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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
entwendet hatten, was wir nicht genug bewachten; machten wirs jetzt doppelt so1774.
Junius.

arg mit ihnen, denn wir hintergiengen sie gar bey offnen Augen. --

Unter den Bewohnern der Societäts-Inseln giebt es hie und da gewisse
Personen, die von den Traditionen, von der Mythologie und von der Sternkunde
ihrer Nation Kenntniß haben. Maheine hatte sie uns oft als die Gelehrtesten
seiner Landesleute gerühmet und sie Tata-o-Rerro genannt, welches man ohn-
gefähr durch Lehrer übersetzen könnte. Nachdem wir lange darauf ausgewe-
sen, einen solchen Mann kennen zu lernen, so fanden wir endlich hier im Di-
strict Hamaneno, einen Befehlshaber, der Tutawai hieß, und den Beyna-
men eines Tata-o-Rerro führte. Es that uns um desto mehr leyd, ihn nicht
ehe ausgeforscht zu haben, weil unsre Abreise jetzt schon so nahe vor der Thüre
war. Indessen verwendete mein Vater wenigstens noch die letzten Augenblicke
unsers Hierseyns auf die Untersuchung eines so wichtigen Gegenstandes.

Dem hochgelahrten Tutawai schien damit gedient zu seyn, daß er Gele-
genheit fand, seine Wissenschaft auszukramen. Es schmeichelte seiner Eigenliebe,
daß wir ihm so aufmerksam zuhörten; und dies vermogte ihn auch sich über diese
Materie mit mehr Geduld und Beharrlichkeit herauszülassen, als wir sonst
von den flüchtigen und lebhaften Einwohnern dieser Inseln gewohnt wa-
ren. Im Ganzen scheint die Religion aller dieser Insulaner das sonderbarste
System von Vielgötterey zu seyn, das jemals erdacht worden. Nur wenig
Völker sind so elend und so ganz mit den Bedürfnissen der Selbsterhaltung be-
schäfftiget, daß sie darüber gar nicht an den Schöpfer denken, und versuchen soll-
ten, sich einen, wenn gleich noch so unvollständigen Begriff von ihm zu machen.
Diese Begriffe scheinen vielmehr seit jenen Zeiten, da sich Gott den Men-
schen unmittelbar offenbarte, durch mündliche Erzählungen unter allen Natio-
nen verblieben, und aufbehalten zu seyn. Vermittelst einer solchen Fort-
pflanzung der ehemaligen göttlichen Offenbarung, hat sich denn auch zu Tahiti
und auf den übrigen Societäts-Inseln, noch ein Funken davon erhalten, die-
ser nemlich, daß sie ein höchstes Wesen glauben, durch welches alles Sicht-
bare und Unsichtbare erschaffen und hervorgebracht worden. Die Geschichte
zeigt aber, daß alle Nationen, wenn sie die Eigenschaften dieses allgemeinen
und unbegreiflichen Geistes näher untersuchen wollten, die Schranken, welche

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in den Jahren 1772 bis 1775.
entwendet hatten, was wir nicht genug bewachten; machten wirs jetzt doppelt ſo1774.
Junius.

arg mit ihnen, denn wir hintergiengen ſie gar bey offnen Augen. —

Unter den Bewohnern der Societaͤts-Inſeln giebt es hie und da gewiſſe
Perſonen, die von den Traditionen, von der Mythologie und von der Sternkunde
ihrer Nation Kenntniß haben. Maheine hatte ſie uns oft als die Gelehrteſten
ſeiner Landesleute geruͤhmet und ſie Tata-o-Rerro genannt, welches man ohn-
gefaͤhr durch Lehrer uͤberſetzen koͤnnte. Nachdem wir lange darauf ausgewe-
ſen, einen ſolchen Mann kennen zu lernen, ſo fanden wir endlich hier im Di-
ſtrict Hamaneno, einen Befehlshaber, der Tutawaï hieß, und den Beyna-
men eines Tata-o-Rerro fuͤhrte. Es that uns um deſto mehr leyd, ihn nicht
ehe ausgeforſcht zu haben, weil unſre Abreiſe jetzt ſchon ſo nahe vor der Thuͤre
war. Indeſſen verwendete mein Vater wenigſtens noch die letzten Augenblicke
unſers Hierſeyns auf die Unterſuchung eines ſo wichtigen Gegenſtandes.

