ließ, kein Auge von Undinen. Aber die schöne Frau blieb noch immer still, und lächelte nur heimlich und innig froh vor sich hin. Wer um ihre gethane Verheissung wußte, konnte sehn, daß sie ihr erquickendes Geheimniß alle Augen- blick verrathen wollte, und es doch noch immer in lüsterner Entsagung zurücklegte, wie es Kinder bisweilen mit ihren liebsten Lekkerbissen thun. Bertalda und Huldbrand theilten dies wonnige Gefühl, in hoffender Bangigkeit das neue Glück erwartend, welches von ihrer Freundin Lippen auf sie hernieder thauen sollte. Da baten ver- schiedne von der Gesellschaft Undinen um ein Lied. Es schien ihr gelegen zu kommen, sie ließ sich sogleich ihre Laute bringen, und sang folgende Worte:
Morgen so hell, Blumen so bunt, Gräser so duftig und hoch An wallenden See's Gestade! Was zwischen den Gräsern Schimmert so licht?
ließ, kein Auge von Undinen. Aber die ſchoͤne Frau blieb noch immer ſtill, und laͤchelte nur heimlich und innig froh vor ſich hin. Wer um ihre gethane Verheiſſung wußte, konnte ſehn, daß ſie ihr erquickendes Geheimniß alle Augen- blick verrathen wollte, und es doch noch immer in luͤſterner Entſagung zuruͤcklegte, wie es Kinder bisweilen mit ihren liebſten Lekkerbiſſen thun. Bertalda und Huldbrand theilten dies wonnige Gefuͤhl, in hoffender Bangigkeit das neue Gluͤck erwartend, welches von ihrer Freundin Lippen auf ſie hernieder thauen ſollte. Da baten ver- ſchiedne von der Geſellſchaft Undinen um ein Lied. Es ſchien ihr gelegen zu kommen, ſie ließ ſich ſogleich ihre Laute bringen, und ſang folgende Worte:
Morgen ſo hell, Blumen ſo bunt, Graͤſer ſo duftig und hoch An wallenden See’s Geſtade! Was zwiſchen den Graͤſern Schimmert ſo licht?
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0120"n="106"/>
ließ, kein Auge von Undinen. Aber die ſchoͤne<lb/>
Frau blieb noch immer ſtill, und laͤchelte nur<lb/>
heimlich und innig froh vor ſich hin. Wer um<lb/>
ihre gethane Verheiſſung wußte, konnte ſehn,<lb/>
daß ſie ihr erquickendes Geheimniß alle Augen-<lb/>
blick verrathen wollte, und es doch noch immer<lb/>
in luͤſterner Entſagung zuruͤcklegte, wie es Kinder<lb/>
bisweilen mit ihren liebſten Lekkerbiſſen thun.<lb/>
Bertalda und Huldbrand theilten dies wonnige<lb/>
Gefuͤhl, in hoffender Bangigkeit das neue Gluͤck<lb/>
erwartend, welches von ihrer Freundin Lippen<lb/>
auf ſie hernieder thauen ſollte. Da baten ver-<lb/>ſchiedne von der Geſellſchaft Undinen um ein<lb/>
Lied. Es ſchien ihr gelegen zu kommen, ſie<lb/>
ließ ſich ſogleich ihre Laute bringen, und ſang<lb/>
folgende Worte:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Morgen ſo hell,</l><lb/><l>Blumen ſo bunt,</l><lb/><l>Graͤſer ſo duftig und hoch</l><lb/><l>An wallenden See’s Geſtade!</l><lb/><l>Was zwiſchen den Graͤſern</l><lb/><l>Schimmert ſo licht?</l><lb/></lg></div></div></body></text></TEI>
[106/0120]
ließ, kein Auge von Undinen. Aber die ſchoͤne
Frau blieb noch immer ſtill, und laͤchelte nur
heimlich und innig froh vor ſich hin. Wer um
ihre gethane Verheiſſung wußte, konnte ſehn,
daß ſie ihr erquickendes Geheimniß alle Augen-
blick verrathen wollte, und es doch noch immer
in luͤſterner Entſagung zuruͤcklegte, wie es Kinder
bisweilen mit ihren liebſten Lekkerbiſſen thun.
Bertalda und Huldbrand theilten dies wonnige
Gefuͤhl, in hoffender Bangigkeit das neue Gluͤck
erwartend, welches von ihrer Freundin Lippen
auf ſie hernieder thauen ſollte. Da baten ver-
ſchiedne von der Geſellſchaft Undinen um ein
Lied. Es ſchien ihr gelegen zu kommen, ſie
ließ ſich ſogleich ihre Laute bringen, und ſang
folgende Worte:
Morgen ſo hell,
Blumen ſo bunt,
Graͤſer ſo duftig und hoch
An wallenden See’s Geſtade!
Was zwiſchen den Graͤſern
Schimmert ſo licht?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189, hier S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811/120>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.