Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Erstes Bändchen. Berlin, 1810.eine unsichtbare Gewalt, die dem angstvoll Schlafenden überfalle und das frischeste Leben schnell beende. Nöthigen Vorkehrungen gemäß, habe man auf bloßen Verdacht hin, eine Menge Personen in Verhaft gezogen, ohne gleichwohl irgend eine zuverlässige Spur aufzufinden. Ich dachte sogleich an den Unbekannten, und mit einer Angst, die unbeschreiblich ist, forschte ich, ob er sich unter den Beschuldigten befände. Allein niemand wußte etwas von ihm. Die Leute im Hause meinten, er sei gar nicht sichtbar in der Stadt geworden, kein Mensch wolle ihn gesehn haben. Ich ward wieder ruhiger, und ließ in einer Art von Dumpfheit, die wohl noch Folge meiner Krankheit war, alles um mich her geschehen, ohne sonderlichen Antheil zu nehmen, als eines Tages die Haushälterin der Markise im höchsten Unwillen zu mir hereintrat und mit Thränen sagte: das Maaß der Leiden dieser armen Stadt sei gefüllt, da auch die geprüfteste Unschuld nicht mehr vor erniedrigendem Verdacht sicher sei. Sogar der arme Schuster, fuhr sie fort, hier im Nebenhause, dessen stilles, heiliges Leben wohl manchem ein Vorwurf sein mochte, ist diesen Morgen, da er sich zufällig mit mehrern seines Gewerbes in der Herberge befand, aufgegriffen und eingezogen worden. Ich kannte den Mann sehr wohl; er gehörte zu den Frommen Neapels, eine unsichtbare Gewalt, die dem angstvoll Schlafenden überfalle und das frischeste Leben schnell beende. Nöthigen Vorkehrungen gemäß, habe man auf bloßen Verdacht hin, eine Menge Personen in Verhaft gezogen, ohne gleichwohl irgend eine zuverlässige Spur aufzufinden. Ich dachte sogleich an den Unbekannten, und mit einer Angst, die unbeschreiblich ist, forschte ich, ob er sich unter den Beschuldigten befände. Allein niemand wußte etwas von ihm. Die Leute im Hause meinten, er sei gar nicht sichtbar in der Stadt geworden, kein Mensch wolle ihn gesehn haben. Ich ward wieder ruhiger, und ließ in einer Art von Dumpfheit, die wohl noch Folge meiner Krankheit war, alles um mich her geschehen, ohne sonderlichen Antheil zu nehmen, als eines Tages die Haushälterin der Markise im höchsten Unwillen zu mir hereintrat und mit Thränen sagte: das Maaß der Leiden dieser armen Stadt sei gefüllt, da auch die geprüfteste Unschuld nicht mehr vor erniedrigendem Verdacht sicher sei. Sogar der arme Schuster, fuhr sie fort, hier im Nebenhause, dessen stilles, heiliges Leben wohl manchem ein Vorwurf sein mochte, ist diesen Morgen, da er sich zufällig mit mehrern seines Gewerbes in der Herberge befand, aufgegriffen und eingezogen worden. Ich kannte den Mann sehr wohl; er gehörte zu den Frommen Neapels, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0111" n="103"/> eine unsichtbare Gewalt, die dem angstvoll Schlafenden überfalle und das frischeste Leben schnell beende. Nöthigen Vorkehrungen gemäß, habe man auf bloßen Verdacht hin, eine Menge Personen in Verhaft gezogen, ohne gleichwohl irgend eine zuverlässige Spur aufzufinden. Ich dachte sogleich an den Unbekannten, und mit einer Angst, die unbeschreiblich ist, forschte ich, ob er sich unter den Beschuldigten befände. Allein niemand wußte etwas von ihm. Die Leute im Hause meinten, er sei gar nicht sichtbar in der Stadt geworden, kein Mensch wolle ihn gesehn haben. Ich ward wieder ruhiger, und ließ in einer Art von Dumpfheit, die wohl noch Folge meiner Krankheit war, alles um mich her geschehen, ohne sonderlichen Antheil zu nehmen, als eines Tages die Haushälterin der Markise im höchsten Unwillen zu mir hereintrat und mit Thränen sagte: das Maaß der Leiden dieser armen Stadt sei gefüllt, da auch die geprüfteste Unschuld nicht mehr vor erniedrigendem Verdacht sicher sei. Sogar der arme Schuster, fuhr sie fort, hier im Nebenhause, dessen stilles, heiliges Leben wohl manchem ein Vorwurf sein mochte, ist diesen Morgen, da er sich zufällig mit mehrern seines Gewerbes in der Herberge befand, aufgegriffen und eingezogen worden. Ich kannte den Mann sehr wohl; er gehörte zu den Frommen Neapels, </p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0111]
eine unsichtbare Gewalt, die dem angstvoll Schlafenden überfalle und das frischeste Leben schnell beende. Nöthigen Vorkehrungen gemäß, habe man auf bloßen Verdacht hin, eine Menge Personen in Verhaft gezogen, ohne gleichwohl irgend eine zuverlässige Spur aufzufinden. Ich dachte sogleich an den Unbekannten, und mit einer Angst, die unbeschreiblich ist, forschte ich, ob er sich unter den Beschuldigten befände. Allein niemand wußte etwas von ihm. Die Leute im Hause meinten, er sei gar nicht sichtbar in der Stadt geworden, kein Mensch wolle ihn gesehn haben. Ich ward wieder ruhiger, und ließ in einer Art von Dumpfheit, die wohl noch Folge meiner Krankheit war, alles um mich her geschehen, ohne sonderlichen Antheil zu nehmen, als eines Tages die Haushälterin der Markise im höchsten Unwillen zu mir hereintrat und mit Thränen sagte: das Maaß der Leiden dieser armen Stadt sei gefüllt, da auch die geprüfteste Unschuld nicht mehr vor erniedrigendem Verdacht sicher sei. Sogar der arme Schuster, fuhr sie fort, hier im Nebenhause, dessen stilles, heiliges Leben wohl manchem ein Vorwurf sein mochte, ist diesen Morgen, da er sich zufällig mit mehrern seines Gewerbes in der Herberge befand, aufgegriffen und eingezogen worden. Ich kannte den Mann sehr wohl; er gehörte zu den Frommen Neapels,
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Zitationshilfe: | Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Erstes Bändchen. Berlin, 1810, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins01_1810/111>, abgerufen am 20.07.2024. |