Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Jahren 1772 bis 1775.
einem folchen Clima bedarf man keiner Kleidung, und es würde bloßer Luxus seyn,1774.
Julius.

wenn man welche trüge, dazu sind aber die Einwohner noch nicht reich und wohl-
habend genug. Die dicke Waldung, womit das Land fast überall bedeckt ist,
schützt sie genugsam eben sowohl gegen die Hitze der senkrecht fallenden Sonnen-
strahlen, als gegen jede rauhe Witterung. Die Geschlechtstheile sind das einzige,
was sie bedecken, und zwar meines Erachtens blos aus Vorsorge, um diese em-
pfindlichen Theile des Körpers, in ihren Wäldern voll Dornen und Gesträuch, vor
Verletzung sicher zu stellen. Daß dies die vornehmste Absicht jener Hülle sey,
läßt sich schon aus ihrer aufwärts gekehrten Form errathen (S. oben S. 165.)
Schamhaftigkeit scheint wenigstens nicht Antheil daran zu haben, denn diese so
wohl als die Keuschheit, sind bloße Folgen unserer Erziehung, nicht aber ange-
bohrne Begriffe, wofür wir sie mit eben so wenig Recht zu halten pflegen als wir
manches andre moralische Gefühl für natürliche Instincte auslegen. Bey allen
rohen ungebildeten Völkern findet man augenscheinliche Beweise, daß Schaam
und Keuschheit, im Stande der Natur ganz unbekannte Tugenden sind.
Daher kommt es auch, daß sie, als bloße Conventions-Tugenden, nach Maas-
gabe des Unterschiedes in der Sittenverseinerung, überall verschiedentlich modi-
ficirt sind. Nach unsern Begriffen von Zucht und Ehrbahrkeit können die Män-
ner zu Mallicollo bey Erfindung der angeführten Tracht und Hülle ohnmöglich
die Absicht gehabt haben, unzüchtigen Gedanken vorzubeugen; indem sie durch
die Form jener Bekleidung mehr befördert als verhindert werden. Eben also
käme es auch bey den Weibern noch auf die Frage an, ob sie den elenden Stroh-
wisch, der ihnen statt Schürze dient, nicht vielmehr aus Begierde zu gefallen,
als aus Gefühl von Schaamhaftigkeit tragen?

Weit allgemeiner und inniger scheinen dagegen die Begriffe von Schön-
heit dem Menschen eingeimpft zu seyn, so sehr sie auch bey unterschiednen Völ-
kern von einander abweichen mögen. Der Mallicolese glaubt, durch einen
Stein in der Nase, durch ein Armband, eine Halsschnur und eine schwarze glän-
zende Schminke sich ungemein verschönern zu können; seiner Frau hingegen ver-
stattet er gar kein Putzwerk. So viel wir sahen, mußten diese, im Ganzen ge-
nommen, sich begnügen, den Leib mit gelber Curcuma-Farbe zu bestreichen, die
einen besondern aromatischen Geruch von sich giebt. Auf den freundschaftli-

in den Jahren 1772 bis 1775.
einem folchen Clima bedarf man keiner Kleidung, und es wuͤrde bloßer Luxus ſeyn,1774.
Julius.

wenn man welche truͤge, dazu ſind aber die Einwohner noch nicht reich und wohl-
habend genug. Die dicke Waldung, womit das Land faſt uͤberall bedeckt iſt,
ſchuͤtzt ſie genugſam eben ſowohl gegen die Hitze der ſenkrecht fallenden Sonnen-
ſtrahlen, als gegen jede rauhe Witterung. Die Geſchlechtstheile ſind das einzige,
was ſie bedecken, und zwar meines Erachtens blos aus Vorſorge, um dieſe em-
pfindlichen Theile des Koͤrpers, in ihren Waͤldern voll Dornen und Geſtraͤuch, vor
Verletzung ſicher zu ſtellen. Daß dies die vornehmſte Abſicht jener Huͤlle ſey,
laͤßt ſich ſchon aus ihrer aufwaͤrts gekehrten Form errathen (S. oben S. 165.)
Schamhaftigkeit ſcheint wenigſtens nicht Antheil daran zu haben, denn dieſe ſo
wohl als die Keuſchheit, ſind bloße Folgen unſerer Erziehung, nicht aber ange-
bohrne Begriffe, wofuͤr wir ſie mit eben ſo wenig Recht zu halten pflegen als wir
manches andre moraliſche Gefuͤhl fuͤr natuͤrliche Inſtincte auslegen. Bey allen
rohen ungebildeten Voͤlkern findet man augenſcheinliche Beweiſe, daß Schaam
und Keuſchheit, im Stande der Natur ganz unbekannte Tugenden ſind.
Daher kommt es auch, daß ſie, als bloße Conventions-Tugenden, nach Maas-
gabe des Unterſchiedes in der Sittenverſeinerung, uͤberall verſchiedentlich modi-
ficirt ſind. Nach unſern Begriffen von Zucht und Ehrbahrkeit koͤnnen die Maͤn-
ner zu Mallicollo bey Erfindung der angefuͤhrten Tracht und Huͤlle ohnmoͤglich
die Abſicht gehabt haben, unzuͤchtigen Gedanken vorzubeugen; indem ſie durch
die Form jener Bekleidung mehr befoͤrdert als verhindert werden. Eben alſo
kaͤme es auch bey den Weibern noch auf die Frage an, ob ſie den elenden Stroh-
wiſch, der ihnen ſtatt Schuͤrze dient, nicht vielmehr aus Begierde zu gefallen,
als aus Gefuͤhl von Schaamhaftigkeit tragen?

