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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
vorgestellt, und waren, ihrem Innhalt nach, für uns von ganz neuer Composition.1774.
May.

Ohnerachtet wir nicht alles von Wort zu Wort verstanden, so konnten wir doch
so viel unterscheiden, daß die Namen des Capitain Cook und andrer Herren von
unserer Gesellschaft in den Gesängen vorkamen. Die ganze Handlung schien eine von
denen Räubergeschichten vorzustellen, dergleichen uns in diesen Inseln so viele be-
gegnet waren. Ein andres Intermezzo stellte den Angriff der Krieger von Bo-
rabora
vor, wobey derbe Schläge mit einem Riemen ausgetheilt wurden, daß
es nur so klatschte. Das dritte Zwischenspiel war seltsamer als die übrigen alle. Es
stellte eine Frau in Kindeswehen vor, und erregte bey der Versammlung ein über-
lautes Gelächter. Der Kerl, der diese Rolle hatte, machte alle Posituren, welche
die Griechen in den Haynen der Venus Ariadne bey Amathus bewunderten,
und die im Monath Gorpiäus, zum Andenken der im Kindbette gestorbenen Ari-
adne
, feyerlich vorgestellt zu werden pflegten. *) Ein andrer großer und starker
Kerl, in Tahitisches Zeug gekleidet, stellte das neugebohrne Kind vor, und ge-
behrdete sich dazu so possierlich, daß wir herzlich mitlachen mußten. Das Costume
war so genau beobachtet, daß selbst ein Accoucheur oder jeder andre Sachverständige
an diesem großen Jungen keines von den wesentlichen Kennzeichen eines neugebornen
Kindes würde vermißt haben; denen indianischen Zuschauern aber gefiel das vorzüg-
lich, daß er, unmittelbar nach seinem Eintritt in die Welt, so drell auf dem Theater
herum lief, daß die Tänzer ihn kaum wieder haschen konnten. Capitain Cook
hatte bey dieser Gelegenheit bemerkt, daß, sobald die andern Kerls den großen
Jungen wieder eingeholt, sie ihm die Nase, oben zwischen den Augen, platt
gedrückt hätten. Hieraus schließt er ganz richtig, daß diese Gewohnheit würk-
lich bey neugebohrnen Kindern allhier statt finde, wie sie denn auch fast durchge-
hends eingedrückte Nasen haben. **) Unter allen schien diese Vorstellung den
Damen das mehreste Vergnügen zu machen. Auch konnten sie sich dem Ein-
druck desselben ohne Bedenken überlassen, weil nach hiesiger Landes-Sitte gar
nichts darinn vorkam, welches sie in Verlegenheit hätte setzen können,
wie es wohl unsern europäischen Schönen geht, die in den Schauspielen oft nur
durch den Fächer schielen dürfen.


*) Plutarch im Leben des Theseus.
**) Diese Bemerkung ist aus des Capitain Cooks Reisebeschreibung entlehnt.
O 2

in den Jahren 1772 bis 1775.
vorgeſtellt, und waren, ihrem Innhalt nach, fuͤr uns von ganz neuer Compoſition.1774.
May.

Ohnerachtet wir nicht alles von Wort zu Wort verſtanden, ſo konnten wir doch
ſo viel unterſcheiden, daß die Namen des Capitain Cook und andrer Herren von
unſerer Geſellſchaft in den Geſaͤngen vorkamen. Die ganze Handlung ſchien eine von
denen Raͤubergeſchichten vorzuſtellen, dergleichen uns in dieſen Inſeln ſo viele be-
gegnet waren. Ein andres Intermezzo ſtellte den Angriff der Krieger von Bo-
rabora
vor, wobey derbe Schlaͤge mit einem Riemen ausgetheilt wurden, daß
es nur ſo klatſchte. Das dritte Zwiſchenſpiel war ſeltſamer als die uͤbrigen alle. Es
ſtellte eine Frau in Kindeswehen vor, und erregte bey der Verſammlung ein uͤber-
lautes Gelaͤchter. Der Kerl, der dieſe Rolle hatte, machte alle Poſituren, welche
die Griechen in den Haynen der Venus Ariadne bey Amathus bewunderten,
und die im Monath Gorpiaͤus, zum Andenken der im Kindbette geſtorbenen Ari-
adne
, feyerlich vorgeſtellt zu werden pflegten. *) Ein andrer großer und ſtarker
Kerl, in Tahitiſches Zeug gekleidet, ſtellte das neugebohrne Kind vor, und ge-
behrdete ſich dazu ſo poſſierlich, daß wir herzlich mitlachen mußten. Das Coſtume
war ſo genau beobachtet, daß ſelbſt ein Accoucheur oder jeder andre Sachverſtaͤndige
an dieſem großen Jungen keines von den weſentlichen Kennzeichen eines neugebornen
Kindes wuͤrde vermißt haben; denen indianiſchen Zuſchauern aber gefiel das vorzuͤg-
lich, daß er, unmittelbar nach ſeinem Eintritt in die Welt, ſo drell auf dem Theater
herum lief, daß die Taͤnzer ihn kaum wieder haſchen konnten. Capitain Cook
hatte bey dieſer Gelegenheit bemerkt, daß, ſobald die andern Kerls den großen
Jungen wieder eingeholt, ſie ihm die Naſe, oben zwiſchen den Augen, platt
gedruͤckt haͤtten. Hieraus ſchließt er ganz richtig, daß dieſe Gewohnheit wuͤrk-
lich bey neugebohrnen Kindern allhier ſtatt finde, wie ſie denn auch faſt durchge-
hends eingedruͤckte Naſen haben. **) Unter allen ſchien dieſe Vorſtellung den
Damen das mehreſte Vergnuͤgen zu machen. Auch konnten ſie ſich dem Ein-
druck deſſelben ohne Bedenken uͤberlaſſen, weil nach hieſiger Landes-Sitte gar
nichts darinn vorkam, welches ſie in Verlegenheit haͤtte ſetzen koͤnnen,
wie es wohl unſern europaͤiſchen Schoͤnen geht, die in den Schauſpielen oft nur
durch den Faͤcher ſchielen duͤrfen.


