1774. Septem- ber.entgehen können, und in solchem Fall einige Monathe hindurch blos mit Farren- Kraut-Wurzeln, Baum-Rinden und wilden Früchten vorlieb nehmen müssen.
Bey vorgedachten Hütten gab es eine beträchtliche Anzahl zahmer Hühner von großer Art und schönem Gefieder; dies waren aber auch die einzigen Haus- thiere, welche wir bey den Eingebohrnen bemerkten. Ebendaselbst lagen große Haufen von Muschel-Schaalen, welche sie auf den Rieffen eingesammlet und die Fische hier in der Nachbarschaft verzehrt haben mußten. Im ganzen genom- men waren die Leute von träger, gleichgültiger Gemüthsart, fast ohne alle Neu- gierde. Oft standen sie nicht einmal von ihren Sitzen auf, wenn wir bey ihren Hütten vorbey giengen, eben so wenig sprachen sie auch und, wenn es je ge- schah, stets in einem ernsthaften Tone. Nur allein die Frauenspersonen wa- ren etwas aufgeräumter, ohnerachtet sie, bey der hohen Abhängigkeit von ihren Männern, gerade am wenigsten Ursach dazu zu haben schienen; die Verheyrathe- ten mußten, unter andern, ihre Kinder in einer Art von Beutel auf dem Rücken überall mit sich umher tragen, und schon dies allein sah eben nicht sehr erhei- ternd aus! Nach Tische setzten wir unsre Untersuchungen fort, blieben aber vorn auf der Ebene, weil in dem Gebüsch ohnweit des Ufers mehr Vögel vorhanden wa- ren, als tiefer im Lande, wo sie weniger Schatten und weniger Nahrung finden moch- ten. Auf diesem Spatziergange geriethen wir an einen andern, dicht am Wasser ge- legenen, Haufen von Wohnhütten. Die Indianer hatten daselbst einen ihrer großen irdnen Töpfe vor sich auf dem Feuer, der mit Muscheln angefüllt war, welche auf diese Weise gar gemacht wurden. Einer von ihnen hielt ein Beil von be- sonderer Gestalt und Arbeit in Händen. Es bestand aus einem krummen Ast oder Stück Holz, welches einen stumpfen Haken, und einen kurzen, ohngefähr sechs Zoll langen, Grif hatte. Der Haken war am Ende gespalten, und in die Oesnung ein schwarzer Stein mit einem aus Baumrinde geflochtenen Bande befestigt, wie die Figur 1. auf der XII. Kupfertafel, S. 332. ausweiset. Die Leute gaben uns zu ver- stehen, daß dergleichen Beile zu Bearbeitung des Ackers gebraucht würden; als das erste Instrument dieser Art welches wir zu sehen bekamen, war es uns sehr merk- würdig: Wir kauften es deshalb, handelten auch Keulen, Wurf-Riemen und Wurf-Spieße ein. Wie diese letztern hier zu Lande gebraucht würden? zeigten uns einige junge Leute bey dieser Gelegenheit durch mehrere Proben, und wir mußten
Forſter’s Reiſe um die Welt
1774. Septem- ber.entgehen koͤnnen, und in ſolchem Fall einige Monathe hindurch blos mit Farren- Kraut-Wurzeln, Baum-Rinden und wilden Fruͤchten vorlieb nehmen muͤſſen.
Bey vorgedachten Huͤtten gab es eine betraͤchtliche Anzahl zahmer Huͤhner von großer Art und ſchoͤnem Gefieder; dies waren aber auch die einzigen Haus- thiere, welche wir bey den Eingebohrnen bemerkten. Ebendaſelbſt lagen große Haufen von Muſchel-Schaalen, welche ſie auf den Rieffen eingeſammlet und die Fiſche hier in der Nachbarſchaft verzehrt haben mußten. Im ganzen genom- men waren die Leute von traͤger, gleichguͤltiger Gemuͤthsart, faſt ohne alle Neu- gierde. Oft ſtanden ſie nicht einmal von ihren Sitzen auf, wenn wir bey ihren Huͤtten vorbey giengen, eben ſo wenig ſprachen ſie auch und, wenn es je ge- ſchah, ſtets in einem ernſthaften Tone. Nur allein die Frauensperſonen wa- ren etwas aufgeraͤumter, ohnerachtet ſie, bey der hohen Abhaͤngigkeit von ihren Maͤnnern, gerade am wenigſten Urſach dazu zu haben ſchienen; die Verheyrathe- ten mußten, unter andern, ihre Kinder in einer Art von Beutel auf dem Ruͤcken uͤberall mit ſich umher tragen, und ſchon dies allein ſah eben nicht ſehr erhei- ternd aus! Nach Tiſche ſetzten wir unſre Unterſuchungen fort, blieben aber vorn auf der Ebene, weil in dem Gebuͤſch ohnweit des Ufers mehr Voͤgel vorhanden wa- ren, als tiefer im Lande, wo ſie