Weit allgemeiner und inniger ſcheinen dagegen die Begriffe von Schoͤn-
heit dem Menſchen eingeimpft zu ſeyn, ſo ſehr ſie auch bey unterſchiednen Voͤl-
kern von einander abweichen moͤgen. Der Mallicoleſe glaubt, durch einen
Stein in der Naſe, durch ein Armband, eine Halsſchnur und eine ſchwarze glaͤn-
zende Schminke ſich ungemein verſchoͤnern zu koͤnnen; ſeiner Frau hingegen ver-
ſtattet er gar kein Putzwerk. So viel wir ſahen, mußten dieſe, im Ganzen ge-
nommen, ſich begnuͤgen, den Leib mit gelber Curcuma-Farbe zu beſtreichen, die
einen beſondern aromatiſchen Geruch von ſich giebt. Auf den freundſchaftli-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0197" n="183"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/>
einem folchen Clima bedarf man keiner Kleidung, und es wu&#x0364;rde bloßer Luxus &#x017F;eyn,<note place="right">1774.<lb/>
Julius.</note><lb/>
wenn man welche tru&#x0364;ge, dazu &#x017F;ind aber die Einwohner noch nicht reich und wohl-<lb/>
habend genug. Die dicke Waldung, womit das Land fa&#x017F;t u&#x0364;berall bedeckt i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;tzt &#x017F;ie genug&#x017F;am eben &#x017F;owohl gegen die Hitze der &#x017F;enkrecht fallenden Sonnen-<lb/>
&#x017F;trahlen, als gegen jede rauhe Witterung. Die Ge&#x017F;chlechtstheile &#x017F;ind das einzige,<lb/>
was &#x017F;ie bedecken, und zwar meines Erachtens blos aus Vor&#x017F;orge, um die&#x017F;e em-<lb/>
pfindlichen Theile des Ko&#x0364;rpers, in ihren Wa&#x0364;ldern voll Dornen und Ge&#x017F;tra&#x0364;uch, vor<lb/>
Verletzung &#x017F;icher zu &#x017F;tellen. Daß dies die vornehm&#x017F;te Ab&#x017F;icht jener Hu&#x0364;lle &#x017F;ey,<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich &#x017F;chon aus ihrer aufwa&#x0364;rts gekehrten Form errathen (S. oben S. 165.)<lb/>
Schamhaftigkeit &#x017F;cheint wenig&#x017F;tens nicht Antheil daran zu haben, denn die&#x017F;e &#x017F;o<lb/>
wohl als die Keu&#x017F;chheit, &#x017F;ind bloße Folgen un&#x017F;erer Erziehung, nicht aber ange-<lb/>
bohrne Begriffe, wofu&#x0364;r wir &#x017F;ie mit eben &#x017F;o wenig Recht zu halten pflegen als wir<lb/>
manches andre morali&#x017F;che Gefu&#x0364;hl fu&#x0364;r natu&#x0364;rliche In&#x017F;tincte auslegen. Bey allen<lb/>
rohen ungebildeten Vo&#x0364;lkern findet man augen&#x017F;cheinliche Bewei&#x017F;e, daß Schaam<lb/>
und Keu&#x017F;chheit, im Stande der Natur ganz unbekannte Tugenden &#x017F;ind.<lb/>
Daher kommt es auch, daß &#x017F;ie, als bloße Conventions-Tugenden, nach Maas-<lb/>
gabe des Unter&#x017F;chiedes in der Sittenver&#x017F;einerung, u&#x0364;berall ver&#x017F;chiedentlich modi-<lb/>
ficirt &#x017F;ind. <hi rendition="#fr">Nach un&#x017F;ern</hi> Begriffen von Zucht und Ehrbahrkeit ko&#x0364;nnen die Ma&#x0364;n-<lb/>
ner zu <hi rendition="#fr"><placeName>Mallicollo</placeName></hi> bey Erfindung der angefu&#x0364;hrten Tracht und Hu&#x0364;lle ohnmo&#x0364;glich<lb/>
die Ab&#x017F;icht gehabt haben, unzu&#x0364;chtigen Gedanken vorzubeugen; indem &#x017F;ie durch<lb/>
die Form jener Bekleidung mehr befo&#x0364;rdert als verhindert werden. Eben al&#x017F;o<lb/>
ka&#x0364;me es auch bey den Weibern noch auf die Frage an, ob &#x017F;ie den elenden Stroh-<lb/>
wi&#x017F;ch, der ihnen &#x017F;tatt Schu&#x0364;rze dient, nicht vielmehr aus Begierde zu gefallen,<lb/>
als aus Gefu&#x0364;hl von Schaamhaftigkeit tragen?</p><lb/>
        <p>Weit allgemeiner und inniger &#x017F;cheinen dagegen die Begriffe von Scho&#x0364;n-<lb/>
