Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Jahren 1772 bis 1775.
Kunst und Mühe, einen Brodfruchtbaum anzuziehen, besteht darin, daß man1774.
May.

einen gefunden Zweig abschneidet und in die Erde steckt! Der Pisang sproßt
alle Jahr frisch aus der Wurzel auf; die königliche Palme, diese Zierde der Ebenen,
und das nützlichste Geschenk, womit die gütige Natur ihre Schooßkinder, die
hiesigen Einwohner bedacht hat; der goldne Apfel, von dessen heilsamen Eigen-
schaften wir eine so erwünschte Erfahrung gemacht haben, und eine Menge noch
andrer Pflanzen, die alle schießen von selbst auf, und erfordern so wenig War-
tung, daß ich sie fast als gänzlich wild wachsend ansehen mögte! Die Zuberei-
tung des Kleidungszeuges, womit sich die Frauenspersonen allein abgeben, ist
mehr für ein Zeitvertreib, als für eine würkliche Arbeit anzusehen; und so
mühsam der Haus- und Schiff-Bau, imgleichen die Verfertigung des Handwerks-
zeugs und der Waffen, auch immer seyn mögen, so verliehren alle diese Ge-
schäfte doch dadurch viel von ihrer Beschwerlichkeit, daß sie ein jeder freywillig,
und nur zu seinem eigenen unmittelbaren Nutzen übernimmt. Auf solche Art
fließt das Leben der Tahitier, in einem beständigen Zirkel von mancherley
reizendem Genusse hin. Sie bewohnen ein Land wo die Natur mit schö-
nen Gegenden sehr freygebig gewesen, wo die Luft beständig warm, aber von
erfrischenden See-Winden stets gemäßigt, und der Himmel fast beständig
heiter ist. Ein solches Clima und die gesunden Früchte verschaffen den Ein-
wohnern Stärke und Schönheit des Cörpers. Sie sind alle wohlgestaltet und
von so schönem Wuchs, daß Phidias und Praxiteles manchen zum Modell
männlicher Schönheit würden gewählt haben. Ihre Gesichtsbildungen sind
angenehm und heiter, frey von allem Eindruck irgend einer heftigen Leiden-
schaft. Große Augen, gewölbte Augenbraunen und eine hervorstehende Stirn
geben ihnen ein edles Ansehen, welches durch einen starken Bart und Haarwuchs
noch mehr erhöhet wird. *) Alles das, und die Schönheit ihrer Zähne, sind
redende Kennzeichen ihrer Gesundheit und Stärke. Das andre Geschlecht
ist nicht minder wohl gebildet. Man kann zwar die hiesigen Weiber nicht

*) Andre Seefahrer haben berichtet, daß sie sich die Haare von der Oberlippe, der Brust und
unter den Armen ausrauffen Das ist aber gewiß nicht allgemein. Die Vornehmen und
der König behalten ihre Lippen-Bärthe.
L 3

in den Jahren 1772 bis 1775.
Kunſt und Muͤhe, einen Brodfruchtbaum anzuziehen, beſteht darin, daß man1774.
May.

einen gefunden Zweig abſchneidet und in die Erde ſteckt! Der Piſang ſproßt
alle Jahr friſch aus der Wurzel auf; die koͤnigliche Palme, dieſe Zierde der Ebenen,
und das nuͤtzlichſte Geſchenk, womit die guͤtige Natur ihre Schooßkinder, die
hieſigen Einwohner bedacht hat; der goldne Apfel, von deſſen heilſamen Eigen-
ſchaften wir eine ſo erwuͤnſchte Erfahrung gemacht haben, und eine Menge noch
andrer Pflanzen, die alle ſchießen von ſelbſt auf, und erfordern ſo wenig War-
tung, daß ich ſie faſt als gaͤnzlich wild wachſend anſehen moͤgte! Die Zuberei-
tung des Kleidungszeuges, womit ſich die Frauensperſonen allein abgeben, iſt
mehr fuͤr ein Zeitvertreib, als fuͤr eine wuͤrkliche Arbeit anzuſehen; und ſo
muͤhſam der Haus- und Schiff-Bau, imgleichen die Verfertigung des Handwerks-
zeugs und der Waffen, auch immer ſeyn moͤgen, ſo verliehren alle dieſe Ge-
ſchaͤfte doch dadurch viel von ihrer Beſchwerlichkeit, daß ſie ein jeder freywillig,
und nur zu ſeinem eigenen unmittelbaren Nutzen uͤbernimmt. Auf ſolche Art
fließt das Leben der Tahitier, in einem beſtaͤndigen Zirkel von mancherley
reizendem Genuſſe hin. Sie bewohnen ein Land wo die Natur mit ſchoͤ-
nen Gegenden ſehr freygebig geweſen, wo die Luft beſtaͤndig warm, aber von
erfriſchenden See-Winden ſtets gemaͤßigt, und der Himmel faſt beſtaͤndig
heiter iſt. Ein ſolches Clima und die geſunden Fruͤchte verſchaffen den Ein-
wohnern Staͤrke und Schoͤnheit des Coͤrpers. Sie ſind alle wohlgeſtaltet und
von ſo ſchoͤnem Wuchs, daß Phidias und Praxiteles manchen zum Modell
maͤnnlicher Schoͤnheit wuͤrden gewaͤhlt haben. Ihre Geſichtsbildungen ſind
angenehm und heiter, frey von allem Eindruck irgend einer heftigen Leiden-
ſchaft. Große Augen, gewoͤlbte Augenbraunen und eine hervorſtehende Stirn
geben ihnen ein edles Anſehen, welches durch einen ſtarken Bart und Haarwuchs
noch mehr erhoͤhet wird. *) Alles das, und die Schoͤnheit ihrer Zaͤhne, ſind
redende Kennzeichen ihrer Geſundheit und Staͤrke. Das andre Geſchlecht
iſt nicht minder wohl gebildet. Man kann zwar die hieſigen Weiber nicht

