Anlaß zu einer Art von Feste, bey welchem der Leichtsinn des Seevolks auf ein-1774. October. mahl aller vorigen Trübsale vergaß.
Nachdem wir noch einen Tag länger, wiewohl vergebens, auf die Ankunft der Indianer gewartet hatten, nahmen wir uns vor, sie in den südwärts gelegenen Buchten selbst aufzusuchen. Unterdeß daß hiezu, am 24sten bald nach Tagesan- bruch, Anstalt gemacht wurde, zeigten sich zwey seegelnde Canots im Eingang von Shag-cove. Wir vermutheten, daß sie unserntwegen kämen, allein, so bald sie das Schif gewahr wurden, nahmen sie die Seegel ein und ruderten in größter Eil davon. Diese Schüchternheit, die wir sonst gar nicht an ihnen ge- wohnt waren, machte uns natürlicherweise nur desto begieriger, sie zu sprechen, um die Ursach ihres Mistrauens zu ergründen. In dieser Absicht fuhr Capitain Cook mit uns in seinem Boot nach Shag-cove. Von Austernsammlern und See-Ra- ben (Shags) die sich dort in großer Anzahl auf halten, schossen wir nicht wenige; von den Indianern aber, die wir anzutreffen hosten, war nirgends eine Spur zu finden. Schon wollten wir wieder umkehren, als vom südlichen Ufer her eine Stimme erscholl und, bey näherem Umsehen, etliche Leute oben auf den höhern Ber- gen zum Vorschein kamen. Auf einer kleinen waldigen Anhöhe standen noch drey oder vier andre; nicht weit davon lagen mehrere Hütten zwischen den Bäumen, und unterhalb waren die Canots auf den Strand gezogen. Bey diesen stiegen wir an Land. Die Indianer besannen sich eine Zeitlang, ob sie auf unser Winken her- abkommen wollten oder nicht; endlich wagte es einer, und so bald er, nach hiesiger Landessitte, zum Friedenszeichen unsre Nasen mit der seinigen berührt hatte, folg- ten seine Cameraden, desgleichen die übrigen, welche bisher auf den höhe- ren Bergen geblieben waren. Sie hatten sämtlich alte, abgetragene Stroh-Män- tel an, die Haare hiengen ihnen zottigt um den Kopf, und der Unreinlichkeit wegen konnte man sie schon von ferne wittern. Unter allen diesen Leuten wa- reu uns höchstens drey oder viere bekannt, sobald sie sich aber nahmkündig mach- ten, erinnerten wir uns andrer ehemaligen Bekannten und fragten nach ihrem Befinden. Die Antwort, welche darauf erfolgte, war indessen so ver- worren, daß wir sie nicht deutlich verstanden; nur so viel brachten wir heraus, daß sie von einer Schlacht sprachen und verschiedne von ihren Landsleuten angaben, die das Leben dabey eingebüßt hatten. Zu gleicher Zeit
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in den Jahren 1772 bis 1775.
Anlaß zu einer Art von Feſte, bey welchem der Leichtſinn des Seevolks auf ein-1774. October. mahl aller vorigen Truͤbſale vergaß.
Nachdem wir noch einen Tag laͤnger, wiewohl vergebens, auf die Ankunft der Indianer gewartet hatten, nahmen wir uns vor, ſie in den ſuͤdwaͤrts gelegenen Buchten ſelbſt aufzuſuchen. Unterdeß daß hiezu, am 24ſten bald nach Tagesan- bruch, Anſtalt gemacht wurde, zeigten ſich zwey ſeegelnde Canots im Eingang von Shag-cove. Wir vermutheten, daß ſie unſerntwegen kaͤmen, allein, ſo bald ſie das Schif gewahr wurden, nahmen ſie die Seegel ein und ruderten in groͤßter Eil davon. Dieſe Schuͤchternheit, die wir ſonſt gar nicht an ihnen ge- wohnt waren, machte uns natuͤrlicherweiſe nur deſto begieriger, ſie zu ſprechen, um die Urſach ihres Mistrauens zu ergruͤnden. In dieſer Abſicht fuhr Capitain Cook mit uns in ſeinem Boot nach Shag-cove. Von Auſternſammlern und See-Ra- ben (Shags) die ſich dort in großer Anzahl auf halten, ſchoſſen wir nicht wenige; von den Indianern aber, die wir anzutreffen hoſten, war nirgends eine Spur zu finden. Schon wollten wir wieder umkehren, als vom ſuͤdlichen Ufer her eine Stimme erſcholl und, bey naͤherem Umſehen, etliche Leute oben auf den hoͤhern Ber- gen zum Vorſchein kamen. Auf einer kleinen waldigen Anhoͤhe ſtanden noch drey oder vier andre; nicht weit davon lagen mehrere Huͤtten zwiſchen den Baͤumen, und unterhalb waren die Canots auf den Strand gezogen. Bey dieſen ſtiegen wir an Land. Die Indianer beſannen ſich eine Zeitlang, ob ſie auf unſer Winken her- abkommen wollten oder nicht; endlich wagte es einer, und ſo bald er, nach hieſiger Landesſitte, zum Friedenszeichen unſre Naſen mit der ſeinigen beruͤhrt hatte, folg- ten ſeine Cameraden, desgleichen die uͤbrigen, welche bisher auf den hoͤhe- ren Bergen geblieben waren. Sie hatten ſaͤmtlich alte, abgetragene Stroh-Maͤn- tel an, die Haare hiengen ihnen zottigt um den Kopf, und der Unreinlichkeit wegen konnte man ſie ſchon von ferne wittern. Unter allen dieſen Leuten wa- reu uns hoͤchſtens drey oder viere bekannt, ſobald ſie ſich aber nahmkuͤndig mach- ten, erinnerten wir uns andrer ehemaligen Bekannten und fragten nach ihrem Befinden. Die Antwort, welche darauf erfolgte, war indeſſen ſo ver- worren, daß wir ſie nicht deutlich verſtanden; nur ſo viel brachten wir heraus, daß ſie von einer Schlacht ſprachen und verſchiedne von ihren Landsleuten angaben, die das Leben dabey eingebuͤßt hatten. Zu gleicher Zeit
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in den Jahren 1772 bis 1775.
