Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.Forster's Reise um die Welt 1774.May.zeiten an, bey denen es gewiß an nichts fehlen sollte, denn überall lagen große Vorräthe von den ausgesuchtesten Lebensmitteln dazu in Bereitschaft. Wir wußten, daß es auf diesen Inseln eine besondre Gesellschaft oder Classe von Leuten bey- derley Geschlechts gäbe, die Errioys genannt werden, und daß sie sich zuweilen, weit und breit her, versammleten, eine Insel nach der andern besuchten, und überall bis zur Ausschweifung schmaußten und schwelgten. Als wir zu Huaheine vor Anker lagen, hielt sich daselbst eine dergleichen Caravane von mehr als sieben- hundert solcher Errioys auf, und eben diese waren es, die wir jetzt hier antrafen. Sie hatten sich eines Morgens, mit etlichen siebenzig Canots, von Huaheine nach Raietea übersetzen lassen, und nachdem sie einige Tage an der östlichen Küste dieser Insel zugebracht, nunmehro hier auf der Westseite ihr Quartier genommen. Es waren lauter Leute von gewissem Ansehen, und schienen alle zu dem Stande der Befehlshaber zu gehören. Einige hatten große punctirte Flecken auf der Haut; dies sollten, Maheinens Aussage nach, die an- gesehensten Mitglieder der Gesellschaft, und zwar in eben dem Verhältnisse vor- nehmer seyn, als man stärkere und mehrere Puncturen an ihnen wahrnähme. Sie waren fast durchgehends stark, wohlgebauet und nannten sich Kriegesleute. Maheine bezeigte viel Achtung für diese Gesellschaft, und versicherte uns, daß auch er in dieselbe aufgenommen sey. Die Mitglieder sind alle durch die eng- sten Bande der Freundschaft unter einander verbunden, und üben unter sich die Gesetze der Gastfreyheit im weitläuftigsten Verstande. Sobald ein Errioy ei- nen andern besucht, kann er darauf rechnen, mit allem, was sowohl zur Noth- durft als zur Bequemlichkeit gehört, reichlich versehen zu werden. Persönliche Bekanntschaft oder Unbekanntschaft macht hierinn keinen Unterschieb. Er wird sogleich den übrigen Mitgliedern des Ordens vorgestellt, und alle wett- eifern, wer es dem andern an Gefälligkeit, Freundschaftsbezeugungen und Geschenken zuvorthun könne. Maheine behauptete, daß alle Vortheile welche er in Tahiti gefunden, ihm blos "als Mitglied dieser Gesellschaft" wären zu Theil geworden. Die beyden jungen Leute, welche ihn daselbst auf unserm Schiff zuerst ansichtig wurden, waren, seiner Aussage nach, Errioys, und in dieser Qualität schenkten sie ihm ihre Kleidungen, weil er selbst damals keine andre als europäische hatte. Es scheint fast, daß von jeder vornehmen Familie durch- Forſter’s Reiſe um die Welt 1774.May.zeiten an, bey denen es gewiß an nichts fehlen ſollte, denn uͤberall lagen große Vorraͤthe von den ausgeſuchteſten Lebensmitteln dazu in Bereitſchaft. Wir wußten, daß es auf dieſen Inſeln eine beſondre Geſellſchaft oder Claſſe von Leuten bey- derley Geſchlechts gaͤbe, die Errioys genannt werden, und daß ſie ſich zuweilen, weit und breit her, verſammleten, eine Inſel nach der andern beſuchten, und uͤberall bis zur Ausſchweifung ſchmaußten und ſchwelgten. Als wir zu Huaheine vor Anker lagen, hielt ſich daſelbſt eine dergleichen Caravane von mehr als ſieben- hundert ſolcher Errioys auf, und eben dieſe waren es, die wir jetzt hier antrafen. Sie hatten ſich eines Morgens, mit etlichen ſiebenzig Canots, von Huaheine nach Raietea uͤberſetzen laſſen, und nachdem ſie einige Tage an der oͤſtlichen Kuͤſte dieſer Inſel zugebracht, nunmehro hier auf der Weſtſeite ihr Quartier genommen. Es waren lauter Leute von gewiſſem Anſehen, und ſchienen alle zu dem Stande der Befehlshaber zu gehoͤren. Einige hatten große punctirte Flecken auf der Haut; dies ſollten, Maheinens Ausſage nach, die an- geſehenſten Mitglieder der Geſellſchaft, und zwar in eben dem Verhaͤltniſſe vor- nehmer ſeyn, als man ſtaͤrkere und mehrere Puncturen an ihnen wahrnaͤhme. Sie waren faſt durchgehends ſtark, wohlgebauet und nannten ſich Kriegesleute. Maheine bezeigte viel Achtung fuͤr dieſe Geſellſchaft, und verſicherte uns, daß auch er in dieſelbe aufgenommen ſey. Die