verfehlten<lb/>
Exiſtenz. Je länger ich ihn aber im Dienſte einer<lb/>
leiblich und geiſtig verwilderten Gemeinde kennen<lb/>
lernte, den milden, ſinnvollen Menſchen und Chriſten,<lb/>
deſſen Grundneigung auf ein edles Maaß und har¬<lb/>
moniſche Bildungen geſtellt war, unverſtanden, unge¬<lb/>
liebt, die liebenswertheſte und liebevollſte Natur, um<lb/>ſo lebhafter fühlte ich in ſeiner Nähe buchſtäblich ein<lb/>
körperliches Weh, und ſo viel ich perſönlich an ihm<lb/>
verlor, ich fand keine Ruhe, bis ich ihn an einen<lb/>
Platz geſtellt wußte, wo ſeine Lehre und ſein Vorbild<lb/>
in empfänglicheren Gemüthern zünden durften.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[196/0203]
rührt ließ, und Italienern, die ich nicht verſtand, —
zwar lediglich Franzoſen; aber das, was eine große
Nation in ihrer größten Epoche hervorgebracht hat,
würde ſchon hingereicht haben, eine junge, durſtige
Seele für lange Zeit zu ſtillen. Und dazu trat nun
noch von vornherein der Pfarrer mit ſeinen geliebten
jungen Deutſchen. Am Sonntag Morgen hörte ich
ihn predigen und am Nachmittag klopfte ich an ſeine
Thür.
Ich war ein Kind an Lebenserfahrung und aus
einem härteren Stoffe geformt, als er. Gleichwohl
brachte ich ſchon aus dieſer erſten Begegnung in Amt
und Haus das bedrückende Vorgefühl einer verfehlten
Exiſtenz. Je länger ich ihn aber im Dienſte einer
leiblich und geiſtig verwilderten Gemeinde kennen
lernte, den milden, ſinnvollen Menſchen und Chriſten,
deſſen Grundneigung auf ein edles Maaß und har¬
moniſche Bildungen geſtellt war, unverſtanden, unge¬
liebt, die liebenswertheſte und liebevollſte Natur, um
ſo lebhafter fühlte ich in ſeiner Nähe buchſtäblich ein
körperliches Weh, und ſo viel ich perſönlich an ihm
verlor, ich fand keine Ruhe, bis ich ihn an einen
Platz geſtellt wußte, wo ſeine Lehre und ſein Vorbild
in empfänglicheren Gemüthern zünden durften.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/203>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.