*) Plutarch im Leben des Theſeus.
**) Dieſe Bemerkung iſt aus des Capitain Cooks Reiſebeſchreibung entlehnt.
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[107/0119] in den Jahren 1772 bis 1775. vorgeſtellt, und waren, ihrem Innhalt nach, fuͤr uns von ganz neuer Compoſition. Ohnerachtet wir nicht alles von Wort zu Wort verſtanden, ſo konnten wir doch ſo viel unterſcheiden, daß die Namen des Capitain Cook und andrer Herren von unſerer Geſellſchaft in den Geſaͤngen vorkamen. Die ganze Handlung ſchien eine von denen Raͤubergeſchichten vorzuſtellen, dergleichen uns in dieſen Inſeln ſo viele be- gegnet waren. Ein andres Intermezzo ſtellte den Angriff der Krieger von Bo- rabora vor, wobey derbe Schlaͤge mit einem Riemen ausgetheilt wurden, daß es nur ſo klatſchte. Das dritte Zwiſchenſpiel war ſeltſamer als die uͤbrigen alle. Es ſtellte eine Frau in Kindeswehen vor, und erregte bey der Verſammlung ein uͤber- lautes Gelaͤchter. Der Kerl, der dieſe Rolle hatte, machte alle Poſituren, welche die Griechen in den Haynen der Venus Ariadne bey Amathus bewunderten, und die im Monath Gorpiaͤus, zum Andenken der im Kindbette geſtorbenen Ari- adne, feyerlich vorgeſtellt zu werden pflegten. *) Ein andrer großer und ſtarker Kerl, in Tahitiſches Zeug gekleidet, ſtellte das neugebohrne Kind vor, und ge- behrdete ſich dazu ſo poſſierlich, daß wir herzlich mitlachen mußten. Das Coſtume war ſo genau beobachtet, daß ſelbſt ein Accoucheur oder jeder andre Sachverſtaͤndige an dieſem großen Jungen keines von den weſentlichen Kennzeichen eines neugebornen Kindes wuͤrde vermißt haben; denen indianiſchen Zuſchauern aber gefiel das vorzuͤg- lich, daß er, unmittelbar nach ſeinem Eintritt in die Welt, ſo drell auf dem Theater herum lief, daß die Taͤnzer ihn kaum wieder haſchen konnten. Capitain Cook hatte bey dieſer Gelegenheit bemerkt, daß, ſobald die andern Kerls den großen Jungen wieder eingeholt, ſie ihm die Naſe, oben zwiſchen den Augen, platt gedruͤckt haͤtten. Hieraus ſchließt er ganz richtig, daß dieſe Gewohnheit wuͤrk- lich bey neugebohrnen Kindern allhier ſtatt finde, wie ſie denn auch faſt durchge- hends eingedruͤckte Naſen haben. **) Unter allen ſchien dieſe Vorſtellung den Damen das mehreſte Vergnuͤgen zu machen. Auch konnten ſie ſich dem Ein- druck deſſelben ohne Bedenken uͤberlaſſen, weil nach hieſiger Landes-Sitte gar nichts darinn vorkam, welches ſie in Verlegenheit haͤtte ſetzen koͤnnen, wie es wohl unſern europaͤiſchen Schoͤnen geht, die in den Schauſpielen oft nur durch den Faͤcher ſchielen duͤrfen. 1774. May. *) Plutarch im Leben des Theſeus. **) Dieſe Bemerkung iſt aus des Capitain Cooks Reiſebeſchreibung entlehnt. O 2

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/119>, abgerufen am 25.11.2024.