Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.in den Jahren 1772 bis 1775. Männer bezeigten, wie es schien, nicht die mindeste Achtung gegen die Weiber,1774.August. indeß diese auf den kleinsten Wink gehorchten und, der Aussage unserer Matro- sen zufolge (S. oben pag. 223.) oft den niedrigen Dienst von Lastthieren verse- hen mußten. Dergleichen schwere Arbeit mag vielmals ihre Kräfte übersteigen, und kann auf solche Art wohl mit Schuld daran seyn, daß sie von so kleinlicher und schwächlicher Statur sind. Indeß pflegen alle ungesittete Völker den Weibern die all- gemeinen Rechte der Menschheit zu versagen, und sie als Geschöpfe von niederer Art zu behandeln; denn der Gedanke, Glück und Freude im Schoos einer Gefährtin zu su- chen, entsteht erst bey einem höhern Grad von Cultur. So lange nemlich der Mensch noch unabläßig mit der Sorge für seine Erhaltung beschäftigt ist, so lange können nur wenig verfeinerte Empfindungen im Umgange zwischen beyden Geschlechtern statt haben, vielmehr muß dieser sich blos auf thierischen Genuß einschränken. Auch siehet der Wilde die Schwäche und das sanfte duldende Wesen der Weiber nicht für Aufmunterung und Schutz bedürfende Eigenschaften, sondern vielmehr als einen Freyheitsbrief zur Unterdrückung und Mishandlung an, weil die Liebe zur Herrsch- sucht dem Menschen angeboren, und so mächtig ist, daß er ihr, zumal im Stande der Natur, selbst auf Kosten des Wehrlosen fröhnet. Erst mit dem Anwachs der Bevölkerung, wenn die Nahrungs-Sorgen nicht mehr jedem einzelnen Mitglied unmittelbar allein zur Last fallen, sondern gleichsam auf die ganze Gesellschaft ver- theilt sind; erst alsdann nimmt das Maas der Sittlichkeit zu, Ueberfluß tritt an die Stelle des Mangels, und das nunmehr sorgenfreyere Gemüth, fängt an die sanfteren Freuden des Lebens zu genießen, dem Verlangen nach Erholung und Fröhlichkeit Gehör zu geben, und die liebenswürdigen Eigenschaften des ande- ren Geschlechts kennen und schätzen zu lernen. Bey alledem ist aber auch der roheste Wilde einer gewissen Zärtlichkeit und Zuneigung ganz wohl fähig. Dies äußert sich augenscheinlich, so lange er noch als Knabe,*) gedankenlos und sorgenfrey herumläuft; sobald er aber bey zunehmenden Jahren anfangen muß, selbst für seine Bedürfnisse zu sorgen, dann wird freylich, durch den Trieb diese zu befriedigen, jede weniger dringende Empfindung bald überwogen und geschwächt. Die ursprünglich angebohrnen Leidenschaften sind es allein, welche sich neben jenen noch aufrecht *) Der Leser wird sich hier erinnern, daß in Tanna die jungen Leute die ersten waren, die uns lieb zu gewinnen anfiengen. Siehe oben pag. 241. Forster's Reise u. d. W. zweyter Th. K k
in den Jahren 1772 bis 1775. Maͤnner bezeigten, wie es ſchien, nicht die mindeſte Achtung gegen die Weiber,1774.Auguſt. indeß dieſe auf den kleinſten Wink gehorchten und, der Ausſage unſerer Matro- ſen zufolge (S. oben pag. 223.) oft den niedrigen Dienſt von Laſtthieren verſe- hen mußten. Dergleichen ſchwere Arbeit mag vielmals ihre Kraͤfte uͤberſteigen, und kann auf ſolche Art wohl mit Schuld daran ſeyn, daß ſie von ſo kleinlicher und ſchwaͤchlicher Statur ſind. Indeß pflegen alle ungeſittete Voͤlker den Weibern die all- gemeinen Rechte der Menſchheit zu verſagen, und ſie als Geſchoͤpfe von niederer Art zu behandeln; denn der Gedanke, Gluͤck und Freude im Schoos einer Gefaͤhrtin zu ſu- chen, entſteht erſt bey einem hoͤhern Grad von Cultur. So lange nemlich der Menſch noch unablaͤßig mit der Sorge fuͤr ſeine Erhaltung beſchaͤftigt iſt, ſo lange koͤnnen nur wenig verfeinerte Empfindungen im Umgange zwiſchen beyden Geſchlechtern ſtatt haben, vielmehr muß dieſer ſich blos auf thieriſchen Genuß einſchraͤnken. Auch ſiehet der Wilde die Schwaͤche und das ſanfte duldende Weſen der Weiber nicht fuͤr Aufmunterung und Schutz beduͤrfende Eigenſchaften, ſondern vielmehr als einen Freyheitsbrief zur Unterdruͤckung und Mishandlung an, weil die Liebe zur Herrſch- ſucht dem Menſchen angeboren, und ſo maͤchtig iſt, daß er ihr, zumal im Stande der Natur, ſelbſt