Dem hochgelahrten Tutawaï ſchien damit gedient zu ſeyn, daß er Gele-
genheit fand, ſeine Wiſſenſchaft auszukramen. Es ſchmeichelte ſeiner Eigenliebe,
daß wir ihm ſo aufmerkſam zuhoͤrten; und dies vermogte ihn auch ſich uͤber dieſe
Materie mit mehr Geduld und Beharrlichkeit herauszuͤlaſſen, als wir ſonſt
von den fluͤchtigen und lebhaften Einwohnern dieſer Inſeln gewohnt wa-
ren. Im Ganzen ſcheint die Religion aller dieſer Inſulaner das ſonderbarſte
Syſtem von Vielgoͤtterey zu ſeyn, das jemals erdacht worden. Nur wenig
Voͤlker ſind ſo elend und ſo ganz mit den Beduͤrfniſſen der Selbſterhaltung be-
ſchaͤfftiget, daß ſie daruͤber gar nicht an den Schoͤpfer denken, und verſuchen ſoll-
ten, ſich einen, wenn gleich noch ſo unvollſtaͤndigen Begriff von ihm zu machen.
Dieſe Begriffe ſcheinen vielmehr ſeit jenen Zeiten, da ſich Gott den Men-
ſchen unmittelbar offenbarte, durch muͤndliche Erzaͤhlungen unter allen Natio-
nen verblieben, und aufbehalten zu ſeyn. Vermittelſt einer ſolchen Fort-
pflanzung der ehemaligen goͤttlichen Offenbarung, hat ſich denn auch zu Tahiti
und auf den uͤbrigen Societaͤts-Inſeln, noch ein Funken davon erhalten, die-
ſer nemlich, daß ſie ein hoͤchſtes Weſen glauben, durch welches alles Sicht-
bare und Unſichtbare erſchaffen und hervorgebracht worden. Die Geſchichte
zeigt aber, daß alle Nationen, wenn ſie die Eigenſchaften dieſes allgemeinen
und unbegreiflichen Geiſtes naͤher unterſuchen wollten, die Schranken, welche

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[117/0129] in den Jahren 1772 bis 1775. entwendet hatten, was wir nicht genug bewachten; machten wirs jetzt doppelt ſo arg mit ihnen, denn wir hintergiengen ſie gar bey offnen Augen. — 1774. Junius. Unter den Bewohnern der Societaͤts-Inſeln giebt es hie und da gewiſſe Perſonen, die von den Traditionen, von der Mythologie und von der Sternkunde ihrer Nation Kenntniß haben. Maheine hatte ſie uns oft als die Gelehrteſten ſeiner Landesleute geruͤhmet und ſie Tata-o-Rerro genannt, welches man ohn- gefaͤhr durch Lehrer uͤberſetzen koͤnnte. Nachdem wir lange darauf ausgewe- ſen, einen ſolchen Mann kennen zu lernen, ſo fanden wir endlich hier im Di- ſtrict Hamaneno, einen Befehlshaber, der Tutawaï hieß, und den Beyna- men eines Tata-o-Rerro fuͤhrte. Es that uns um deſto mehr leyd, ihn nicht ehe ausgeforſcht zu haben, weil unſre Abreiſe jetzt ſchon ſo nahe vor der Thuͤre war. Indeſſen verwendete mein Vater wenigſtens noch die letzten Augenblicke unſers Hierſeyns auf die Unterſuchung eines ſo wichtigen Gegenſtandes. Dem hochgelahrten Tutawaï ſchien damit gedient zu ſeyn, daß er Gele- genheit fand, ſeine Wiſſenſchaft auszukramen. Es ſchmeichelte ſeiner Eigenliebe, daß wir ihm ſo aufmerkſam zuhoͤrten; und dies vermogte ihn auch ſich uͤber dieſe Materie mit mehr Geduld und Beharrlichkeit herauszuͤlaſſen, als wir ſonſt von den fluͤchtigen und lebhaften Einwohnern dieſer Inſeln gewohnt wa- ren. Im Ganzen ſcheint die Religion aller dieſer Inſulaner das ſonderbarſte Syſtem von Vielgoͤtterey zu ſeyn, das jemals erdacht worden. Nur wenig Voͤlker ſind ſo elend und ſo ganz mit den Beduͤrfniſſen der Selbſterhaltung be- ſchaͤfftiget, daß ſie daruͤber gar nicht an den Schoͤpfer denken, und verſuchen ſoll- ten, ſich einen, wenn gleich noch ſo unvollſtaͤndigen Begriff von ihm zu machen. Dieſe Begriffe ſcheinen vielmehr ſeit jenen Zeiten, da ſich Gott den Men- ſchen unmittelbar offenbarte, durch muͤndliche Erzaͤhlungen unter allen Natio- nen verblieben, und aufbehalten zu ſeyn. Vermittelſt einer ſolchen Fort- pflanzung der ehemaligen goͤttlichen Offenbarung, hat ſich denn auch zu Tahiti und auf den uͤbrigen Societaͤts-Inſeln, noch ein Funken davon erhalten, die- ſer nemlich, daß ſie ein hoͤchſtes Weſen glauben, durch welches alles Sicht- bare und Unſichtbare erſchaffen und hervorgebracht worden. Die Geſchichte zeigt aber, daß alle Nationen, wenn ſie die Eigenſchaften dieſes allgemeinen und unbegreiflichen Geiſtes naͤher unterſuchen wollten, die Schranken, welche P 3

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/129>, abgerufen am 26.11.2024.