heit dem Men&#x017F;chen eingeimpft zu &#x017F;eyn, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie auch bey unter&#x017F;chiednen Vo&#x0364;l-<lb/>
kern von einander abweichen mo&#x0364;gen. Der Mallicole&#x017F;e glaubt, durch einen<lb/>
Stein in der Na&#x017F;e, durch ein Armband, eine Hals&#x017F;chnur und eine &#x017F;chwarze gla&#x0364;n-<lb/>
zende Schminke &#x017F;ich ungemein ver&#x017F;cho&#x0364;nern zu ko&#x0364;nnen; &#x017F;einer Frau hingegen ver-<lb/>
&#x017F;tattet er gar kein Putzwerk. So viel wir &#x017F;ahen, mußten die&#x017F;e, im Ganzen ge-<lb/>
nommen, &#x017F;ich begnu&#x0364;gen, den Leib mit gelber Curcuma-Farbe zu be&#x017F;treichen, die<lb/>
einen be&#x017F;ondern aromati&#x017F;chen Geruch von &#x017F;ich giebt. Auf den <hi rendition="#fr"><placeName xml:id="PN3" next="#PN3_1">freund&#x017F;chaftli-</placeName></hi><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0197] in den Jahren 1772 bis 1775. einem folchen Clima bedarf man keiner Kleidung, und es wuͤrde bloßer Luxus ſeyn, wenn man welche truͤge, dazu ſind aber die Einwohner noch nicht reich und wohl- habend genug. Die dicke Waldung, womit das Land faſt uͤberall bedeckt iſt, ſchuͤtzt ſie genugſam eben ſowohl gegen die Hitze der ſenkrecht fallenden Sonnen- ſtrahlen, als gegen jede rauhe Witterung. Die Geſchlechtstheile ſind das einzige, was ſie bedecken, und zwar meines Erachtens blos aus Vorſorge, um dieſe em- pfindlichen Theile des Koͤrpers, in ihren Waͤldern voll Dornen und Geſtraͤuch, vor Verletzung ſicher zu ſtellen. Daß dies die vornehmſte Abſicht jener Huͤlle ſey, laͤßt ſich ſchon aus ihrer aufwaͤrts gekehrten Form errathen (S. oben S. 165.) Schamhaftigkeit ſcheint wenigſtens nicht Antheil daran zu haben, denn dieſe ſo wohl als die Keuſchheit, ſind bloße Folgen unſerer Erziehung, nicht aber ange- bohrne Begriffe, wofuͤr wir ſie mit eben ſo wenig Recht zu halten pflegen als wir manches andre moraliſche Gefuͤhl fuͤr natuͤrliche Inſtincte auslegen. Bey allen rohen ungebildeten Voͤlkern findet man augenſcheinliche Beweiſe, daß Schaam und Keuſchheit, im Stande der Natur ganz unbekannte Tugenden ſind. Daher kommt es auch, daß ſie, als bloße Conventions-Tugenden, nach Maas- gabe des Unterſchiedes in der Sittenverſeinerung, uͤberall verſchiedentlich modi- ficirt ſind. Nach unſern Begriffen von Zucht und Ehrbahrkeit koͤnnen die Maͤn- ner zu Mallicollo bey Erfindung der angefuͤhrten Tracht und Huͤlle ohnmoͤglich die Abſicht gehabt haben, unzuͤchtigen Gedanken vorzubeugen; indem ſie durch die Form jener Bekleidung mehr befoͤrdert als verhindert werden. Eben alſo kaͤme es auch bey den Weibern noch auf die Frage an, ob ſie den elenden Stroh- wiſch, der ihnen ſtatt Schuͤrze dient, nicht vielmehr aus Begierde zu gefallen, als aus Gefuͤhl von Schaamhaftigkeit tragen? 1774. Julius. Weit allgemeiner und inniger ſcheinen dagegen die Begriffe von Schoͤn- heit dem Menſchen eingeimpft zu ſeyn, ſo ſehr ſie auch bey unterſchiednen Voͤl- kern von einander abweichen moͤgen. Der Mallicoleſe glaubt, durch einen Stein in der Naſe, durch ein Armband, eine Halsſchnur und eine ſchwarze glaͤn- zende Schminke ſich ungemein verſchoͤnern zu koͤnnen; ſeiner Frau hingegen ver- ſtattet er gar kein Putzwerk. So viel wir ſahen, mußten dieſe, im Ganzen ge- nommen, ſich begnuͤgen, den Leib mit gelber Curcuma-Farbe zu beſtreichen, die einen beſondern aromatiſchen Geruch von ſich giebt. Auf den freundſchaftli-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/197
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/197>, abgerufen am 23.11.2024.