Unter denen am Strande versammelten Indianern trafen wir einen al-1774. August. ten abgelebten Mann, den noch keiner von uns zuvor gesehen hatte. Die Wil- den versicherten, er sey ihr Erili und heiße Jogai. Er war lang, ha- ger, ausgezehrt, und hatte einen fast gänzlich kahlen Kopf nebst eisgrauem Bart. Seine Gesichtsbildung zeigte viel Gutherzigkeit und, so runzlicht sie auch war, noch immer Spuren von ehemaliger Schönheit an. Neben ihm saß ein andrer, der ohne die Anwesenheit eines so ganz abgelebten Grei- ses ebenfalls schon für einen alten Mann hätte gelten können. Diesen ga- ben die Indianer für des alten Jogais Sohn aus, und nannten ihn Jatta. Er war groß, wohlgebaut, und für einen Tanneser wirklich schön zu nennen. Sein Blick, der etwas geistreiches, einnehmendes, und gegen uns Fremde überaus freundliches an sich hatte, trug hiezu nicht wenig bey; auch kleidete es ihn gut, daß er sein schwarzes, beynahe wolligt krauses Haar, so wie es von Natur war, ganz ungekünstelt ließ. Die Insulaner sagten, er wäre ihr Kau-Wosch, welches vermuthlich ein Titel ist, der so viel als Thronfolger, Erb- oder Kronprinz u. d. gl. bedeuten mag. Von Leibesfarbe waren diese Befehlshaber so schwarz als der geringste ihrer Unterthanen, unterschieden sich auch sonst durch keinen äussern Putz oder Zierrath, ausgenommen, daß ihr Leib- Gürtel, schwarz gestreift und wechselsweise mit weißen, rothen und schwar- zen Feldern bemahlt war anstatt, daß dergleichen Schärpen sonst nur ein- farbig, entweder gelb oder zimmetbraun zu seyn pflegten. Dennoch konnte diese Verschiedenheit auch nur etwas zufälliges, und nicht ein eigenthümli- ches Zeichen der Königlichen Würde seyn. Das einzige abgerechnet, daß man ihnen den Titel Eriki beylegte, ward keinem von beyden besondere Ehr- erbietung bezeigt, auch sahen wir nicht, daß sie Befehle ertheilt hätten. Ich vermuthe daher, daß ihr Ansehen nur zu Kriegeszeiten etwas gilt. Bey dergleichen Ereignissen pflegt wohl ein jedes Volk irgend einem erfahrnen Greise Gehör zu geben, seinen Rath als ein Gesetz anzusehen, und während eines so mislichen Zeitpunkts Glück und Leben einem Manne anzuvertrauen, dessen vorzügliche Tapferkeit, und lange Erfahrung von der ganzen Nation einmü- thig anerkannt worden ist. -- Wir machten diesen Befehlshabern einige kleine Geschenke und baten sie, uns ans Schiff zu begleiten, welches sie aber aus-
L l 2
in den Jahren 1772 bis 1775.
Unter denen am Strande verſammelten Indianern trafen wir einen al-1774. Auguſt. ten abgelebten Mann, den noch keiner von uns zuvor geſehen hatte. Die Wil- den verſicherten, er ſey ihr Erili und heiße Jogaï. Er war lang, ha- ger, ausgezehrt, und hatte einen faſt gaͤnzlich kahlen Kopf nebſt eisgrauem Bart. Seine Geſichtsbildung zeigte viel Gutherzigkeit und, ſo runzlicht ſie auch war, noch immer Spuren von ehemaliger Schoͤnheit an. Neben ihm ſaß ein andrer, der ohne die Anweſenheit eines ſo ganz abgelebten Grei- ſes ebenfalls ſchon fuͤr einen alten Mann haͤtte gelten koͤnnen. Dieſen ga- ben die Indianer fuͤr des alten Jogaïs Sohn aus, und nannten ihn Jatta. Er war groß, wohlgebaut, und fuͤr einen Tanneſer wirklich ſchoͤn zu nennen. Sein Blick, der etwas geiſtreiches, einnehmendes, und gegen uns Fremde uͤberaus freundliches an ſich hatte, trug hiezu nicht wenig bey; auch kleidete es ihn gut, daß er ſein ſchwarzes, beynahe wolligt krauſes Haar, ſo wie es von Natur war, ganz ungekuͤnſtelt ließ. Die Inſulaner ſagten, er waͤre ihr Kau-Woſch, welches vermuthlich ein Titel iſt, der ſo viel als Thronfolger, Erb- oder Kronprinz u. d. gl. bedeuten mag. Von Leibesfarbe waren dieſe Befehlshaber ſo ſchwarz als der geringſte ihrer Unterthanen, unterſchieden ſich auch ſonſt durch keinen aͤuſſern Putz oder Zierrath, ausgenommen, daß ihr Leib- Guͤrtel, ſchwarz geſtreift und wechſelsweiſe mit weißen, rothen und ſchwar- zen Feldern bemahlt war anſtatt, daß dergleichen Schaͤrpen ſonſt nur ein- farbig, entweder gelb oder zimmetbraun zu ſeyn pflegten. Dennoch konnte dieſe