Anlaß zu einer Art von Feſte, bey welchem der Leichtſinn des Seevolks auf ein-
mahl aller vorigen Truͤbſale vergaß.
1774.
October.
Nachdem wir noch einen Tag laͤnger, wiewohl vergebens, auf die Ankunft
der Indianer gewartet hatten, nahmen wir uns vor, ſie in den ſuͤdwaͤrts gelegenen
Buchten ſelbſt aufzuſuchen. Unterdeß daß hiezu, am 24ſten bald nach Tagesan-
bruch, Anſtalt gemacht wurde, zeigten ſich zwey ſeegelnde Canots im Eingang von
Shag-cove. Wir vermutheten, daß ſie unſerntwegen kaͤmen, allein, ſo bald
ſie das Schif gewahr wurden, nahmen ſie die Seegel ein und ruderten in
groͤßter Eil davon. Dieſe Schuͤchternheit, die wir ſonſt gar nicht an ihnen ge-
wohnt waren, machte uns natuͤrlicherweiſe nur deſto begieriger, ſie zu ſprechen, um
die Urſach ihres Mistrauens zu ergruͤnden. In dieſer Abſicht fuhr Capitain Cook
mit uns in ſeinem Boot nach Shag-cove. Von Auſternſammlern und See-Ra-
ben (Shags) die ſich dort in großer Anzahl auf halten, ſchoſſen wir nicht wenige;
von den Indianern aber, die wir anzutreffen hoſten, war nirgends eine Spur zu
finden. Schon wollten wir wieder umkehren, als vom ſuͤdlichen Ufer her eine
Stimme erſcholl und, bey naͤherem Umſehen, etliche Leute oben auf den hoͤhern Ber-
gen zum Vorſchein kamen. Auf einer kleinen waldigen Anhoͤhe ſtanden noch drey
oder vier andre; nicht weit davon lagen mehrere Huͤtten zwiſchen den Baͤumen,
und unterhalb waren die Canots auf den Strand gezogen. Bey dieſen ſtiegen wir
an Land. Die Indianer beſannen ſich eine Zeitlang, ob ſie auf unſer Winken her-
abkommen wollten oder nicht; endlich wagte es einer, und ſo bald er, nach hieſiger
Landesſitte, zum Friedenszeichen unſre Naſen mit der ſeinigen beruͤhrt hatte, folg-
ten ſeine Cameraden, desgleichen die uͤbrigen, welche bisher auf den hoͤhe-
ren Bergen geblieben waren. Sie hatten ſaͤmtlich alte, abgetragene Stroh-Maͤn-
tel an, die Haare hiengen ihnen zottigt um den Kopf, und der Unreinlichkeit
wegen konnte man ſie ſchon von ferne wittern. Unter allen dieſen Leuten wa-
reu uns hoͤchſtens drey oder viere bekannt, ſobald ſie ſich aber nahmkuͤndig mach-
ten, erinnerten wir uns andrer ehemaligen Bekannten und fragten nach
ihrem Befinden. Die Antwort, welche darauf erfolgte, war indeſſen ſo ver-
worren, daß wir ſie nicht deutlich verſtanden; nur ſo viel brachten wir
heraus, daß ſie von einer Schlacht ſprachen und verſchiedne von ihren
Landsleuten angaben, die das Leben dabey eingebuͤßt hatten. Zu gleicher Zeit
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/373>, abgerufen am 24.11.2024.
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