*) Andre Seefahrer haben berichtet, daß ſie ſich die Haare von der Oberlippe, der Bruſt und
unter den Armen ausrauffen Das iſt aber gewiß nicht allgemein. Die Vornehmen und
der Koͤnig behalten ihre Lippen-Baͤrthe.
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0097" n="85"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/>
Kun&#x017F;t und Mu&#x0364;he, einen Brodfruchtbaum anzuziehen, be&#x017F;teht darin, daß man<note place="right">1774.<lb/>
May.</note><lb/>
einen gefunden Zweig ab&#x017F;chneidet und in die Erde &#x017F;teckt! Der <hi rendition="#fr">Pi&#x017F;ang</hi> &#x017F;proßt<lb/>
alle Jahr fri&#x017F;ch aus der Wurzel auf; die <hi rendition="#fr">ko&#x0364;nigliche Palme,</hi> die&#x017F;e Zierde der Ebenen,<lb/>
und das nu&#x0364;tzlich&#x017F;te Ge&#x017F;chenk, womit die gu&#x0364;tige Natur ihre Schooßkinder, die<lb/>
hie&#x017F;igen Einwohner bedacht hat; der <hi rendition="#fr">goldne Apfel,</hi> von de&#x017F;&#x017F;en heil&#x017F;amen Eigen-<lb/>
&#x017F;chaften wir eine &#x017F;o erwu&#x0364;n&#x017F;chte Erfahrung gemacht haben, und eine Menge noch<lb/>
andrer Pflanzen, die alle &#x017F;chießen von &#x017F;elb&#x017F;t auf, und erfordern &#x017F;o wenig War-<lb/>
tung, daß ich &#x017F;ie fa&#x017F;t als ga&#x0364;nzlich wild wach&#x017F;end an&#x017F;ehen mo&#x0364;gte! Die Zuberei-<lb/>
tung des Kleidungszeuges, womit &#x017F;ich die Frauensper&#x017F;onen allein abgeben, i&#x017F;t<lb/>
mehr fu&#x0364;r ein Zeitvertreib, als fu&#x0364;r eine wu&#x0364;rkliche Arbeit anzu&#x017F;ehen; und &#x017F;o<lb/>
mu&#x0364;h&#x017F;am der Haus- und Schiff-Bau, imgleichen die Verfertigung des Handwerks-<lb/>
zeugs und der Waffen, auch immer &#x017F;eyn mo&#x0364;gen, &#x017F;o verliehren alle die&#x017F;e Ge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fte doch dadurch viel von ihrer Be&#x017F;chwerlichkeit, daß &#x017F;ie ein jeder freywillig,<lb/>
und nur zu &#x017F;einem eigenen unmittelbaren Nutzen u&#x0364;bernimmt. Auf &#x017F;olche Art<lb/>
fließt das Leben der <hi rendition="#fr">Tahitier,</hi> in einem be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Zirkel von mancherley<lb/>
reizendem <choice><sic>Genn&#x017F;&#x017F;e</sic><corr>Genu&#x017F;&#x017F;e</corr></choice> hin. Sie bewohnen ein Land wo die Natur mit &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nen Gegenden &#x017F;ehr freygebig gewe&#x017F;en, wo die Luft be&#x017F;ta&#x0364;ndig warm, aber von<lb/>
erfri&#x017F;chenden See-Winden &#x017F;tets gema&#x0364;ßigt, und der Himmel fa&#x017F;t be&#x017F;ta&#x0364;ndig<lb/>
heiter i&#x017F;t. Ein &#x017F;olches Clima und die ge&#x017F;unden Fru&#x0364;chte ver&#x017F;chaffen den Ein-<lb/>
wohnern Sta&#x0364;rke und Scho&#x0364;nheit des Co&#x0364;rpers. Sie &#x017F;ind alle wohlge&#x017F;taltet und<lb/>
von &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;nem Wuchs, daß <hi rendition="#fr"><persName>Phidias</persName></hi> und <hi rendition="#fr"><persName>Praxiteles</persName></hi> manchen zum Modell<lb/>
ma&#x0364;nnlicher Scho&#x0364;nheit wu&#x0364;rden gewa&#x0364;hlt haben. Ihre Ge&#x017F;ichtsbildungen &#x017F;ind<lb/>
angenehm und heiter, frey von allem Eindruck irgend einer heftigen Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft. Große Augen, gewo&#x0364;lbte Augenbraunen und eine hervor&#x017F;tehende Stirn<lb/>