auf Koſten des Wehrloſen froͤhnet. Erſt mit dem Anwachs der Bevoͤlkerung, wenn die Nahrungs-Sorgen nicht mehr jedem einzelnen Mitglied unmittelbar allein zur Laſt fallen, ſondern gleichſam auf die ganze Geſellſchaft ver- theilt ſind; erſt alsdann nimmt das Maas der Sittlichkeit zu, Ueberfluß tritt an die Stelle des Mangels, und das nunmehr ſorgenfreyere Gemuͤth, faͤngt an die ſanfteren Freuden des Lebens zu genießen, dem Verlangen nach Erholung und Froͤhlichkeit Gehoͤr zu geben, und die liebenswuͤrdigen Eigenſchaften des ande- ren Geſchlechts kennen und ſchaͤtzen zu lernen. Bey alledem iſt aber auch der roheſte Wilde einer gewiſſen Zaͤrtlichkeit und Zuneigung ganz wohl faͤhig. Dies aͤußert ſich augenſcheinlich, ſo lange er noch als Knabe,*) gedankenlos und ſorgenfrey herumlaͤuft; ſobald er aber bey zunehmenden Jahren anfangen muß, ſelbſt fuͤr ſeine Beduͤrfniſſe zu ſorgen, dann wird freylich, durch den Trieb dieſe zu befriedigen, jede weniger dringende Empfindung bald uͤberwogen und geſchwaͤcht. Die urſpruͤnglich angebohrnen Leidenſchaften ſind es allein, welche ſich neben jenen noch aufrecht *) Der Leſer wird ſich hier erinnern, daß in Tanna die jungen Leute die erſten waren, die uns lieb zu gewinnen anfiengen. Siehe oben pag. 241. Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. K k
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in den Jahren 1772 bis 1775.
Maͤnner bezeigten, wie es ſchien, nicht die mindeſte Achtung gegen die Weiber,
indeß dieſe auf den kleinſten Wink gehorchten und, der Ausſage unſerer Matro-
ſen zufolge (S. oben pag. 223.) oft den niedrigen Dienſt von Laſtthieren verſe-
hen mußten. Dergleichen ſchwere Arbeit mag vielmals ihre Kraͤfte uͤberſteigen,
und kann auf ſolche Art wohl mit Schuld daran ſeyn, daß ſie von ſo kleinlicher und
ſchwaͤchlicher Statur ſind. Indeß pflegen alle ungeſittete Voͤlker den Weibern die all-
gemeinen Rechte der Menſchheit zu verſagen, und ſie als Geſchoͤpfe von niederer Art zu
behandeln; denn der Gedanke, Gluͤck und Freude im Schoos einer Gefaͤhrtin zu ſu-
chen, entſteht erſt bey einem hoͤhern Grad von Cultur. So lange nemlich der Menſch
noch unablaͤßig mit der Sorge fuͤr ſeine Erhaltung beſchaͤftigt iſt, ſo lange koͤnnen
nur wenig verfeinerte Empfindungen im Umgange zwiſchen beyden Geſchlechtern
ſtatt haben, vielmehr muß dieſer ſich blos auf thieriſchen Genuß einſchraͤnken. Auch
ſiehet der Wilde die Schwaͤche und das ſanfte duldende Weſen der Weiber nicht fuͤr
Aufmunterung und Schutz beduͤrfende Eigenſchaften, ſondern vielmehr als einen
Freyheitsbrief zur Unterdruͤckung und Mishandlung an, weil die Liebe zur Herrſch-
ſucht dem Menſchen angeboren, und ſo maͤchtig iſt, daß er ihr, zumal im Stande
der Natur, ſelbſt auf Koſten des Wehrloſen froͤhnet. Erſt mit dem Anwachs der
Bevoͤlkerung, wenn die Nahrungs-Sorgen nicht mehr jedem einzelnen Mitglied
unmittelbar allein zur Laſt fallen, ſondern gleichſam auf die ganze Geſellſchaft ver-
theilt ſind; erſt alsdann nimmt das Maas der Sittlichkeit zu, Ueberfluß tritt an
die Stelle des Mangels, und das nunmehr ſorgenfreyere Gemuͤth, faͤngt an die
ſanfteren Freuden des Lebens zu genießen, dem Verlangen nach Erholung und
Froͤhlichkeit Gehoͤr zu geben, und die liebenswuͤrdigen Eigenſchaften des ande-
ren Geſchlechts kennen und ſchaͤtzen zu lernen. Bey alledem iſt aber auch der roheſte
Wilde einer gewiſſen Zaͤrtlichkeit und Zuneigung ganz wohl faͤhig. Dies aͤußert
ſich augenſcheinlich, ſo lange er noch als Knabe, *) gedankenlos und ſorgenfrey
herumlaͤuft; ſobald er aber bey zunehmenden Jahren anfangen muß, ſelbſt fuͤr ſeine
Beduͤrfniſſe zu ſorgen, dann wird freylich, durch den Trieb dieſe zu befriedigen, jede
weniger dringende Empfindung bald uͤberwogen und geſchwaͤcht. Die urſpruͤnglich
angebohrnen Leidenſchaften ſind es allein, welche ſich neben jenen noch aufrecht
1774.
Auguſt.
*) Der Leſer wird ſich hier erinnern, daß in Tanna die jungen Leute die erſten waren, die uns
lieb zu gewinnen anfiengen. Siehe oben pag. 241.
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