Verſchiedenheit auch nur etwas zufaͤlliges, und nicht ein eigenthuͤmli- ches Zeichen der Koͤniglichen Wuͤrde ſeyn. Das einzige abgerechnet, daß man ihnen den Titel Eriki beylegte, ward keinem von beyden beſondere Ehr- erbietung bezeigt, auch ſahen wir nicht, daß ſie Befehle ertheilt haͤtten. Ich vermuthe daher, daß ihr Anſehen nur zu Kriegeszeiten etwas gilt. Bey dergleichen Ereigniſſen pflegt wohl ein jedes Volk irgend einem erfahrnen Greiſe Gehoͤr zu geben, ſeinen Rath als ein Geſetz anzuſehen, und waͤhrend eines ſo mislichen Zeitpunkts Gluͤck und Leben einem Manne anzuvertrauen, deſſen vorzuͤgliche Tapferkeit, und lange Erfahrung von der ganzen Nation einmuͤ- thig anerkannt worden iſt. — Wir machten dieſen Befehlshabern einige kleine Geſchenke und baten ſie, uns ans Schiff zu begleiten, welches ſie aber aus-
L l 2
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0281"n="267"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/><p>Unter denen am Strande verſammelten Indianern trafen wir einen al-<noteplace="right">1774.<lb/>
Auguſt.</note><lb/>
ten abgelebten Mann, den noch keiner von uns zuvor geſehen hatte. Die Wil-<lb/>
den verſicherten, er ſey ihr <hirendition="#fr">Erili</hi> und heiße <persName><hirendition="#fr">Joga</hi><hirendition="#aq">ï</hi></persName>. Er war lang, ha-<lb/>
ger, ausgezehrt, und hatte einen faſt gaͤnzlich kahlen Kopf nebſt eisgrauem<lb/>
Bart. Seine Geſichtsbildung zeigte viel Gutherzigkeit und, ſo runzlicht<lb/>ſie auch war, noch immer Spuren von ehemaliger Schoͤnheit an. Neben<lb/>
ihm ſaß ein andrer, der ohne die Anweſenheit eines ſo ganz abgelebten Grei-<lb/>ſes ebenfalls ſchon fuͤr einen alten Mann haͤtte gelten koͤnnen. Dieſen ga-<lb/>
ben die Indianer fuͤr des alten <persName><hirendition="#fr">Joga</hi><hirendition="#aq">ï</hi></persName><hirendition="#fr">s</hi> Sohn aus, und nannten ihn <hirendition="#fr"><persName>Jatta</persName></hi>.<lb/>
Er war groß, wohlgebaut, und fuͤr einen <hirendition="#fr">Tanneſer</hi> wirklich ſchoͤn zu nennen.<lb/>
Sein Blick, der etwas geiſtreiches, einnehmendes, und gegen uns Fremde<lb/>
uͤberaus freundliches an ſich hatte, trug hiezu nicht wenig bey; auch kleidete<lb/>
es ihn gut, daß er ſein ſchwarzes, beynahe wolligt krauſes Haar, ſo wie es<lb/>
von Natur war, ganz ungekuͤnſtelt ließ. Die Inſulaner ſagten, er waͤre ihr<lb/><hirendition="#fr">Kau-Woſch</hi>, welches vermuthlich ein Titel iſt, der ſo viel als Thronfolger,<lb/>
Erb- oder Kronprinz u. d. gl. bedeuten mag. Von Leibesfarbe waren dieſe<lb/>
Befehlshaber ſo ſchwarz als der geringſte ihrer Unterthanen, unterſchieden ſich<lb/>
auch ſonſt durch keinen aͤuſſern Putz oder Zierrath, ausgenommen, daß ihr Leib-<lb/>
Guͤrtel, ſchwarz geſtreift und wechſelsweiſe mit weißen, rothen und ſchwar-<lb/>
zen Feldern bemahlt war anſtatt, daß dergleichen Schaͤrpen ſonſt nur ein-<lb/>
farbig, entweder gelb oder zimmetbraun zu ſeyn pflegten. Dennoch konnte<lb/>
dieſe Verſchiedenheit auch nur etwas zufaͤlliges, und nicht ein eigenthuͤmli-<lb/>
ches Zeichen der Koͤniglichen Wuͤrde ſeyn. Das einzige abgerechnet, daß<lb/>
man ihnen den Titel <hirendition="#fr">Eriki</hi> beylegte, ward keinem von beyden beſondere Ehr-<lb/>
erbietung bezeigt, auch ſahen wir nicht, daß ſie Befehle ertheilt haͤtten.<lb/>
Ich vermuthe daher, daß ihr Anſehen nur zu Kriegeszeiten etwas gilt. Bey<lb/>
dergleichen Ereigniſſen pflegt wohl ein jedes Volk irgend einem erfahrnen<lb/>
Greiſe Gehoͤr zu geben, ſeinen Rath als ein Geſetz anzuſehen, und waͤhrend eines<lb/>ſo mislichen Zeitpunkts Gluͤck und Leben einem Manne anzuvertrauen, deſſen<lb/>
vorzuͤgliche Tapferkeit, und lange Erfahrung von der ganzen Nation einmuͤ-<lb/>
thig anerkannt worden iſt. — Wir machten dieſen Befehlshabern einige kleine<lb/>
Geſchenke und baten ſie, uns ans Schiff zu begleiten, welches ſie aber aus-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">L l 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[267/0281]
in den Jahren 1772 bis 1775.