weniger Schatten und weniger Nahrung finden moch- ten. Auf dieſem Spatziergange geriethen wir an einen andern, dicht am Waſſer ge- legenen, Haufen von Wohnhuͤtten. Die Indianer hatten daſelbſt einen ihrer großen irdnen Toͤpfe vor ſich auf dem Feuer, der mit Muſcheln angefuͤllt war, welche auf dieſe Weiſe gar gemacht wurden. Einer von ihnen hielt ein Beil von be- ſonderer Geſtalt und Arbeit in Haͤnden. Es beſtand aus einem krummen Aſt oder Stuͤck Holz, welches einen ſtumpfen Haken, und einen kurzen, ohngefaͤhr ſechs Zoll langen, Grif hatte. Der Haken war am Ende geſpalten, und in die Oeſnung ein ſchwarzer Stein mit einem aus Baumrinde geflochtenen Bande befeſtigt, wie die Figur 1. auf der XII. Kupfertafel, S. 332. ausweiſet. Die Leute gaben uns zu ver- ſtehen, daß dergleichen Beile zu Bearbeitung des Ackers gebraucht wuͤrden; als das erſte Inſtrument dieſer Art welches wir zu ſehen bekamen, war es uns ſehr merk- wuͤrdig: Wir kauften es deshalb, handelten auch Keulen, Wurf-Riemen und Wurf-Spieße ein. Wie dieſe letztern hier zu Lande gebraucht wuͤrden? zeigten uns einige junge Leute bey dieſer Gelegenheit durch mehrere Proben, und wir mußten
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Forſter’s Reiſe um die Welt
entgehen koͤnnen, und in ſolchem Fall einige Monathe hindurch blos mit Farren-
Kraut-Wurzeln, Baum-Rinden und wilden Fruͤchten vorlieb nehmen muͤſſen.
1774.
Septem-
ber.
Bey vorgedachten Huͤtten gab es eine betraͤchtliche Anzahl zahmer Huͤhner
von großer Art und ſchoͤnem Gefieder; dies waren aber auch die einzigen Haus-
thiere, welche wir bey den Eingebohrnen bemerkten. Ebendaſelbſt lagen große
Haufen von Muſchel-Schaalen, welche ſie auf den Rieffen eingeſammlet und
die Fiſche hier in der Nachbarſchaft verzehrt haben mußten. Im ganzen genom-
men waren die Leute von traͤger, gleichguͤltiger Gemuͤthsart, faſt ohne alle Neu-
gierde. Oft ſtanden ſie nicht einmal von ihren Sitzen auf, wenn wir bey ihren
Huͤtten vorbey giengen, eben ſo wenig ſprachen ſie auch und, wenn es je ge-
ſchah, ſtets in einem ernſthaften Tone. Nur allein die Frauensperſonen wa-
ren etwas aufgeraͤumter, ohnerachtet ſie, bey der hohen Abhaͤngigkeit von ihren
Maͤnnern, gerade am wenigſten Urſach dazu zu haben ſchienen; die Verheyrathe-
ten mußten, unter andern, ihre Kinder in einer Art von Beutel auf dem Ruͤcken
uͤberall mit ſich umher tragen, und ſchon dies allein ſah eben nicht ſehr erhei-
ternd aus! Nach Tiſche ſetzten wir unſre Unterſuchungen fort, blieben aber vorn
auf der Ebene, weil in dem Gebuͤſch ohnweit des Ufers mehr Voͤgel vorhanden wa-
ren, als tiefer im Lande, wo ſie weniger Schatten und weniger Nahrung finden moch-
ten. Auf dieſem Spatziergange geriethen wir an einen andern, dicht am Waſſer ge-
legenen, Haufen von Wohnhuͤtten. Die Indianer hatten daſelbſt einen ihrer großen
irdnen Toͤpfe vor ſich auf dem Feuer, der mit Muſcheln angefuͤllt war, welche
auf dieſe Weiſe gar gemacht wurden. Einer von ihnen hielt ein Beil von be-
ſonderer Geſtalt und Arbeit in Haͤnden. Es beſtand aus einem krummen Aſt
oder Stuͤck Holz, welches einen ſtumpfen Haken, und einen kurzen, ohngefaͤhr ſechs
Zoll langen, Grif hatte. Der Haken war am Ende geſpalten, und in die Oeſnung
ein ſchwarzer Stein mit einem aus Baumrinde geflochtenen Bande befeſtigt, wie die
Figur 1. auf der XII. Kupfertafel, S. 332. ausweiſet. Die Leute gaben uns zu ver-
ſtehen, daß dergleichen Beile zu Bearbeitung des Ackers gebraucht wuͤrden; als das
erſte Inſtrument dieſer Art welches wir zu ſehen bekamen, war es uns ſehr merk-
wuͤrdig: Wir kauften es deshalb, handelten auch Keulen, Wurf-Riemen
und Wurf-Spieße ein. Wie dieſe letztern hier zu Lande gebraucht wuͤrden? zeigten
uns einige junge Leute bey dieſer Gelegenheit durch mehrere Proben, und wir mußten
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/338>, abgerufen am 25.11.2024.
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