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Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810.

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vorlesen, wenn er nicht schläft, wie jetzt, daher arbeite ich meist des Nachts. Des Nachts? fragte Luise, so feine Stickerei? Warum nicht, entgegnete jene, dann ist alles so still und heimlich, Lottchen steht wie ein freundlicher Geist vor mir, ich sehe ihre hellen Blicke, und denke wie schön sie in dem Kleide sein wird, und alles geht leicht und gut. Der Alte rief aus dem Nebenzimmer. Wilhelmine eilte schnell zu ihm, kehrte indeß sogleich zurück, um Luisen zu dem guten Onkel zu führen, der herzlich nach ihr verlangte.

Während das sorgsame Mädchen, theils um den Kranken, theils in häuslichen Verrichtungen, auswärts beschäftigt war, sagte Luise dem Prediger, wie es sie überrascht habe, die alte Jugendfreundin so unerwartet zu finden, und wie sie sich freue, die liebreiche Pflegerin bei ihm zu wissen. Das fromme Herz! rief jener gerührt. Sie ringt so still mit dem großen Leid, das an ihr nagt, und überfliegt es oft, indem sie sich unaufhörlich in die thätigste Wirksamkeit für Andre verliert. Sie drückt der Schmerz nicht; er hebt sie und zieht sie unwiderstehlich zu denen, die noch etwas vom Leben erwarten, und denen sie freudig ihr ganzes Dasein opfert, ja sie schilt sich, wenn ihr eigne Sorgen den Sinn verfinstern und sie nicht mit der ganzen, lebendigen Kraft ihre seelige Bestimmung verfolgt. Und das

vorlesen, wenn er nicht schläft, wie jetzt, daher arbeite ich meist des Nachts. Des Nachts? fragte Luise, so feine Stickerei? Warum nicht, entgegnete jene, dann ist alles so still und heimlich, Lottchen steht wie ein freundlicher Geist vor mir, ich sehe ihre hellen Blicke, und denke wie schön sie in dem Kleide sein wird, und alles geht leicht und gut. Der Alte rief aus dem Nebenzimmer. Wilhelmine eilte schnell zu ihm, kehrte indeß sogleich zurück, um Luisen zu dem guten Onkel zu führen, der herzlich nach ihr verlangte.

Während das sorgsame Mädchen, theils um den Kranken, theils in häuslichen Verrichtungen, auswärts beschäftigt war, sagte Luise dem Prediger, wie es sie überrascht habe, die alte Jugendfreundin so unerwartet zu finden, und wie sie sich freue, die liebreiche Pflegerin bei ihm zu wissen. Das fromme Herz! rief jener gerührt. Sie ringt so still mit dem großen Leid, das an ihr nagt, und überfliegt es oft, indem sie sich unaufhörlich in die thätigste Wirksamkeit für Andre verliert. Sie drückt der Schmerz nicht; er hebt sie und zieht sie unwiderstehlich zu denen, die noch etwas vom Leben erwarten, und denen sie freudig ihr ganzes Dasein opfert, ja sie schilt sich, wenn ihr eigne Sorgen den Sinn verfinstern und sie nicht mit der ganzen, lebendigen Kraft ihre seelige Bestimmung verfolgt. Und das

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[69/0071] vorlesen, wenn er nicht schläft, wie jetzt, daher arbeite ich meist des Nachts. Des Nachts? fragte Luise, so feine Stickerei? Warum nicht, entgegnete jene, dann ist alles so still und heimlich, Lottchen steht wie ein freundlicher Geist vor mir, ich sehe ihre hellen Blicke, und denke wie schön sie in dem Kleide sein wird, und alles geht leicht und gut. Der Alte rief aus dem Nebenzimmer. Wilhelmine eilte schnell zu ihm, kehrte indeß sogleich zurück, um Luisen zu dem guten Onkel zu führen, der herzlich nach ihr verlangte. Während das sorgsame Mädchen, theils um den Kranken, theils in häuslichen Verrichtungen, auswärts beschäftigt war, sagte Luise dem Prediger, wie es sie überrascht habe, die alte Jugendfreundin so unerwartet zu finden, und wie sie sich freue, die liebreiche Pflegerin bei ihm zu wissen. Das fromme Herz! rief jener gerührt. Sie ringt so still mit dem großen Leid, das an ihr nagt, und überfliegt es oft, indem sie sich unaufhörlich in die thätigste Wirksamkeit für Andre verliert. Sie drückt der Schmerz nicht; er hebt sie und zieht sie unwiderstehlich zu denen, die noch etwas vom Leben erwarten, und denen sie freudig ihr ganzes Dasein opfert, ja sie schilt sich, wenn ihr eigne Sorgen den Sinn verfinstern und sie nicht mit der ganzen, lebendigen Kraft ihre seelige Bestimmung verfolgt. Und das

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Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810/71>, abgerufen am 05.12.2024.