Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

So in Widersprüchen verstrickt, fiel ihr Auge einst auf das elfenbeinerne Kästchen, welches Violas Bild und jene versiegelten Papiere enthielt. Luise öffnete es, als einzige Besitzerin von allem, was Julius zugehörte, und als Theilhaberin eines Geheimnisses, das hier nur näher bestätigt sein konnte. Wie sie die Haarflechte löste und die Blätter einzeln in ihre Hand fielen, zeigten ihr sogleich die ersten Worte, daß es Briefe der Markise an Viola waren, in welchen sie Fernandos nur zu oft gedachte. Mehrere durchlesend, fand sie einen, der sie mehr als alle andre ergriff, und folgendermaßen lautete:

"Wie dauerst Du mich, arme Viola! in Deinem strengen, farblosen Norden, wenn ich den reichen Schmuck und die Fülle und die Gluth unsrer blumigen Heimath betrachte! Kenne ich doch den lieben, beweglichen Sinn, der Dich wohl abwärts trieb, weil man ihn binden wollte, einst aber kosend, wie unsre erfrischende Seelüfte, über den bunten Schmelz des Lebens hinzog. Armes Herz! und Du sollst nun welken und vergehn unter den schweren Wolken eines fremden Himmels! Ich schreibe Dir aus meiner Villa, von dem wohlbekannten, niedren Balkon, nach der Wasserseite. Ach Viola! wie muß ich hier unsrer Jugend gedenken, und wie nun alles, alles so

So in Widersprüchen verstrickt, fiel ihr Auge einst auf das elfenbeinerne Kästchen, welches Violas Bild und jene versiegelten Papiere enthielt. Luise öffnete es, als einzige Besitzerin von allem, was Julius zugehörte, und als Theilhaberin eines Geheimnisses, das hier nur näher bestätigt sein konnte. Wie sie die Haarflechte löste und die Blätter einzeln in ihre Hand fielen, zeigten ihr sogleich die ersten Worte, daß es Briefe der Markise an Viola waren, in welchen sie Fernandos nur zu oft gedachte. Mehrere durchlesend, fand sie einen, der sie mehr als alle andre ergriff, und folgendermaßen lautete:

»Wie dauerst Du mich, arme Viola! in Deinem strengen, farblosen Norden, wenn ich den reichen Schmuck und die Fülle und die Gluth unsrer blumigen Heimath betrachte! Kenne ich doch den lieben, beweglichen Sinn, der Dich wohl abwärts trieb, weil man ihn binden wollte, einst aber kosend, wie unsre erfrischende Seelüfte, über den bunten Schmelz des Lebens hinzog. Armes Herz! und Du sollst nun welken und vergehn unter den schweren Wolken eines fremden Himmels! Ich schreibe Dir aus meiner Villa, von dem wohlbekannten, niedren Balkon, nach der Wasserseite. Ach Viola! wie muß ich hier unsrer Jugend gedenken, und wie nun alles, alles so

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0063" n="61"/>
        <p> So in Widersprüchen verstrickt, fiel ihr Auge einst auf das elfenbeinerne Kästchen, welches Violas Bild und jene versiegelten Papiere enthielt. Luise öffnete es, als einzige Besitzerin von allem, was Julius zugehörte, und als Theilhaberin eines Geheimnisses, das hier nur näher bestätigt sein konnte. Wie sie die Haarflechte löste und die Blätter einzeln in ihre Hand fielen, zeigten ihr sogleich die ersten Worte, daß es Briefe der Markise an Viola waren, in welchen sie Fernandos nur zu oft gedachte. Mehrere durchlesend, fand sie einen, der sie mehr als alle andre ergriff, und folgendermaßen lautete:</p>
        <p>»Wie dauerst Du mich, arme Viola! in Deinem strengen, farblosen Norden, wenn ich den reichen Schmuck und die Fülle und die Gluth unsrer blumigen Heimath betrachte! Kenne ich doch den lieben, beweglichen Sinn, der Dich wohl abwärts trieb, weil man ihn binden wollte, einst aber kosend, wie unsre erfrischende Seelüfte, über den bunten Schmelz des Lebens hinzog. Armes Herz! und Du sollst nun welken und vergehn unter den schweren Wolken eines fremden Himmels! Ich schreibe Dir aus meiner Villa, von dem wohlbekannten, niedren Balkon, nach der Wasserseite. Ach Viola! wie muß ich hier unsrer Jugend gedenken, und wie nun alles, alles so
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0063] So in Widersprüchen verstrickt, fiel ihr Auge einst auf das elfenbeinerne Kästchen, welches Violas Bild und jene versiegelten Papiere enthielt. Luise öffnete es, als einzige Besitzerin von allem, was Julius zugehörte, und als Theilhaberin eines Geheimnisses, das hier nur näher bestätigt sein konnte. Wie sie die Haarflechte löste und die Blätter einzeln in ihre Hand fielen, zeigten ihr sogleich die ersten Worte, daß es Briefe der Markise an Viola waren, in welchen sie Fernandos nur zu oft gedachte. Mehrere durchlesend, fand sie einen, der sie mehr als alle andre ergriff, und folgendermaßen lautete: »Wie dauerst Du mich, arme Viola! in Deinem strengen, farblosen Norden, wenn ich den reichen Schmuck und die Fülle und die Gluth unsrer blumigen Heimath betrachte! Kenne ich doch den lieben, beweglichen Sinn, der Dich wohl abwärts trieb, weil man ihn binden wollte, einst aber kosend, wie unsre erfrischende Seelüfte, über den bunten Schmelz des Lebens hinzog. Armes Herz! und Du sollst nun welken und vergehn unter den schweren Wolken eines fremden Himmels! Ich schreibe Dir aus meiner Villa, von dem wohlbekannten, niedren Balkon, nach der Wasserseite. Ach Viola! wie muß ich hier unsrer Jugend gedenken, und wie nun alles, alles so

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in XML/TEI von TextGrid (2013-03-15T15:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus TextGrid entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek Digital: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-15T15:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-15T15:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Wird ein Wort durch einen Seitenumbruch getrennt, so wird es vollständig auf der vorhergehenden Seite übernommen.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810/63
Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810/63>, abgerufen am 05.12.2024.