Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.in den Jahren 1772 bis 1775. so probierten wir's doch, ihre Neugier zu befriedigen, und ließen ihnen aller-1774.August. hand sehr verschiedne Melodien hören. Einige deutsche und englische Lieder, be- sonders die von lustiger Art, gefielen ihnen sehr, aber keines trug so allgemeinen Beyfall davon, als Dr. Sparrmanns schwedische Volkslieder. Es fehlte ihnen also weder an Beurtheilungskraft, noch an eigenthümlichem Geschmack in der Musik. Als wir mit unsern Liedern fertig geworden, sagten wir, die Reihe sey nun an ihnen; darauf stimmte einer ein sehr simples Lied an, welches harmo- nisch genug klang auch, unserm Bedünken nach, weit mehr Melodie hatte, denn irgend eins von denen, die wir unter dem heißen Himmelsstrich im Südmeer gehört. Es war ungleich reicher und mannigfaltiger an Tönen als die Gesänge der Tahitier und der Einwohner von Tonga-Tabbu, von welchen es sich zugleich durch seine ernsthafte Melodie unterschied. In den Worten mußte ein eignes Silbenmaaß beobachtet seyn, so leicht und sanft flossen sie ihnen von den Lippen. Sobald der eine ausgesungen, fieng ein zweyter an; sein Lied war von anderer, jedoch eben so ernsthafter Composition als das erste, und diese Ernst- haftigkeit in der Musik stimmte mit der Gemüthsart der Nation in andern Stücken vollkommen überein. In der That sahe man sie selten so herzlich la- chen, oder so aufgeräumt scherzen, als die mehr gesitteten Völker auf den So- cietäts- und freundschaftlichen Eilanden, die den Werth der Freude im ge- selligen Umgange schon besser kannten. Unsre Indianer brachten nunmehro auch ein musicalisches Instrument zum Vorschein, welches, gleich der Syrinx oder Pan-Flöte von Tonga-Tabbu, aus acht Rohr-Pfeifen bestand, mit dem Unterschied, daß hier die Röhren stufenweise kleiner wurden, und eine ganze Oktave ausmachten, obgleich der Ton jeder einzelnen Pfeiffe nicht völlig rein war. Vielleicht hätten wir sie auf diesem Instrument auch spielen gehört, wenn nicht gerade in dem Augenblick ein anderer mit Cocosnüssen, Yams, Zucker- rohr und Feigen gekommen, und durch dieses Geschenk unsre Aufmerksamkeit von dem musicalischen Indianer abgelenkt worden wäre. Schade, daß der einsichtsvolle und gütige Freund, der mir seine Bemerkungen über die Tonkunst der Einwohner von den freundschaftlichen Eylanden, von Tahiti, und Neu- Seeland mitgetheilt hat, nicht auch nach Tanna gekommen ist, denn hier würde er gewiß zu mancher nützlichen neuen Bemerkung Anlaß gefunden haben. J i 3
in den Jahren 1772 bis 1775. ſo probierten wir’s doch, ihre Neugier zu befriedigen, und ließen ihnen aller-1774.Auguſt. hand ſehr verſchiedne Melodien hoͤren. Einige deutſche und engliſche Lieder, be- ſonders die von luſtiger Art, gefielen ihnen ſehr, aber keines trug ſo allgemeinen Beyfall davon, als Dr. Sparrmanns ſchwediſche Volkslieder. Es fehlte ihnen alſo weder an Beurtheilungskraft, noch an eigenthuͤmlichem Geſchmack in der Muſik. Als wir mit unſern Liedern fertig geworden, ſagten wir, die Reihe ſey nun an ihnen; darauf ſtimmte einer ein ſehr ſimples Lied an, welches harmo- niſch genug klang auch, unſerm Beduͤnken nach, weit mehr Melodie hatte, denn irgend eins von denen, die wir unter dem heißen Himmelsſtrich im Suͤdmeer gehoͤrt. Es war ungleich reicher und mannigfaltiger an Toͤnen als die Geſaͤnge der Tahitier und der Einwohner von Tonga-Tabbu, von welchen es ſich zugleich durch ſeine ernſthafte Melodie unterſchied. In den Worten mußte ein eignes Silbenmaaß beobachtet ſeyn, ſo leicht und ſanft floſſen ſie ihnen von den Lippen. Sobald der eine ausgeſungen, fieng ein zweyter an; ſein Lied war von anderer, jedoch eben ſo ernſthafter Compoſition als das erſte, und dieſe Ernſt- haftigkeit in der Muſik ſtimmte mit der Gemuͤthsart der Nation in andern