Unter denen am Strande verſammelten Indianern trafen wir einen al-
ten abgelebten Mann, den noch keiner von uns zuvor geſehen hatte. Die Wil-
den verſicherten, er ſey ihr Erili und heiße Jogaï. Er war lang, ha-
ger, ausgezehrt, und hatte einen faſt gaͤnzlich kahlen Kopf nebſt eisgrauem
Bart. Seine Geſichtsbildung zeigte viel Gutherzigkeit und, ſo runzlicht
ſie auch war, noch immer Spuren von ehemaliger Schoͤnheit an. Neben
ihm ſaß ein andrer, der ohne die Anweſenheit eines ſo ganz abgelebten Grei-
ſes ebenfalls ſchon fuͤr einen alten Mann haͤtte gelten koͤnnen. Dieſen ga-
ben die Indianer fuͤr des alten Jogaïs Sohn aus, und nannten ihn Jatta.
Er war groß, wohlgebaut, und fuͤr einen Tanneſer wirklich ſchoͤn zu nennen.
Sein Blick, der etwas geiſtreiches, einnehmendes, und gegen uns Fremde
uͤberaus freundliches an ſich hatte, trug hiezu nicht wenig bey; auch kleidete
es ihn gut, daß er ſein ſchwarzes, beynahe wolligt krauſes Haar, ſo wie es
von Natur war, ganz ungekuͤnſtelt ließ. Die Inſulaner ſagten, er waͤre ihr
Kau-Woſch, welches vermuthlich ein Titel iſt, der ſo viel als Thronfolger,
Erb- oder Kronprinz u. d. gl. bedeuten mag. Von Leibesfarbe waren dieſe
Befehlshaber ſo ſchwarz als der geringſte ihrer Unterthanen, unterſchieden ſich
auch ſonſt durch keinen aͤuſſern Putz oder Zierrath, ausgenommen, daß ihr Leib-
Guͤrtel, ſchwarz geſtreift und wechſelsweiſe mit weißen, rothen und ſchwar-
zen Feldern bemahlt war anſtatt, daß dergleichen Schaͤrpen ſonſt nur ein-
farbig, entweder gelb oder zimmetbraun zu ſeyn pflegten. Dennoch konnte
dieſe Verſchiedenheit auch nur etwas zufaͤlliges, und nicht ein eigenthuͤmli-
ches Zeichen der Koͤniglichen Wuͤrde ſeyn. Das einzige abgerechnet, daß
man ihnen den Titel Eriki beylegte, ward keinem von beyden beſondere Ehr-
erbietung bezeigt, auch ſahen wir nicht, daß ſie Befehle ertheilt haͤtten.
Ich vermuthe daher, daß ihr Anſehen nur zu Kriegeszeiten etwas gilt. Bey
dergleichen Ereigniſſen pflegt wohl ein jedes Volk irgend einem erfahrnen
Greiſe Gehoͤr zu geben, ſeinen Rath als ein Geſetz anzuſehen, und waͤhrend eines
ſo mislichen Zeitpunkts Gluͤck und Leben einem Manne anzuvertrauen, deſſen
vorzuͤgliche Tapferkeit, und lange Erfahrung von der ganzen Nation einmuͤ-
thig anerkannt worden iſt. — Wir machten dieſen Befehlshabern einige kleine
Geſchenke und baten ſie, uns ans Schiff zu begleiten, welches ſie aber aus-
1774.
Auguſt.
L l 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/281>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.