geben ihnen ein edles An&#x017F;ehen, welches durch einen &#x017F;tarken Bart und Haarwuchs<lb/>
noch mehr erho&#x0364;het wird. <note place="foot" n="*)">Andre Seefahrer haben berichtet, daß &#x017F;ie &#x017F;ich die Haare von der Oberlippe, der Bru&#x017F;t und<lb/>
unter den Armen ausrauffen Das i&#x017F;t aber gewiß nicht allgemein. Die Vornehmen und<lb/>
der Ko&#x0364;nig behalten ihre Lippen-Ba&#x0364;rthe.</note> Alles das, und die Scho&#x0364;nheit ihrer Za&#x0364;hne, &#x017F;ind<lb/>
redende Kennzeichen ihrer Ge&#x017F;undheit und Sta&#x0364;rke. Das andre Ge&#x017F;chlecht<lb/>
i&#x017F;t nicht minder wohl gebildet. Man kann zwar die hie&#x017F;igen Weiber nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0097] in den Jahren 1772 bis 1775. Kunſt und Muͤhe, einen Brodfruchtbaum anzuziehen, beſteht darin, daß man einen gefunden Zweig abſchneidet und in die Erde ſteckt! Der Piſang ſproßt alle Jahr friſch aus der Wurzel auf; die koͤnigliche Palme, dieſe Zierde der Ebenen, und das nuͤtzlichſte Geſchenk, womit die guͤtige Natur ihre Schooßkinder, die hieſigen Einwohner bedacht hat; der goldne Apfel, von deſſen heilſamen Eigen- ſchaften wir eine ſo erwuͤnſchte Erfahrung gemacht haben, und eine Menge noch andrer Pflanzen, die alle ſchießen von ſelbſt auf, und erfordern ſo wenig War- tung, daß ich ſie faſt als gaͤnzlich wild wachſend anſehen moͤgte! Die Zuberei- tung des Kleidungszeuges, womit ſich die Frauensperſonen allein abgeben, iſt mehr fuͤr ein Zeitvertreib, als fuͤr eine wuͤrkliche Arbeit anzuſehen; und ſo muͤhſam der Haus- und Schiff-Bau, imgleichen die Verfertigung des Handwerks- zeugs und der Waffen, auch immer ſeyn moͤgen, ſo verliehren alle dieſe Ge- ſchaͤfte doch dadurch viel von ihrer Beſchwerlichkeit, daß ſie ein jeder freywillig, und nur zu ſeinem eigenen unmittelbaren Nutzen uͤbernimmt. Auf ſolche Art fließt das Leben der Tahitier, in einem beſtaͤndigen Zirkel von mancherley reizendem Genuſſe hin. Sie bewohnen ein Land wo die Natur mit ſchoͤ- nen Gegenden ſehr freygebig geweſen, wo die Luft beſtaͤndig warm, aber von erfriſchenden See-Winden ſtets gemaͤßigt, und der Himmel faſt beſtaͤndig heiter iſt. Ein ſolches Clima und die geſunden Fruͤchte verſchaffen den Ein- wohnern Staͤrke und Schoͤnheit des Coͤrpers. Sie ſind alle wohlgeſtaltet und von ſo ſchoͤnem Wuchs, daß Phidias und Praxiteles manchen zum Modell maͤnnlicher Schoͤnheit wuͤrden gewaͤhlt haben. Ihre Geſichtsbildungen ſind angenehm und heiter, frey von allem Eindruck irgend einer heftigen Leiden- ſchaft. Große Augen, gewoͤlbte Augenbraunen und eine hervorſtehende Stirn geben ihnen ein edles Anſehen, welches durch einen ſtarken Bart und Haarwuchs noch mehr erhoͤhet wird. *) Alles das, und die Schoͤnheit ihrer Zaͤhne, ſind redende Kennzeichen ihrer Geſundheit und Staͤrke. Das andre Geſchlecht iſt nicht minder wohl gebildet. Man kann zwar die hieſigen Weiber nicht 1774. May. *) Andre Seefahrer haben berichtet, daß ſie ſich die Haare von der Oberlippe, der Bruſt und unter den Armen ausrauffen Das iſt aber gewiß nicht allgemein. Die Vornehmen und der Koͤnig behalten ihre Lippen-Baͤrthe. L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/97
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/97>, abgerufen am 27.11.2024.