Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

auf dem Kirchhofe suchten. Ich werde das nie vergessen! Ich sehe noch die kleinen Kränze, die wir dann an die Linden über die Kirchmauer hingen, und uns freueten, wenn sie nach mehrern Tagen noch frisch und duftend im Winde spielten. Beide wandten sich unwillkührlich nach dem Fenster, der Mauer gegenüber. Die alte Linde streckte ihre nackten Zweige in den kalten Winter hinaus, weißer Reif überzog sie und hing in starken Tropfen herunter. Wie in einem Spiegel den trüben Wechsel ihres eignen Lebens erkennend, senkten Beide die Blicke zur Erde. Sie hatten eine Schwester, hub Luise endlich wieder an, ein schönes, frohes Kind. Sie ist recht freudig herangewachsen, entgegnete Wilhelmine, und feiert in Kurzem ihr Hochzeitfest. Ich sticke eben jetzt das Brautkleid. Also nicht das Ihre? fragte Luise. Ein leises nein, o nein! bebte auf Wilhelminens Lippen. Sie war zum Rahmen getreten, und rollte in großer Bewegung den feinen Mußelin auseinander, um Luisen die Arbeit zu zeigen. Die weißen, leicht hingeworfnen Blumen riefen dieser die trüben Worte des Liedes zurück. Es ist wohl recht mühsam? fragte sie, ihre Erschütterung zu verbergen. Gar nicht, erwiederte Minchen, wieder gefaßt und freundlich. Ich kann nur bei Tage so wenig dabei bleiben; ich muß dem Onkel fast immer

auf dem Kirchhofe suchten. Ich werde das nie vergessen! Ich sehe noch die kleinen Kränze, die wir dann an die Linden über die Kirchmauer hingen, und uns freueten, wenn sie nach mehrern Tagen noch frisch und duftend im Winde spielten. Beide wandten sich unwillkührlich nach dem Fenster, der Mauer gegenüber. Die alte Linde streckte ihre nackten Zweige in den kalten Winter hinaus, weißer Reif überzog sie und hing in starken Tropfen herunter. Wie in einem Spiegel den trüben Wechsel ihres eignen Lebens erkennend, senkten Beide die Blicke zur Erde. Sie hatten eine Schwester, hub Luise endlich wieder an, ein schönes, frohes Kind. Sie ist recht freudig herangewachsen, entgegnete Wilhelmine, und feiert in Kurzem ihr Hochzeitfest. Ich sticke eben jetzt das Brautkleid. Also nicht das Ihre? fragte Luise. Ein leises nein, o nein! bebte auf Wilhelminens Lippen. Sie war zum Rahmen getreten, und rollte in großer Bewegung den feinen Mußelin auseinander, um Luisen die Arbeit zu zeigen. Die weißen, leicht hingeworfnen Blumen riefen dieser die trüben Worte des Liedes zurück. Es ist wohl recht mühsam? fragte sie, ihre Erschütterung zu verbergen. Gar nicht, erwiederte Minchen, wieder gefaßt und freundlich. Ich kann nur bei Tage so wenig dabei bleiben; ich muß dem Onkel fast immer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0070" n="68"/>
auf dem Kirchhofe suchten. Ich werde das nie vergessen! Ich sehe noch die kleinen Kränze, die wir dann an die Linden über die Kirchmauer hingen, und uns freueten, wenn sie nach mehrern Tagen noch frisch und duftend im Winde spielten. Beide wandten sich unwillkührlich nach dem Fenster, der Mauer gegenüber. Die alte Linde streckte ihre nackten Zweige in den kalten Winter hinaus, weißer Reif überzog sie und hing in starken Tropfen herunter. Wie in einem Spiegel den trüben Wechsel ihres eignen Lebens erkennend, senkten Beide die Blicke zur Erde. Sie hatten eine Schwester, hub Luise endlich wieder an, ein schönes, frohes Kind. Sie ist recht freudig herangewachsen, entgegnete Wilhelmine, und feiert in Kurzem ihr Hochzeitfest. Ich sticke eben jetzt das Brautkleid. Also nicht das Ihre? fragte Luise. Ein leises nein, o nein! bebte auf Wilhelminens Lippen. Sie war zum Rahmen getreten, und rollte in großer Bewegung den feinen Mußelin auseinander, um Luisen die Arbeit zu zeigen. Die weißen, leicht hingeworfnen Blumen riefen dieser die trüben Worte des Liedes zurück. Es ist wohl recht mühsam? fragte sie, ihre Erschütterung zu verbergen. Gar nicht, erwiederte Minchen, wieder gefaßt und freundlich. Ich kann nur bei Tage so wenig dabei bleiben; ich muß dem Onkel fast immer
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0070] auf dem Kirchhofe suchten. Ich werde das nie vergessen! Ich sehe noch die kleinen Kränze, die wir dann an die Linden über die Kirchmauer hingen, und uns freueten, wenn sie nach mehrern Tagen noch frisch und duftend im Winde spielten. Beide wandten sich unwillkührlich nach dem Fenster, der Mauer gegenüber. Die alte Linde streckte ihre nackten Zweige in den kalten Winter hinaus, weißer Reif überzog sie und hing in starken Tropfen herunter. Wie in einem Spiegel den trüben Wechsel ihres eignen Lebens erkennend, senkten Beide die Blicke zur Erde. Sie hatten eine Schwester, hub Luise endlich wieder an, ein schönes, frohes Kind. Sie ist recht freudig herangewachsen, entgegnete Wilhelmine, und feiert in Kurzem ihr Hochzeitfest. Ich sticke eben jetzt das Brautkleid. Also nicht das Ihre? fragte Luise. Ein leises nein, o nein! bebte auf Wilhelminens Lippen. Sie war zum Rahmen getreten, und rollte in großer Bewegung den feinen Mußelin auseinander, um Luisen die Arbeit zu zeigen. Die weißen, leicht hingeworfnen Blumen riefen dieser die trüben Worte des Liedes zurück. Es ist wohl recht mühsam? fragte sie, ihre Erschütterung zu verbergen. Gar nicht, erwiederte Minchen, wieder gefaßt und freundlich. Ich kann nur bei Tage so wenig dabei bleiben; ich muß dem Onkel fast immer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in XML/TEI von TextGrid (2013-03-15T15:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus TextGrid entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek Digital: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-15T15:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-15T15:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Wird ein Wort durch einen Seitenumbruch getrennt, so wird es vollständig auf der vorhergehenden Seite übernommen.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810/70
Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810/70>, abgerufen am 05.12.2024.