Mitglieder ſind alle durch die eng- ſten Bande der Freundſchaft unter einander verbunden, und uͤben unter ſich die Geſetze der Gaſtfreyheit im weitlaͤuftigſten Verſtande. Sobald ein Errioy ei- nen andern beſucht, kann er darauf rechnen, mit allem, was ſowohl zur Noth- durft als zur Bequemlichkeit gehoͤrt, reichlich verſehen zu werden. Perſoͤnliche Bekanntſchaft oder Unbekanntſchaft macht hierinn keinen Unterſchieb. Er wird ſogleich den uͤbrigen Mitgliedern des Ordens vorgeſtellt, und alle wett- eifern, wer es dem andern an Gefaͤlligkeit, Freundſchaftsbezeugungen und Geſchenken zuvorthun koͤnne. Maheine behauptete, daß alle Vortheile welche er in Tahiti gefunden, ihm blos “als Mitglied dieſer Geſellſchaft” waͤren zu Theil geworden. Die beyden jungen Leute, welche ihn daſelbſt auf unſerm Schiff zuerſt anſichtig wurden, waren, ſeiner Ausſage nach, Errioys, und in dieſer Qualitaͤt ſchenkten ſie ihm ihre Kleidungen, weil er ſelbſt damals keine andre als europaͤiſche hatte. Es ſcheint faſt, daß von jeder vornehmen Familie durch- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0112" n="100"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>Forſter’s</persName> Reiſe um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/> May.</note>zeiten an, bey denen es gewiß an nichts fehlen ſollte, denn uͤberall lagen große<lb/> Vorraͤthe von den ausgeſuchteſten Lebensmitteln dazu in Bereitſchaft. 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Forſter’s Reiſe um die Welt
zeiten an, bey denen es gewiß an nichts fehlen ſollte, denn uͤberall lagen große
Vorraͤthe von den ausgeſuchteſten Lebensmitteln dazu in Bereitſchaft. Wir wußten,
daß es auf dieſen Inſeln eine beſondre Geſellſchaft oder Claſſe von Leuten bey-
derley Geſchlechts gaͤbe, die Errioys genannt werden, und daß ſie ſich zuweilen,
weit und breit her, verſammleten, eine Inſel nach der andern beſuchten, und
uͤberall bis zur Ausſchweifung ſchmaußten und ſchwelgten. Als wir zu Huaheine
vor Anker lagen, hielt ſich daſelbſt eine dergleichen Caravane von mehr als ſieben-
hundert ſolcher Errioys auf, und eben dieſe waren es, die wir jetzt hier antrafen.
Sie hatten ſich eines Morgens, mit etlichen ſiebenzig Canots, von Huaheine nach
Raietea uͤberſetzen laſſen, und nachdem ſie einige Tage an der oͤſtlichen Kuͤſte dieſer
Inſel zugebracht, nunmehro hier auf der Weſtſeite ihr Quartier genommen.
Es waren lauter Leute von gewiſſem Anſehen, und ſchienen alle zu
dem Stande der Befehlshaber zu gehoͤren. Einige hatten große punctirte
Flecken auf der Haut; dies ſollten, Maheinens Ausſage nach, die an-
geſehenſten Mitglieder der Geſellſchaft, und zwar in eben dem Verhaͤltniſſe vor-
nehmer ſeyn, als man ſtaͤrkere und mehrere Puncturen an ihnen wahrnaͤhme.
Sie waren faſt durchgehends ſtark, wohlgebauet und nannten ſich Kriegesleute.
Maheine bezeigte viel Achtung fuͤr dieſe Geſellſchaft, und verſicherte uns, daß
auch er in dieſelbe aufgenommen ſey. Die Mitglieder ſind alle durch die eng-
ſten Bande der Freundſchaft unter einander verbunden, und uͤben unter ſich die
Geſetze der Gaſtfreyheit im weitlaͤuftigſten Verſtande. Sobald ein Errioy ei-
nen andern beſucht, kann er darauf rechnen, mit allem, was ſowohl zur Noth-
durft als zur Bequemlichkeit gehoͤrt, reichlich verſehen zu werden. Perſoͤnliche
Bekanntſchaft oder Unbekanntſchaft macht hierinn keinen Unterſchieb. Er
wird ſogleich den uͤbrigen Mitgliedern des Ordens vorgeſtellt, und alle wett-
eifern, wer es dem andern an Gefaͤlligkeit, Freundſchaftsbezeugungen und
Geſchenken zuvorthun koͤnne. Maheine behauptete, daß alle Vortheile welche
er in Tahiti gefunden, ihm blos “als Mitglied dieſer Geſellſchaft” waͤren zu Theil
geworden. Die beyden jungen Leute, welche ihn daſelbſt auf unſerm Schiff
zuerſt anſichtig wurden, waren, ſeiner Ausſage nach, Errioys, und in dieſer
Qualitaͤt ſchenkten ſie ihm ihre Kleidungen, weil er ſelbſt damals keine andre
als europaͤiſche hatte. Es ſcheint faſt, daß von jeder vornehmen Familie durch-
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