Stuͤcken vollkommen uͤberein. In der That ſahe man ſie ſelten ſo herzlich la- chen, oder ſo aufgeraͤumt ſcherzen, als die mehr geſitteten Voͤlker auf den So- cietaͤts- und freundſchaftlichen Eilanden, die den Werth der Freude im ge- ſelligen Umgange ſchon beſſer kannten. Unſre Indianer brachten nunmehro auch ein muſicaliſches Inſtrument zum Vorſchein, welches, gleich der Syrinx oder Pan-Floͤte von Tonga-Tabbu, aus acht Rohr-Pfeifen beſtand, mit dem Unterſchied, daß hier die Roͤhren ſtufenweiſe kleiner wurden, und eine ganze Oktave ausmachten, obgleich der Ton jeder einzelnen Pfeiffe nicht voͤllig rein war. Vielleicht haͤtten wir ſie auf dieſem Inſtrument auch ſpielen gehoͤrt, wenn nicht gerade in dem Augenblick ein anderer mit Cocosnuͤſſen, Yams, Zucker- rohr und Feigen gekommen, und durch dieſes Geſchenk unſre Aufmerkſamkeit von dem muſicaliſchen Indianer abgelenkt worden waͤre. Schade, daß der einſichtsvolle und guͤtige Freund, der mir ſeine Bemerkungen uͤber die Tonkunſt der Einwohner von den freundſchaftlichen Eylanden, von Tahiti, und Neu- Seeland mitgetheilt hat, nicht auch nach Tanna gekommen iſt, denn hier wuͤrde er gewiß zu mancher nuͤtzlichen neuen Bemerkung Anlaß gefunden haben. J i 3
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in den Jahren 1772 bis 1775.
ſo probierten wir’s doch, ihre Neugier zu befriedigen, und ließen ihnen aller-
hand ſehr verſchiedne Melodien hoͤren. Einige deutſche und engliſche Lieder, be-
ſonders die von luſtiger Art, gefielen ihnen ſehr, aber keines trug ſo allgemeinen
Beyfall davon, als Dr. Sparrmanns ſchwediſche Volkslieder. Es fehlte
ihnen alſo weder an Beurtheilungskraft, noch an eigenthuͤmlichem Geſchmack in
der Muſik. Als wir mit unſern Liedern fertig geworden, ſagten wir, die Reihe
ſey nun an ihnen; darauf ſtimmte einer ein ſehr ſimples Lied an, welches harmo-
niſch genug klang auch, unſerm Beduͤnken nach, weit mehr Melodie hatte, denn
irgend eins von denen, die wir unter dem heißen Himmelsſtrich im Suͤdmeer
gehoͤrt. Es war ungleich reicher und mannigfaltiger an Toͤnen als die Geſaͤnge
der Tahitier und der Einwohner von Tonga-Tabbu, von welchen es ſich
zugleich durch ſeine ernſthafte Melodie unterſchied. In den Worten mußte ein
eignes Silbenmaaß beobachtet ſeyn, ſo leicht und ſanft floſſen ſie ihnen von den
Lippen. Sobald der eine ausgeſungen, fieng ein zweyter an; ſein Lied war von
anderer, jedoch eben ſo ernſthafter Compoſition als das erſte, und dieſe Ernſt-
haftigkeit in der Muſik ſtimmte mit der Gemuͤthsart der Nation in andern
Stuͤcken vollkommen uͤberein. In der That ſahe man ſie ſelten ſo herzlich la-
chen, oder ſo aufgeraͤumt ſcherzen, als die mehr geſitteten Voͤlker auf den So-
cietaͤts- und freundſchaftlichen Eilanden, die den Werth der Freude im ge-
ſelligen Umgange ſchon beſſer kannten. Unſre Indianer brachten nunmehro auch
ein muſicaliſches Inſtrument zum Vorſchein, welches, gleich der Syrinx oder
Pan-Floͤte von Tonga-Tabbu, aus acht Rohr-Pfeifen beſtand, mit dem
Unterſchied, daß hier die Roͤhren ſtufenweiſe kleiner wurden, und eine ganze
Oktave ausmachten, obgleich der Ton jeder einzelnen Pfeiffe nicht voͤllig rein
war. Vielleicht haͤtten wir ſie auf dieſem Inſtrument auch ſpielen gehoͤrt, wenn
nicht gerade in dem Augenblick ein anderer mit Cocosnuͤſſen, Yams, Zucker-
rohr und Feigen gekommen, und durch dieſes Geſchenk unſre Aufmerkſamkeit
von dem muſicaliſchen Indianer abgelenkt worden waͤre. Schade, daß der
einſichtsvolle und guͤtige Freund, der mir ſeine Bemerkungen uͤber die Tonkunſt
der Einwohner von den freundſchaftlichen Eylanden, von Tahiti, und Neu-
Seeland mitgetheilt hat, nicht auch nach Tanna gekommen iſt, denn hier
wuͤrde er gewiß zu mancher nuͤtzlichen neuen Bemerkung Anlaß gefunden haben.
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