Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189.

Bild:
<< vorherige Seite

sich dann vorsichtig durch die Büsche hinarbei-
tete. Die Zweige schlugen ihm unfreundlich
Stirn und Wangen mit der kalten Nässe des
Abendthau's, ein ferner Donner murmelte jen-
seit der Berge hin, es sah Alles so seltsam aus,
daß er anfing, eine Scheu vor der weißen Ge-
stalt zu empfinden, die nun schon unfern von ihm
am Boden lag. Doch konnte er ganz deutlich
unterscheiden, daß es ein schlafendes oder ohn-
mächtiges Frauenzimmer in langen, weißen Ge-
wändern war, wie sie Bertalda Heute getragen
hatte. Er trat dicht vor sie hin, rauschte an
den Zweigen, klirrte an seinem Schwerdte, --
sie regte sich nicht. -- Bertalda! sprach er; erst
leise, dann immer lauter, -- sie hörte nicht.
Als er zuletzt den theuern Namen mit gewalt-
samer Anstrengung rief, hallte ein dumpfes Echo
aus den Berghölen des Thales lallend zurück:
Bertalda! -- aber die Schläferin blieb uner-
weckt. Er beugte sich zu ihr nieder; die Dun-
kelheit des Thales und der einbrechenden Nacht
ließen keinen ihrer Gesichtszüge unterscheiden.

ſich dann vorſichtig durch die Buͤſche hinarbei-
tete. Die Zweige ſchlugen ihm unfreundlich
Stirn und Wangen mit der kalten Naͤſſe des
Abendthau’s, ein ferner Donner murmelte jen-
ſeit der Berge hin, es ſah Alles ſo ſeltſam aus,
daß er anfing, eine Scheu vor der weißen Ge-
ſtalt zu empfinden, die nun ſchon unfern von ihm
am Boden lag. Doch konnte er ganz deutlich
unterſcheiden, daß es ein ſchlafendes oder ohn-
maͤchtiges Frauenzimmer in langen, weißen Ge-
waͤndern war, wie ſie Bertalda Heute getragen
hatte. Er trat dicht vor ſie hin, rauſchte an
den Zweigen, klirrte an ſeinem Schwerdte, —
ſie regte ſich nicht. — Bertalda! ſprach er; erſt
leiſe, dann immer lauter, — ſie hoͤrte nicht.
Als er zuletzt den theuern Namen mit gewalt-
ſamer Anſtrengung rief, hallte ein dumpfes Echo
aus den Berghoͤlen des Thales lallend zuruͤck:
Bertalda! — aber die Schlaͤferin blieb uner-
weckt. Er beugte ſich zu ihr nieder; die Dun-
kelheit des Thales und der einbrechenden Nacht
ließen keinen ihrer Geſichtszuͤge unterſcheiden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0154" n="140"/>
&#x017F;ich dann vor&#x017F;ichtig durch die Bu&#x0364;&#x017F;che hinarbei-<lb/>
tete. Die Zweige &#x017F;chlugen ihm unfreundlich<lb/>
Stirn und Wangen mit der kalten Na&#x0364;&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Abendthau&#x2019;s, ein ferner Donner murmelte jen-<lb/>
&#x017F;eit der Berge hin, es &#x017F;ah Alles &#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;am aus,<lb/>
daß er anfing, eine Scheu vor der weißen Ge-<lb/>
&#x017F;talt zu empfinden, die nun &#x017F;chon unfern von ihm<lb/>
am Boden lag. Doch konnte er ganz deutlich<lb/>
unter&#x017F;cheiden, daß es ein &#x017F;chlafendes oder ohn-<lb/>
ma&#x0364;chtiges Frauenzimmer in langen, weißen Ge-<lb/>
wa&#x0364;ndern war, wie &#x017F;ie Bertalda Heute getragen<lb/>
hatte. Er trat dicht vor &#x017F;ie hin, rau&#x017F;chte an<lb/>
den Zweigen, klirrte an &#x017F;einem Schwerdte, &#x2014;<lb/>
&#x017F;ie regte &#x017F;ich nicht. &#x2014; Bertalda! &#x017F;prach er; er&#x017F;t<lb/>
lei&#x017F;e, dann immer lauter, &#x2014; &#x017F;ie ho&#x0364;rte nicht.<lb/>
Als er zuletzt den theuern Namen mit gewalt-<lb/>
&#x017F;amer An&#x017F;trengung rief, hallte ein dumpfes Echo<lb/>
aus den Bergho&#x0364;len des Thales lallend zuru&#x0364;ck:<lb/>
Bertalda! &#x2014; aber die Schla&#x0364;ferin blieb uner-<lb/>
weckt. Er beugte &#x017F;ich zu ihr nieder; die Dun-<lb/>
kelheit des Thales und der einbrechenden Nacht<lb/>
ließen keinen ihrer Ge&#x017F;ichtszu&#x0364;ge unter&#x017F;cheiden.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0154] ſich dann vorſichtig durch die Buͤſche hinarbei- tete. Die Zweige ſchlugen ihm unfreundlich Stirn und Wangen mit der kalten Naͤſſe des Abendthau’s, ein ferner Donner murmelte jen- ſeit der Berge hin, es ſah Alles ſo ſeltſam aus, daß er anfing, eine Scheu vor der weißen Ge- ſtalt zu empfinden, die nun ſchon unfern von ihm am Boden lag. Doch konnte er ganz deutlich unterſcheiden, daß es ein ſchlafendes oder ohn- maͤchtiges Frauenzimmer in langen, weißen Ge- waͤndern war, wie ſie Bertalda Heute getragen hatte. Er trat dicht vor ſie hin, rauſchte an den Zweigen, klirrte an ſeinem Schwerdte, — ſie regte ſich nicht. — Bertalda! ſprach er; erſt leiſe, dann immer lauter, — ſie hoͤrte nicht. Als er zuletzt den theuern Namen mit gewalt- ſamer Anſtrengung rief, hallte ein dumpfes Echo aus den Berghoͤlen des Thales lallend zuruͤck: Bertalda! — aber die Schlaͤferin blieb uner- weckt. Er beugte ſich zu ihr nieder; die Dun- kelheit des Thales und der einbrechenden Nacht ließen keinen ihrer Geſichtszuͤge unterſcheiden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811/154
Zitationshilfe: Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189, hier S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811/154>, abgerufen am 28.11.2024.